Xi Jinping wird immer mächtiger Deutsche Unternehmen werden Chinas Umbau spüren

Chinas Präsident Xi Jinping Quelle: REUTERS

Seit knapp zwei Wochen tagt Chinas Scheinparlament in Peking. Es winkt die Beschlüsse der KP ohne Widerstand durch. So kann die Partei die Grenzen zwischen Staat und Partei weiter aufweichen.

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Das Bild, das seit einigen Tagen in sozialen Netzwerken geteilt wird, ist auf den ersten Blick nichts Besonderes. Darauf sieht man Abgeordnete klatschen, während Xi Jinping vor ihnen durch die Große Halle des Volkes in Peking läuft. Auf den zweiten Blick erst sieht man einen Mann, der seine Hände bewegungslos vor seinen Bauch hält – in scheinbar stummem Protest.

Innerhalb weniger Stunden fluteten Internetnutzer die sozialen Medien mit dem Bild. Und teilten es gemeinsam mit einer weiteren Aufnahme: der von August Landmesser. Der Mann, der 1936 in einer Menschenmenge gestanden und als Einziger seinen Arm nicht ausgestreckt erhoben hatte, als Adolf Hitler an ihm vorbeifuhr.

Der drastische Vergleich wurde von den chinesischen Zensoren sofort gesperrt und jede Spur davon gelöscht. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in diesen Tagen in China etwas sichtbar wird, was viele schon nicht mehr für möglich gehalten haben: Widerstand gegen die wachsende Macht der Partei.

Der Nationale Volkskongress läuft nun seit über einer Woche. Die wichtigste Entscheidung des jährlich tagenden Parlaments ist die Aufhebung der Beschränkung für die Amtszeit des Präsidenten auf zwei Legislativperioden. Darüber hinaus verabschiedet es aber auch eine Reihe an wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die Grenzen zwischen Staat und Partei weiter auflösen. Peking baut den politischen Apparat so massiv um, wie seit Jahren nicht mehr. Das werden auch deutsche Unternehmen zu spüren bekommen. Um der Partei weitere Befugnisse zu verschaffen, reformiert Peking die Struktur der Ministerien. Acht Ministerien werden gestrichen. Dazu sieben Ministerien-ähnliche Behörden. Neu gebildet werden sollen beispielsweise Ministerien für Umwelt, Kultur und Tourismus sowie fürs Krisenmanagement bei Naturkatastrophen.

„Vertiefte Reformen der Partei und der staatlichen Institutionen sind eine unvermeidliche Anforderung zur Stärkung der langfristigen Regierungsführung", schrieb der führende Wirtschaftsberater des Präsidenten Liu He in einem Kommentar in der staatlichen Volkszeitung dieser Woche als Begründung für die Entscheidung. Es handelt sich um eine der größten Reformen seit Ende der 1990er Jahre.

Zu den wichtigsten Veränderungen gehört dabei die Zusammenlegung der Versicherungs- und Bankenaufsicht. Damit sollen Kompetenzen klarer verteilt werden, um „systemische Risiken“ der 43 Billionen Dollar schweren Branchen zu verhindern. Die Zentralbank erhält zudem mehr Macht. Die Börsenaufsicht soll von den Veränderungen nicht betroffen sein. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, die als Zentralbank der Zentralbanken gilt, zählt China zu den Volkswirtschaften, die besonders anfällig für eine Bankenkrise sind. Chinas Wirtschaft hat in den vergangenen Jahrzehnen einen gewaltigen Schuldenberg angehäuft, der sich inzwischen auf mehr als 280 Prozent des Bruttoinlandsprodukts summiert.

Neben dem Umbau der Ministerien stimmte das Parlament auch für die Gründung einer „Nationalen Überwachungskommission“, die nicht mehr nur innerhalb der Partei gegen Korruption ermitteln soll, sondern auch gegen Beamte außerhalb der Kader. Dazu würde beispielsweise auch Manager in Staatsunternehmen gehören.

