World Economic Forum Die fünf großen Probleme der Weltwirtschaft

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Überfordert und ungleich

1. Technologische Überforderung

In den vergangenen Jahren waren sie nicht nur in Davos, sondern überall in der Wirtschaftswelt die unumstrittenen Heilsbringer: die Prediger des technologischen Fortschritts. Meist aus dem Silicon Valley. Meist jung und männlich. Eine Fake-News-Debatte, hunderttausenden Cyber-Angriffen und eine Entwicklungsrunde in künstlicher Intelligenz später hat sich das gedreht.

Statt Bewunderung müssen sich die Tech-Konzerne nun kritische Fragen gefallen lassen. Der Grund: Politiker, Top-Manager und auch deren Arbeitnehmer schlittern in einen Zustand der permanenten systemischen und individuellen Überforderung durch Technologie. Jedenfalls empfinden sie das so.

Ausgerechnet der daueroptimistische Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, hat diesen Befund gerade in ein Buch gefasst. „Shaping the Fourth Industrial Revolution“ wirbt für eine ganzheitliche Perspektive auf technologischen Fortschritt. „Wir brauchen einen solchen Ansatz“, argumentiert Schwab, „angesichts der beispiellosen Geschwindigkeit, mit der sich die Technologie entwickelt. Denn dieses Tempo führt dazu, dass die Herangehensweisen von Regierungen, Regulierungsbehörden und Unternehmen, mit deren Hilfe wir die Auswirkung von Technologien bewältigen wollen, schnell veralten und überflüssig werden.“

Davos könnte US-Protektionismus etwas entgegensetzen

Schwab legt dar, dass die politischen Führungskräfte „Systemführerschaft“ anstreben sollten, um sicherzustellen, dass es keine technologischen Entwicklungen ohne gleichzeitige Berücksichtigung von Regeln, Normen, Werten und Infrastrukturen gibt. Wenn sich die Technologie nicht innerhalb eines integrativen und nachhaltigen Steuerungssystems entwickelt, könnte die vierte industrielle Revolution die Einkommensunterschiede verschärfen und Milliarden von Menschen auf der Strecke bleiben, während gleichzeitig die Gelegenheit verpasst wird, Technologien zur Bewältigung globaler Herausforderungen einzusetzen. „Es hat mehr als ein Jahrzehnt gedauert, bis die Welt eine kollektive Antwort auf den Klimawandel gefunden hat. Wenn wir uns genauso viel Zeit lassen, um auf die vierte industrielle Revolution zu reagieren, verpassen wir die Chance, die Entwicklung der Technologien zu beeinflussen, die unsere Arbeits-, Lebens- und Handlungsweisen prägen“, sagt Schwab.

2. Ungleichheit

Es ist eine überraschende Allianz, die sich einig zu sein scheint: Das Versprechen der Davos-Elite von einst, Handlungsfreiheit für die Oberen gegen Wohlstand für alle, ist nicht aufgegangen. Im Gegenteil.

Die (westliche) Wirtschaftswelt kämpft gegen ein Ungleichheitsproblem. Das Weltwirtschaftsforum selbst bilanziert in seinem Risikobericht, der zum Jahrestreffen erscheint: „Wenn sich Konzerne weigern, auch nur einen kleinen Teil ihres Profits für Mindestlöhne auszugeben und Kollektivrechte der Arbeitnehmer aushebeln, dann haben sie den Sozialvertrag gebrochen“, heißt es wörtlich in der Studie. Deshalb sei es nun „Zeit für einen neuen Sozialvertrag“. Und IWF-Chefin Christine Lagarde sagt: „Das Wachstum in der Welt muss inklusiver werden.“ Es geben zu viele Menschen, die nicht von der florierenden Weltwirtschaft profitieren. „In einem Fünftel der Entwicklungsländer schrumpft die Wirtschaft“, sagt Lagarde. „Und innerhalb der Länder, die wachsen, profitieren zu viele Menschen nicht vom Wachstum.“

Die Nichtregierungsorganisation Oxfam veröffentlicht pünktlich zum Wirtschaftsgipfel: Die globale Ungleichheit wächst weiter. Die Zahl der Dollar-Milliardäre etwa stieg auf ein neues Allzeithoch, mit weltweit 2043 Milliardären. Alle zwei Tage sei einer hinzugekommen, rechnet Oxfam vor. "Das letzte Jahr sah den größten Anstieg der Zahl der Milliardäre in der Geschichte", heißt es. Die Zahlen stützen sich unter anderem auf Erhebungen der Bank Credit Suisse. Danach sind 82 Prozent des gesamten Vermögenszuwachses auf der Welt an nur ein Prozent der Weltbevölkerung geflossen - und zwar an jenes eine Prozent, das schon vorher das meiste besaß.

Diese, schon in den vergangenen Jahren vorgebrachte Botschaft, scheint langsam bei den Adressaten in Davos zu verfangen. „Die diesjährige Befragung beleuchtet einen Trend, den wir bei PwC schon länger beobachten: die wachsende Diskrepanz zwischen ökonomischen Erfolgen und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Nutzen. Die Treiber des Fortschritts der vergangenen Jahre – Globalisierung, technologischer Fortschritt und finanzieller Fokus – haben zu beispielloser Produktivität, Innovationen und Wohlstand geführt. Durchschnittlich betrachtet jedenfalls. Allerdings profitiert nicht mehr jeder einzelne Bürger automatisch, wenn die Wirtschaft boomt“, sagt PWC-Deutschlandchef Norbert Winkeljohann.

„Die Entkopplung von wirtschaftlichem und gesellschaftlichem Nutzen ist ebenso ein Resultat der Globalisierung und des technologischen Fortschritts. Das Ergebnis sind Vertrauensverluste und Klüfte in und zwischen Gesellschaften. Angesichts dieser Entwicklungen müssen wir uns fragen: Was können CEOs tun, um diese Klüfte zu überwinden? Ein erster Schritt ist sicher, sich einem klaren Zweck zu verpflichten, der über rein finanzielle Wertschöpfung hinausgeht.“

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