World Economic Forum Davos Die fünf Probleme der Wirtschaftswelt

2500 weitgehend ratlose aber immerhin wissbegierige Wirtschafts- und Politikführungskräfte und ein nie dagewesenes Krisentremolo von außen: Das Weltwirtschaftsforum Davos setzt den Grundton für ein aufreibendes Wirtschaftsjahr. An diesen fünf Punkten haben die Topleute aus Politik und Wirtschaft in den nächsten Monaten zu knabbern.

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World Economic Forum 2016 in Davos. Quelle: World Economic Forum - swissimage

Man sollte nicht der Versuchung erliegen, Davos für die Welt zu halten. Das tun an diesen vier bemerkenswerten Tagen in Davos ohnehin schon zu viele, die sich in aller Regel dann auch als den Mittelpunkt selbiger wähnen. Und doch lassen diese vier Tage einen Schluss darüber zu, wie es um die Wirtschaftswelt steht. Wo hat man schließlich sonst so ziemlich alle, die in dieser etwas zu melden und gestalten haben, so lange auf so engem Raum?

Nimmt man also dieses Davos, um der Wirtschaftswelt gewissermaßen den Puls zu fühlen, dann ergibt sich eine aufreibende, aber immerhin nicht hoffnungslose Diagnose. „Selten“, stöhnt eine Teilnehmerin aus dem Führungskreis einer großen Beratungsgesellschaft, „war Davos inhaltlich so unfokussiert. Aber selten waren die Leute hier so wissbegierig.“ Was vermutlich irgendwie miteinander zu tun hat.

Erschlagen von einer gefühlten Unendlichkeit komplexer Krisen, gestanden selbst überzeugte Alpha-Tierchen mitunter ihre Ratlosigkeit ein. Was angesichts der Knackpunkte, die Unternehmens- und Polit-Manager in den nächsten Monaten in Atem halten werden, nicht verwundert:

1. Flüchtlinge

Es ist kein originär wirtschaftliches Thema und hing doch über Davos wie sonst allenfalls das China-Chaos: Während die allermeisten Manager und Ökonomen letzteres aber für beherrschbar und vorübergehend halten, ist die Flüchtlingsfrage der größte Unsicherheitsfaktor der Wirtschaftswelt. So benannte es nicht nur eine Umfrage des Weltwirtschaftsforums unter den 2500 teilnehmenden Führungskräften. So zog es sich auch durch nahezu alle Podien und Abendveranstaltungen.

Thomas Friedman, Kolumnist der New York Times, bringt die ganze Grundsätzlichkeit des Problems auf den Punkt: „Die Welt teilt sich heute in zwei Teile: Ein Welt der Ordnung und eine Welt des Chaos. Und was wir sehen, ist, dass immer mehr Menschen in die Welt der Ordnung wollen.“
Und William Swing, Generalsekretär der Internationalen Migrations-Organisation, sagt folgerichtig: „Wir müssen uns davon verabschieden, dass Flüchtlingszahlen statisch sind. In einer nicht-linearen Welt wird das ein Dauerthema bleiben. Das hört nicht bei einer oder zwei Millionen auf.“
Was wir leider auch sehen: Dass das ungeahnte Folgewirkungen hat und niemand eine Lösung.

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Was Davos dazu einfiel? Den anwesenden Politikern eine neue Betonung ihrer alten Positionen. Den anwesenden Ökonomen die rational richtige Feststellung, dass Zuwanderung ökonomisch noch immer sinnvoll gewesen sei, bei gleichbleibender Ideenlosigkeit, wie auf irrationale Ängste zu reagieren sei. Und bei den anwesenden Managern? Auf den Fluren tuscheln, auf den Podien ausschweigend. Keiner, wirklich keiner, der das Thema beherzt zu seinem gemacht hätte.

Wohin das führt? Hoffentlich nicht dorthin, was der amerikanische Investor Anthony Scaramucci von SkyBridge Capital leicht schaudernd sagt: „Es ist schon auffällig, dass der Nationalismus in Europa wieder aufkommt, wo kaum noch Zeugen der letzten Weltkriege leben. Es gab das schon mal, dass nach einer langen Generation Frieden zwischen 1815 und 1914 der Krieg aufschnappte, nachdem mit den letzten Kriegsopfern auch die letzten Erinnerungen gestorben waren. Es ist unsere Aufgabe, durch Überzeugen und Probleme lösen, diese Parallele zu verhindern.“