Die Änderungen sind gravierend. Zwar gibt es keine Gewaltenteilung in China. Aber bisher zumindest in der Theorie eine Trennung zwischen dem Staat und der Kommunistischen Partei. Xi hat nun in Artikel 1 der Verfassung die Führungsrolle der Partei festschreiben lassen. Diese stand bisher nur in der Präambel als eine Art Leitidee. Mit der Aufnahme von „Xi Jinpings Gedankengut für das neue Zeitalter des Sozialismus chinesischer Prägung“ in das zentrale Rechtsdokument sowie der Aufhebung der Amtszeit-Beschränkung ebnet Peking den Weg zu einer zentralisierten Ein-Mann-Führung.

Xi Jinping und künftige Präsidenten können durch die Verfassungsänderung nun über zwei Amtsperioden hinaus regieren. Die Beschränkung war von Deng Xiaoping 1982 eingeführt worden, nachdem Mao Zedong Jahrzehnte lang das Land regiert und so ins Chaos gestürzt hatte. Der Beschluss der KP-Führung über die Aufhebung der Grenze wurde dem Parlament erst vor weniger als zwei Monaten zugestellt. Nur zwei der 2980 Abgeordneten stimmten in der geheimen Wahl gegen die Reform.

Auf die Kritik gegen die Verfassungsänderung reagierte die staatliche Tageszeitung China Daily in einem Kommentar, in dem sie erkläre, dass diese eine rein westliche Kritik sei. Denn es sei eine „Gewohnheit des Westens“ geworden, schlecht über das chinesische politische System zu sprechen. „Egal worum es gehe, man betrachte China durch gefärbte Brillengläser“, kritisierte die Staatszeitung. Die Kritiker seien nicht mehr als „schamlose Neinsager“. Auf die Proteststürme im chinesischen Internet ging der Kommentar nicht ein.

Jahr der Spannungen zwischen Deutschland und China

Die Delegierten werden noch bis Montag über die Besetzung wichtiger Ämter wie das des Vize-Präsidenten entscheiden. Kandidaten für letzteres wäre der 69-jährige Wang Qishan. Er wird für die Position des Vize-Präsidenten sowie als Vorsitzender der neuen Überwachungskommission gehandelt. Er legte zwar aus Altersgründen beim vergangenen Parteitag im Oktober seine Parteiämter nieder, gilt aber weiterhin als Xis enger Vertrauter. Er leitete die Anti-Korruptionskampagne, die in den vergangenen Jahren tausenden Kadern den Job gekostet hat.

Hohe Erwartungen gibt es auch an Liu He, den wirtschaftspolitischen Berater Xis. Er könnte möglicherweise hinter Ministerpräsident Li Keqiang zum Stellvertreter aufsteigen. Er ist für sein erfolgreiches Krisenmanagement während der globalen Finanzkrise in China bekannt und vertrat Xi bereits auf Veranstaltungen wie dem Wirtschaftsforum in Davos dieses Jahr. Ihm wird auch die Position des Zentralbankgouverneurs zugetraut.

Neben dem Umbau der administrativen Strukturen verspricht Peking auch wirtschaftspolitische Maßnahmen. Bei seiner Eröffnungsrede versprach Ministerpräsident Li Keqiang Steuersenkungen für Unternehmen und Haushalte in Höhe von umgerechnet 102, Milliarden Euro. Scheinbar soll es vor allem für Industrieunternehmen und Exportfirmen Erleichterungen geben, um Kapitalflucht zu verhindern und mit den massiven Steuersenkungen in den USA mithalten zu können.

Peking geht dieses Jahr von einem Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent aus. Um das Wirtschaftswachstum bei dieser Zielmarke halten zu können, hat es neben den Steuererleichterungen auch weiter hohe Investitionen in die Infrastruktur angekündigt. Immerhin 230 Milliarden Euro für den Straßenbau, rund 127,6 Millionen Euro für Investitionen ins Wassermanagement und 93,4 Milliarden Euro in den Ausbau des Schienennetzes sind geplant. Um die steigenden Schulden in den Griff zu bekommen, will Peking das Haushaltsdefizit von 3 auf 2,6 Prozent senken. Ein extrem hohes Ziel, da die Steuersenkung die staatlichen Einnahmen zusätzlich um fünf Prozent und mehr drücken könnten.

