Xis zweite Amtszeit China wählt den Rückwärtsgang

Xi Jinping hat beim Parteitag seine Position an der Spitze des Landes weiter gestärkt. Chinas Präsident ist nun mächtiger denn je. Für die Wirtschaft ist das keine gute Nachricht.

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Um die einstige Machtfülle von Staatsgründer Mao Zedong zu verstehen, muss man seine Kampagne gegen Spatzen kennen. Im Sommer 1957 befahl Mao seinen Bürgern, alle Spatzen des Landes zu töten, damit diese nicht mehr die ausgeworfene Saat fressen konnten. Keine Spatzen müssten zu einer besseren Ernte führen, dachte der Diktator. Die Menschen hetzten die Tiere darauf so lange am Himmel umher, bis diese vor Erschöpfung tot zu Boden fielen. In den folgenden Jahren erlebte die Volksrepublik eine grausame Hungersnot, da die Spatzen fehlten, um die Getreideschädlinge zu fressen.

Die neuen starken Männer in China

60 Jahre später hilft die Anekdote nicht nur, Mao Zedongs Herrschaftszeit zu verstehen. Sie wird mit Xi Jinpings zweiter Amtszeit aktueller denn je. Denn diese Woche hat die Kommunistische Partei Generalsekretär Xi mit der gleichen Machtfülle ausgestattet wie einst Chinas Staatsgründer. Die Anekdote zeigt, wohin sich China in den kommenden Jahren entwickeln könnte. Xis Wille ist nun Gesetz. Für die Wirtschaft ist das keine gute Nachricht.

Als Xi vor fünf Jahren zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas ernannt wurde, galt er als Hoffnungsträger. Viele Beobachter erwarteten von dem heute 64-Jährigen wirtschaftliche Reformen, die Verschlankung der aufgeblähten Staatsbetriebe und die Privatisierung wichtiger Industrien, die immer noch von Firmen in Staatshand dominiert werden.

Doch während Xi noch als Chef auf Provinzebene für marktwirtschaftliche Reformen gekämpft und Privatunternehmen gefördert hatte, blieben die Erwartungen an ihn unerfüllt. Staatsunternehmen wurden nicht gesundgeschrumpft, sondern zu Giganten verschmolzen, Überkapazitäten weiter erhöht und die Situation für ausländische Unternehmen erschwert. Mehr Marktzugang: Fehlanzeige.

 

Mao Tsetung gründete das kommunistische China, Deng Xiaoping brachte es zu Wohlstand. Xi Jinping träumt vom Aufstieg Chinas zur Weltmacht. Mit dem Abschluss des 19. Parteikongresses beginnt seine „neue Ära“.

Dabei wären Reformen gerade jetzt wichtig. Um das Wachstum weiter bei rund 6,5 Prozent zu halten, hat China in den vergangenen Jahren gewaltige Schulden angehäuft. Diese sind inzwischen laut des Merics Instituts auf 328 Prozent des Bruttoinlandsprodukts geklettert. „Bis jetzt ist das Risiko einer plötzlichen Marktpanik dadurch begrenzt, dass die Kommunistische Partei nahezu alle Bereiche des Finanzsystems kontrolliert“, schreibt Victor Shih, Professor für politische Ökonomie an der Universität San Diego in einer aktuellen Risikoanalyse für das Merics Institut.

Doch die Kombination aus Kapitalflucht und plötzlichen Kreditrückforderungen internationaler Geldgeber könnte Chinas Finanzsystem ins Wanken bringen. „Chinas größte Verwundbarkeit liegt in den schrumpfenden Devisenreserven und steigender Auslandsverschuldung.“ Diese Faktoren könnten eine massive Abwertung des Yuan, Zahlungsausfälle und einen dramatischen Preisverfall chinesischer Vermögenswerte zur Folge haben, so der Experte.

