Ziviler Widerstand in Katalonien „Wenn unsere Polizisten kommen, bieten wir ihnen Frühstück an“

Die Katalanen wollen über ihre Unabhängigkeit abstimmen – und werden dabei kreativ: In Barcelona besetzen Eltern Schulen, die als Wahllokale für das Referendum dienen sollen, damit die Polizei sie nicht schließen kann.

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Am Sonntag um neun öffnen die Wahllokale. Damit sie nicht vorher geschlossen werden, besetzen Katalanen die Wahllokale. Quelle: dpa

Barcelona Es sieht aus wie ein Tag der offenen Tür: Die Tore der städtischen Schule Diputació im Zentrum von Kataloniens Hauptstadt Barcelona stehen weit auf. Drinnen laufen Großmütter, Eltern und Kindern durcheinander. An einem improvisierten Buffet gibt es Wassermelone, Teilchen und Oliven auf Plastiktellern sowie Saft zum Trinken. Auf dem Gummiplatz zwischen Hochhausbalkonen spielen Kinder Fußball Basketball. „Festa de la Tardor“, Herbstfest, nennen die Eltern die Aktion, deren Programm nonstop läuft. Genauer gesagt bis Sonntagmorgen um neun Uhr.

Dann öffnen in Katalonien die Wahllokale für das Referendum über die Abstimmung der Region von Spanien. Doch das Vorgehen ist illegal, weil die spanische Verfassung die Einheit des Landes vorschreibt. Die Zentralregierung in Madrid will das Referendum deshalb verhindern. Sie hat dazu die katalanische Polizei Mossos d’Esquadra angewiesen, Schulen wie Diputació, die als Wahllokale dienen sollen, bis Sonntag früh um sechs Uhr zu schließen.

In der Schule Diputació wollen 50 bis100 Eltern wollen übernachten – ihr letzter Programmpunkt beginnt um 4 Uhr morgens. Er heißt „die Sonne aufgehen sehen“ und könnte vieldeutiger nicht sein. „Wenn die Mossos dann kommen, bieten wir Ihnen ein Frühstück an“, sagt Guillem Puig, einer der Väter, die die Besetzung organisiert haben. „Die katalanische Regierung hat die Aktivitäten gebilligt, deshalb gehen wir davon aus, dass wir das hier tun dürfen.“

Die Mossos sehen die meisten Separatisten als ihre Freunde. Und in der Tat ist unklar, wie sich die katalanische Polizei bei dem Referendum verhalten wird. Madrid hat sie vor wenigen Tagen der Führung des spanischen Innenministeriums unterstellt und mit der Schließung aller Wahllokale beauftragt. Die Mossos aber haben zu verstehen gegeben, dass für sie die Sicherheit aller Katalanen an erster Stelle steht. Das sei ihr ureigener Auftrag.

Nach Angaben der katalanischen Regierung sind die Mossos bislang an 1300 als Wahllokale designierten Schulen gewesen, davon waren 163 besetzt, also rund zwölf Prozent. Insgesamt sind in der ganzen Region 2315 Wahllokale ausgesucht, wo morgen abgestimmt werden soll.

Ein Plan B der Regierung – die Abstimmung per Internet – hat sich inzwischen zerschlagen: Am heutigen Samstag hat die spanische Polizei das IT- und Telekommunikationszentrum der katalanischen Regierung besetzt. Sie will dort bis zum Dienstag bleiben – für den Fall, dass geplant war, das Zentrum zur Stimmenauszählung zu benutzen.

Die Besetzung der Wahllokale ist der Beginn von zivilem Widerstand, der sich am morgigen Sonntag Hunderttausendfach auf den Straßen von Barcelona wiederholen könnte. Rund zwei bis drei Millionen Katalanen sind Umfragen zufolge für die Unabhängigkeit. Wenn sie morgen alle wählen gehen und vor verschlossenen Wahllokalen stranden oder von Mossos oder der spanischen Polizei aufgehalten werden, erreicht der Konflikt einen Höhepunkt, dessen Folgen schwer abzusehen sind.

Jordi Sánchez, Präsident der separatistischen Bürgerbewegung ANC hat am Samstag über Twitter erklärt, wenn unter diesen Umständen eine Millionen Menschen am Sonntag abstimmen würden, dann wäre das Ergebnis valide. Die Repression könne die Abstimmung nicht verhindern.

In Madrid haben am Samstag rund 10.000 Spanier für die Einheit des Landes demonstriert. Auch in anderen spanischen Städten fanden die Demos statt, in Barcelona versammelten sich mit spanischen Flaggen ausgestattet rund 350 Menschen vor dem Rathaus. Schulbesetzungen und Demos liefen alle friedlich ab.

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