Immerhin der ehemalige Bundesbankpräsident und heutige UBS-Verwaltungsratschef Axel Weber glaubt, dass das noch gelingen könnte: „Verpassen Sie niemals eine große Krise“, sagt Weber. „Die Flüchtlingskrise ist ein guter Anlass für Europa, unerledigte Aufgaben der letzten zehn Jahre nachzuholen: mehr Integration für Euro Staaten, mehr Flexibilität für nicht-Euro-Staaten.“

Digitalisierung und Wachstum

2. Digitalisierung

Nichts elektrisiert den Macher und Marktbeherrscher von heute so wie die digitale Revolution. Nichts aber macht ihn auch, es sei denn, er ist Gründer eines großen Silicon-Valley-Konzerns, so ratlos. Man sieht das schon an der Zahl der Krawatten. Je konventioneller eine Industrie ist, desto unwahrscheinlicher, dass einer ihrer Vertreter in Davos eine Krawatte trug. Leider war es das dann aber auch oft schon mit digitaler Adaption.

„Keiner will Industrie sein, alle wollen Hightech sein“, spottet ein Beobachter. Das Problem: Kaum einer weiß etwas genaues mit diesem Digitalisierungsding anzufangen. „Das Tempo ist nochmal schneller geworden 2016 als 2011“, sagt Meg Whitman, Chefin von Hewlett Packard. Auch sie sieht die Schwierigkeiten vieler Kollegen, die digitale Welt zwar irgendwie vielversprechend zu finden, aber nichts konkretes damit anfangen zu können: „Vieles ist nicht Problem der Technik sondern der Kultur bei Transformation“, sagt Whitman.

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Um das zu kaschieren, gibt sich die Führungskraft von heute möglichst aufgeschlossen. Wer den Hemdkragen offen trägt und immer ruft, dass sich alles ändert, alles digitalisiert wird, und künstliche Intelligenz schon alle Probleme dieser Welt lösen werde, fühlt sich immerhin auf der richtigen Seite der Geschichte.
Leider kamen dann doch ab und an einige wesentliche Fragen auf, die nur spärlich bis gar nicht beantwortet wurden: Wie sehen Arbeitsmärkte aus, wenn Roboter die Arbeit erledigen? Wie finanzieren sich Staaten, wenn mit Arbeit womöglich auch Einkommenssteuern wegfallen? Wieviel europäisch geprägte soziale Marktwirtschaft wollen wir eigentlich ins neue Zeitalter retten?

Da ist es dem ansonsten blassen Deutsche Bank-Chef John Cryan schon hoch anzurechnen, dass er die Digitalisierungseuphorie in seiner Branche immerhin in geordnete Bahnen zu lenken versuchte. Ja, die Finanzbranche hätten technisch viele verschlafen. Aber nein, nicht jeder 20-Jährige mit einem Fintech gefährde gleich die ganze Branche. „Schon wegen der Sicherheitsprobleme“. Was eine so schlichte wie richtige Erkenntnis ist.

3. Wachstum

„Die Welt normalisiert sich“, sagt Axel Weber. Was leider heißt: Die Rekordwachstum-Zahlen der Weltwirtschaft scheinen zunächst vorbei. Vor allem weil sich in China die Wirtschaft wandelt, aber auch, weil Europa und in Teilen auch die USA strukturell kaum noch zu Wachstum fähig sind. Weswegen die große Frage über allem schwebt: Wo soll künftig Wachstum herkommen? Und wenn es nirgendwo herkommt, was dann?

Dabei scheinen Politiker wie Ökonomen und klassische Industrievertreter immer stärker die High-Tech-Branche im Blick zu haben. Sie fragen sich angesichts von Milliarden-Renditen, die die Erfinder der großen Netzkonzerne für sich einheimsen, wo eigentlich der Wohlstands- und Wachstumsbeitrag der Tech-Branche bleibt. Immer wieder in Davos raunen die Herren (und wenigen Damen), dass das wahre Weltwirtschaftsproblem der vergangenen Jahre sei, dass die Digitalisierung keine volkswirtschaftlich messbare Wohlstandssteigerung gebracht hat. Der indische Notenbankpräsident Raghuram Rajan sagt: „Wir haben technischen Fortschritt noch nicht monetarisiert. Technik ist noch kein Wohlstandsmehrer.“

Multiple Zweiteilung der Wirtschaftswelt

4. Spaltung

So wie die digitale Welt sich in 1 und 0 teilt, verlaufen auch die Brüche der realen Welt genau nach diesem Muster. Eine Art multiple Zweiteilung hat die Wirtschaftswelt erfasst. Da ist einmal die Spaltung in eine globalisierte Elite und eine offenbar immer national gesinntere Bevölkerung. Während vor allem Top-Manager die Welt quasi als einen großen Markt sehen, feiern in Europa, Asien und USA (Trump) nationalistische Bewegungen munter Urstand.

