Wie damals in seiner Kindheit blasen die Schlote der Stahlfabriken schädlichen Qualm in die grauen Wolken von Donezk. Das Kubyschew-Viertel, wo Rinat Achmetow aufwuchs, ist heute Teil des Zentrums. Jenseits der Wohnsilos dreht sich immer noch der Förderturm der alten Kohlegrube. Sein Vater holte sich dort eine Staublunge, sie brachte ihn ins Grab. Irgendwo hier muss auch der versiffte Boxkeller gewesen sein, in dem sich der schmale Rinat einst verprügeln ließ. Der Gegner hieß Viktor, stammte aus der Nachbarschaft und wirkte unheimlich mächtig.
Heute sind die Rollen umgekehrt. Viktor Janukowitsch ist zwar Präsident des Landes – aber er tanzt nach der Pfeife von Achmetow, seinem heute mehr als 15 Milliarden Dollar schweren Boxkumpel von damals. Die Ukraine ist vergleichbar mit dem Russland der Neunzigerjahre, als mächtige Oligarchen eine schwache Politikelite dominierten, derweil das ganze Land unter Korruption apokalyptischen Ausmaßes leidet. Anders als Putin hat es Janukowitsch nie vermocht, sich von den Wirtschaftskapitänen zu emanzipieren.
Staatskrise schadet den Geschäften
In der Region Donbass, wo auch Donezk liegt, schlägt das industrielle Herz der Ukraine und entscheidet sich ihr Schicksal. Dort sitzen die Wirtschaftsmächtigen, die mit dem Zugriff auf Parteien und Fernsehkanäle enormes politisches Kapital besitzen. Die meisten sind für baldige Neuwahlen, damit das Chaos der Staatskrise ein Ende hat – allein schon, weil es ihren Geschäften schadet. Und sie wähnen die Zukunft ihres Landes eher in Europa denn in Russland, schlichtweg, weil der Westen einen verlässlicheren Rahmen für ihre Geschäfte bietet als Russland. Steffen Halling von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) ist sicher: „Der Einfluss der Oligarchen wird entscheidend sein, ob sich die Ukraine künftig an Europa oder Russland orientiert.“
In den Medien ist oft von Spaltung die Rede: Der Osten strebe in den Schoß der Russen, einzig der Westen sei europäisch. In Wahrheit hat sich weithin unbemerkt eine eigentümliche Allianz gebildet. Die Oligarchen rücken ab von ihrem Präsidenten, den sie gepäppelt und durchgefüttert haben, und finanzieren die Opposition. Die Ukrainer harren seit Ende November auf den Straßen aus und frieren bei Temperaturen unter minus 20 Grad auf ihren Barrikaden fest – einzig, um Präsident Viktor Janukowitsch zu stürzen. Ihm nehmen sie den Abbruch der ausgemachten EU-Assoziierung fast so krumm wie die Ignoranz seiner käuflichen Regierung, die das Land offenbar an Russland verscherbelt. Die Fernsehsender der Oligarchen greifen die Kritik daran mitunter wohlwollend auf.
Auf ausländische Kredite angewiesen
„Alle zehn Jahre eine Revolution – das ist zu viel für ein Land“, klagt Gennadi Chyzhykow. Der Präsident des Unternehmerverbands der Ukraine stammt aus Donezk. Er kennt all die Mächtigen und weiß: Die permanente Instabilität schadet der Wirtschaft – etwa, weil die Zinsen steigen. So sieht das auch einer von Achmetows Managern: „Die Krise führt zu einem Vertrauensverlust in die Ukraine und uns als Stahllieferanten.“ Dies sei das Schlimmste, was einem Unternehmen passieren könne. Und so drängen die Oligarchen auf Veränderungen – in Richtung Europa.
Zunächst aber muss sich die Ukraine aus einer jahrelangen Selbstblockade befreien, die das Land permanent am Rande des Staatsbankrotts taumeln lässt. Der Berliner Ökonom Robert Kirchner beschreibt den Teufelskreis: Während die Wirtschaft stagniert, sind die Defizite in Leistungsbilanz und Haushalt massiv gestiegen – auch weil die Regierung die Verbraucherpreise für die teuer aus Russland importierte Energie subventioniert. Um das Zwillingsdefizit zu finanzieren, ist das Land auf ausländische Kredite angewiesen. Dies könne man mittelfristig nur durchbrechen, indem man die Wirtschaft auf solide Grundlagen stelle – also ein wettbewerbsfähiges Wirtschaftssystem schaffe, meint Kirchner, der die ukrainische Regierung in Wirtschaftsfragen berät.