Auch bei den Verteidigungsausgaben will China nicht sparen. Die Mehrausgaben werden um 8,1 Prozent auf 142 Milliarden Euro steigen. Diese wachsen somit schneller als das Bruttoinlandsprodukt. Im vergangenen Jahr erhöhte das Land seine Ausgaben um 7 Prozent, davor um 7,6 Prozent. Die Erhöhung könnte sogar noch über den offiziellen Angaben liegen, glauben Experten. Ausgaben wie für die Küstenwache, die in anderen Staaten in das Militärbudget fallen, werden in China herausgerechnet und unter anderen Ministerien verbucht. Geht es nach Xi, hat China 2049 eine Armee von „Weltrang“. Man sei aber an einer „friedlichen Entwicklung“ interessiert, so ein Sprecher in Peking.

Dieses Jahr dürfte ein Jahr der Spannungen zwischen Deutschland und China werden. Zum zweiten Jahr in Folge war China 2017 vor den Niederlanden und den USA der größte Handelspartner Deutschlands. Die Im- und Exporte beliefen sich laut Statistischem Bundesamt auf 186,6 Milliarden Euro. Der Handel mit China legte im Vergleich zum Jahr 2016 um etwa 16 Milliarden Euro zu.

Während die chinesischen Unternehmen frei in Deutschland investieren dürfen, erschwert China weiterhin ausländischen Unternehmen das Geschäft im Land. Nicht ohne Grund erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst die Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen in China zu einer der Topprioritäten für die kommenden vier Jahre an der Spitze der großen Koalition. Gleichzeitig wolle Merkel schärfere Maßnahmen gegen Chinas Seidenstraßen-Initiative entwickeln, mit denen das Land mittels Kredite große Infrastrukturprojekte in Osteuropa finanziert.

Die EU-Mitgliedsländer warnte sie, mit solchen Projekten die gemeinsame außenpolitische Politik der EU zu schwächen und chinesische Projekte gleichzeitig mit politischen Forderungen aus Peking zu verknüpfen. Auch der inzwischen geschasste Außenminister Sigmar Gabriel hatte in den vergangenen Monaten seinen Ton gegenüber China verschärft. Im Frühjahr wird Brüssel über eine gemeinsame Regelung für Investitionen aus China abstimmen. Deutschland und Frankreich sollen diese als größte Länder in der EU unterstützen.

In China wurde das Bild des stummen Abgeordneten inzwischen in seiner Popularität von einer anderen Aufnahme abgelöst, die nun zwischen vielen Nutzern hin und her geschickt wird. Es ist eine kurze Fernseh-Sequenz, in der die Shanghaier Wirtschaftsjournalistin Liang Xiangyi auf einer Pressekonferenz in Peking neben einer chinesischen Reporterin steht, die für ein Partner-Netzwerk des chinesischen Staatsfernsehens arbeitet. Diese stellt eine Bandwurm-Frage, in der sie zunächst die Erfolge der chinesischen Regierung in den vergangenen 40 Jahren erwähnt, dann die Seidenstraßen-Initiative lobend hervorhebt und zum Schluss fragt, was Peking tue, um Fehlinvestitionen von chinesischen Firmen im Ausland zu verhindern. Dabei spricht sie von „wir“ anstatt von der chinesischen Regierung.

Es wirkt wie eine der inszenierten Fragen, die chinesische Reporter häufig auf Pressekonferenzen in China stellen. Sie sind vorher abgesprochen und dienen nur der Inszenierung. Die Journalistin Liang Xiangyi verdreht auf der Sequenz die Augen und schüttelt genervt den Kopf. Inzwischen sind das kleine Videoschnipsel und ihr Name im chinesischen Internet geblockt.

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