 

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von Marc Etzold

Chinas Parteitag: Von Krise keine Spur

Doch die Schulden waren beim Parteitag kein Thema. Die sieben Tage kamen einer Huldigung des Generalsekretärs gleich. Von Krise keine Spur. Was Xi in den kommenden fünf Jahren vorhat, machte er gleich zu Beginn des Parteitags bei seiner dreieinhalbstündigen Rede in Peking deutlich. Kurzversion: Das Land sei weiterhin in der Entwicklung zu einem modernen sozialistischen Land. Aktuell befände man sich in einer „neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“.

Bis 2035 soll jeder Chinese zu moderatem Wohlstand gekommen und das Land in die Riege der führenden Industriestaaten aufgestiegen sein. Bis 2050 werde die Partei das Land dann zu einem vollständigen sozialistischen Land ausgebaut haben: reich, stark, friedlich, umweltfreundlich und – klar – eine Weltmacht auf Augenhöhe mit den USA. Seine Pläne sind nunmehr auch Gesetz. Die rund 2300 Abgeordneten stimmten am Dienstag für die Aufnahme von Xis Konzept in die Parteiverfassung. Das schaffte zu Lebzeiten nur Mao Zedong. „Xi Jinping – Denken über den Sozialismus chinesischer Prägung für eine neue Ära“ nennt sich das neue Kapitel.

Dieses umfasst zunächst Xis Verständnis von Chinas neuer Rolle in der Welt. Sein selbstbewusstes, pro-aktives und aggressives Auftreten im Ausland unter anderem in der Form der Seidenstraßen-Initiative, in dessen Rahmen das Land 750 Milliarden Dollar in Infrastrukturprojekte weltweit pumpt. Es enthält den Umbau der Wirtschaft hin zu einem innovationsgetriebenen Modell, die Re-Ideologisierung der Gesellschaft, die Stärkung des Militärs sowie Xis Kampf gegen Korruption.

Per se klingt die Denke Xis gar nicht so schlecht. Vor allem das Thema Ungleichheit, das viele Kritiker seit Jahren bemängeln, soll nun auf die Agenda kommen. Es gäbe einen Widerspruch zwischen „unausgeglichenen und unzureichenden Entwicklung und den ständig steigenden Bedürfnissen des Volkes nach einem besseren Leben“, bemängelte der Präsident in seiner Eröffnungsrede.

Im Klartext: Nach drei Jahrzehnten zügellosen Wachstums sei das Land zerrissen zwischen arm und reich. China, so Xi, müsse sich deshalb nun mehr auf Nachhaltigkeit, soziale Standards und die Umwelt konzentrieren.

Nur wie China diese Probleme lösen will, macht vielen Beobachtern Sorgen. Denn Xi schwebt nicht die Öffnung der Wirtschaft, eine Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie oder die Förderung einer starken und wehrhaften Zivilgesellschaft vor. Die einzige Antwort, die Xi auf die Fragen der Zukunft findet, ist die Stärkung der Partei, des Staates und seiner eigenen Rolle.

Analyst Larry Brainard von der Londoner Beratungsfirma TS Lombard geht davon aus, dass China weiter auf staatlich gelenkte Wachstumsstrategien setzen wird mit klaren Zielvorgaben für die Schlüsselindustrien und staatlichen Subventionen. „Es sind keine Reformen, wie man sie sich im Ausland vorstellt.“

Die chinesische Global Times titelte die Tage, dass der Westen noch viel lernen müsste, um die Kommunistische Partei zu verstehen. Dort, wo die Redakteure des staatlichen Blatts sonst über den Niedergang des Westens spotten, verkündete das Blatt, dass in China nun eine neue Ära anbräche.

Die wirkt allerdings viel mehr wie der Rückwärtsgang. Nun liegt wieder alle Macht in den Händen eines Mannes. Xi ist so mächtig wie Mao und dessen Macht war so groß, dass ihm selbst die wichtigsten Köpfe der Partei nicht mehr zu widersprechen wagten, als er vor 60 Jahren den Kampf gegen Spatzen ausrief. Dabei hätte schon ein einfacher Bauer gereicht, ihm seinen Irrtum zu erklären.

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