Was vermutlich auch an Menschen wie dem Goldman-Sachs-Präsidenten Gary Cohn liegt, wenn er sagt: „Es gibt heute einen globalen Arbeitsmarkt, weswegen höhere Löhne für die Masse unrealistisch sind. Bei unseren Kunden ist die Optimierung ihrer Arbeiterschaft, also die Verlagerung in günstige Länder, ein ganz großes Thema. Arbeit wird dorthin gehen, wo sie am billigsten erledigt wird.“ Nicht gerade ein Werbespruch, um die ängstlichen und rechtstümelnden Mittelschichten der Industrieländer für die globalisierte Wirtschaftswelt zu begeistern.

Ein anderer, deutscher Top-Manager (Chef einer großen Familienholding) steht derweil an der Kaffeebar und brüstet sich damit, seinen Kindern zu sagen: „Mach irgendwas, Hauptsache international. Von der Schule an. Du kannst nicht mehr nur auf ein Land setzen.“
Ein weiterer Bruch: Insider versus Outsider. Davos, das ist auch das ständige gegenseitige Schulterklopfen Gleichgesinnter. Ob in Sachen Flüchtlinge, China, Wachstum oder Digitale Revolution – fast immer sind sich alle einig. Weder die Flüchtlings-Populisten aus Ost-Europa, noch Wachstumskritiker oder Zivilgesellschaftler sind geladen.

Und weil Einigkeit so schön ist, ist die Davos-Gesellschaft auch – trotz aller Bemühungen der Veranstalter – recht homogen mittelalt und männlich. Wobei es in der Frauenfrage Fortschritt zu vermelden gab. Statt 17 Prozent wie 2015 waren es dieses Jahr schon 18 Prozent weibliche Teilnehmer.

Es gab noch ein zweite Davos

5. Führung

Der durchschnittliche Manager und Politiker scheint mittlerweile vor zwei Problemen zu stehen: Die Digitalisierung wirft sein schönes Geschäftsmodell um, ohne dass er ein neues zur Hand hätte. Sprich: Konventionen zählen kaum noch. Und die in herausfordernden Krisen sind wie ein Chemiecocktail: Mit jeder einzelnen weiß man schon irgendwie umzugehen, kumuliert aber haben sie unberechenbare Wechselwirkungen, so dass ihnen mit klassischen Antworten nicht mehr beizukommen ist. Auch hier gilt: Konventionen zählen kaum noch.

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Innerhalb kürzester Zeit ist einer ganzen Generation von Managern also ein großer Teil ihres Erfahrungsschatzes entwertet worden (innerhalb des Unternehmens durch Disruption, außerhalb durch multiple Krisen). Die Folge: Selbst Alphatierchen rennen plötzlich fragend herum, suchen Antworten, anstatt die mitgebrachten möglichst dröhnend vorzutragen. Und nur schwer gewöhnen sie sich an eine Erkenntnis, die Thomas Friedman gerne vorträgt: „Sie müssen heute aus der Mitte führen. Nicht von vorne, nicht von hinten.“ Nur: Wer kann das schon? Oder, um Meg Whitman nochmal zu bemühen: Sich darauf einzustellen ist wohl keine Frage der Fähigkeit sondern der Kultur.

Warum das alles nicht zwangsweise in ein Katastrophenjahr führt?

Weil es neben dem hoffnungslos abgehobenen, zerstörerischen, hektischen und neoliberal-dogmatischen Davos eben auch ein zweites Davos gab. Eins, in dem selbst absolute Top-Manager wie Noch-Henkel- und Bald-Adidas-Chef Kasper Rorsted oder Thyssen-Krupp-Häuptling Heinrich Hiesinger über Stunden im Publikum saßen, und anderen Top-Managern und Politikern bei ihren Ausführungen zuhörten.

Weil Politiker wie die Außenminister Saudi Arabiens und Irans, die sonst nie miteinander sprechen, plötzlich miteinander sprachen. Weil Euro-Krisen-Bekämpfer, wie Griechenlands Premier Alexis Tsipras und der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble plötzlich Gemeinsamkeiten entdeckten.

Und weil, wer in Davos aufmerksam zugehört hat und die richtigen Schlüsse zieht, eine der Hauptlehren mitnimmt: Es kommt in dieser multipolaren, digitalen, nicht-mehr-linearen Welt nahezu nie so, wie man vorher dachte, dass es kommt. Und es sei Larry Finck, immerhin dem global größten Geldmacher und Blackrock-Chef vorbehalten, das Schlusswort zu sprechen: „Am Ende des Jahres werden wir besser dastehen als jetzt.“

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