Xu Ganlu „Ein schmerzhafter Prozess“

Der Vizeministerpräsident der wachstumsstarken chinesischen Provinz Henan spricht über die Chancen und Risiken der Binnenregionen. Er kämpft vor allem gegen die Umweltverschmutzung und unrentable Staatsbetriebe.

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Eigentlich war nur ein kurzer Austausch in der großen Empfangshalle der Hauptstadt Zhengzhou angedacht, dann wurde es ein lebendiges Gespräch.

Xu Ganlu ist der für Wirtschaft und Sicherheit zuständige stellvertretende Ministerpräsident von Henan, der mit 107 Millionen Menschen bevölkerungsreichsten Provinz Chinas. Sie wächst jährlich um 8,3 Prozent und gilt als Kaderschmiede der Kommunistischen Partei.

Herr Xu, wie versucht sich die Binnenprovinz Henan im Wettbewerb der chinesischen Provinzen zu positionieren?
Indem wir unsere Stärken betonen.

Und die wären?
Henan liegt im Kreuz von zwei großen Achsen Chinas, der von Nord nach Süd sowie der von Ost nach West. Wir sind ein Logistikdrehkreuz mit neuen Autobahnen und Eisenbahnlinien. Dreimal die Woche fährt ein Güterzug nach Hamburg. Und wir sind die Wiege der chinesischen Zivilisation. Im Laufe unserer Geschichte regierten über 200 Kaiser in Henan. Bei uns liegt das Shaolin-Kloster, das weltweit Kung-Fu lehrt. Wir sind also ein wichtiges Tourismuszentrum mit 500 Millionen Besuchern jährlich. Schließlich stellen wir ein Drittel des Getreides Chinas her. Das ist doch eine solide wirtschaftliche Mischung.

Das ist die Schokoladenseite. Wo liegen die Problemzonen der Provinz?
Die Qualität unserer Industrie muss besser werden. Der Dienstleistungssektor ist unterentwickelt. Wir müssen besser ausbilden, so wie in Deutschland beim dualen System. Und wir werden in zwei Jahren sieben Millionen Menschen aus der absoluten Armut befreien. „Tötet Armut!“ ist unser Motto. Als Binnenprovinz wird Henan nun in einer „zweiten Welle“ modernisiert. Zuerst sind die Küstenprovinzen dran gewesen.

Welche Fehler wollen Sie vermeiden?
Wir wollen nicht Wirtschaftswachstum um jeden Preis. Henan darf nicht unter dem Dreck bestimmter Industrien leiden. Das Glück der Menschen soll wachsen.

Woran messen Sie das?
Am größeren Wohlstand des Einzelnen. Wir müssen den Mindestlohn erhöhen sowie eine sichere Kranken- und Sozialversicherung einführen. Kinder aus armen Familien bekommen kostenloses Schulessen. Junge Erwachsene brauchen eine kostenlose Ausbildung.

Wie passen die maroden Staatsbetriebe mit vielen Arbeitnehmern in dieses Konzept?
Wir führen zwei Hauptkriege hier. Den einen gegen die Umweltverschmutzung, den anderen gegen unrentable Staatsbetriebe. Die Produktionskapazitäten von Kohle und Stahl werden deshalb drastisch reduziert. Etliche Unternehmen müssten ihre Tore schließen. Das ist ein schmerzhafter Prozess. Parallel dazu werden wir die Staatsbetriebe von Sozialleistungen befreien, unter denen sie leiden. Manche können dann überleben. Gleichzeitig jedoch brauchen wir mehr kleine und mittelständische Betriebe. Nur so können wir in dieser sehr bevölkerungsreichen Provinz neue Jobs schaffen – und einen Mittelstand so wie in Deutschland. Dazu brauchen wir die Deutschen.

Herr Xu, vielen Dank für das Interview.

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