Zukunftsländer Der Wohlstand des Westens ist angezählt

Erst bedrohten die BRIC-Staaten den westlichen Wohlstand – mittlerweile schwächeln sie. Doch schon stehen weitere Herausforderer in den Startlöchern. Ist der westliche Wohlstand gefährdet?

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Das Ende des Wachstums
Brasilien: Schwache Strukturen bremsen das große PotenzialDie größte Volkswirtschaft Lateinamerikas will nicht mehr so recht anlaufen. Wuchs sie 2010 noch um über sieben Prozent, hat sie seitdem nicht einmal mehr drei Prozent erreicht. Der IWF korrigierte seine aktuelle Prognose sogar noch nach unten. Unter den Schwellenländern wurde die Prognose für Brasilien am stärksten gekürzt. Hier sieht der IWF im laufenden Jahr ein Wachstum von 0,3 Prozent und im nächsten Jahr von 1,4 Prozent. Im Juli rechnete der IWF noch mit 1,3 Prozent und zwei Prozent Plus. Langfristig sehen mehrere Studien nach wie vor ein großes Wachstumspotenzial für Brasilien. Das liegt vor allem an dem Rohstoffreichtum des Landes, der gut funktionierenden Landwirtschaft und der großen und konsumfreudigen Bevölkerung. Kurz- und mittelfristig seien die Aussichten allerdings unsicher. So bemängeln Analysten die hohen Steuern und das komplizierte Steuersystem. Weitere Wachstumshemmnisse sind die marode brasilianische Infrastruktur und die schwerfällige Bürokratie. Hohe Löhne und Finanzierungskosten sowie protektionistische Handelsregeln halten Investoren derzeit auf Abstand. Auch qualifizierte Arbeitskräfte sind Mangelware - die Arbeitsproduktivität in der sechst größten Volkswirtschaft der Welt liegt 30 bis 50 Prozent unter dem europäischen Niveau. Die Arbeitslosenquote ist mit 5,6 Prozent relativ moderat. Brasiliens Präsidentin Dilma Roussef hat nach ihrem knappen Wahlsieg viel zu tun, wenn sie die Potenziale ihrer Volkswirtschaft ausreizen will. Quelle: dapd
„Sollte das Wachstum jetzt geringer ausfallen, wird die Regierung alle Instrumente nutzen, um eine Konjunkturabkühlung zu verhindern“, erwartet José Carlos de Faria, Chefökonom der Deutschen Bank in São Paulo. Unterstützung erhält die Konjunktur dadurch, dass derzeit staatliche und private Infrastrukturprojekte für umgerechnet rund 180 Milliarden Euro bis 2014 umgesetzt werden. Und Brasilien verfügt über Spielraum für weitere Stimulierungen. Die Devisenreserven sind hoch, ausländisches Kapital strömt weiter ins Land, und auch die Notenbank kann die Zinsen noch senken. Doch Wachstumsraten von über sieben Prozent wie 2010 sind außer Sichtweite: Nach einer Umfrage der Zentralbank rechnen die führenden Investmentbanken damit, dass Brasilien 2013 rund vier Prozent wachsen wird. Alexander Busch Quelle: AP
Russland: Die Wirtschaftssanktionen sind nicht Russlands größtes ProblemDer größte Flächenstaat hat sich selbst in eine Krise manövriert. Die politische Machtdemonstration in der Ukraine kostet Russlands Wirtschaft Kraft. Erst im vergangenen Monat hat die US-Ratingagentur Moody's die Kreditwürdigkeit Russlands deswegen von „Baa1“ auf „Baa2“ herabgestuft – damit liegt die Bonität Russlands nur noch knapp über dem Ramschniveau. Auch der Ausblick für die zukünftige Entwicklung ist negativ. Die Sanktionen des Westens belasten die mittelfristigen Wachstumsaussichten. Der IWF geht davon aus, dass die russische Wirtschaft in diesem Jahr um 0,2 Prozent und im nächsten Jahr um 0,5 Prozent wachsen wird. Allerdings sind die Wirtschaftssanktionen nicht das größte Problem Russlands. Der Absturz des Rubels und des Ölpreises machen der Wirtschaft viel mehr zu schaffen. Quelle: picture-alliance/ dpa
Gazprom profitiert zwar von dem Ende des Gasstreits zwischen der Ukraine und Russland – gute Zukunftsaussichten sehen aber anders aus. Der Ölpreis ist aufgrund der nachlassenden Weltkonjunktur von 107 Dollar pro Fass auf 86 Dollar gefallen. Für die vom Öl und von Gas abhängige russische Wirtschaft birgt das große Probleme – Russland generiert rund die Hälfte seiner Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Die Schwäche des Rubels drückt das Wachstum ebenfalls und kostet Russland monatlich Milliarden. Seit Januar ist der Kurs des Rubels um 20 Prozent gefallen. Das führt dazu, dass die Importe teurer werden. Der Lebensmittelpreis ist beispielsweise im September um zwölf Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Quelle: dpa
Indien: Eine Wirtschaft auf ReformkursGemessen an den Bevölkerungszahlen ist Indien die zweitgrößte Wirtschaft der Welt. Auch in Bezug auf das Wirtschaftswachstum war Indien lange Zeit weltspitze. 2010 wuchs die Wirtschaft noch um über zehn Prozent – 2014 sind es vergleichsweise nur noch magere fünf Prozent. Gemessen an den westlichen Industrieländern ist diese Quote allerdings immer noch beeindruckend. Für 2015 erwartet der IWF, dass die indische Wirtschaft wieder stärker anzieht. Ein Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent wird erwartet. Besonders tragen dazu die Bereiche Elektrizität, Gas- und Wasserversorgung sowie Finanzen an. Analysten fühlen sich in ihrer Annahme bestätigt: Sie mutmaßten, dass das zuletzt verhältnismäßig enttäuschende Wirtschaftswachstum auf eine ineffiziente Wirtschaftspolitik zurückzuführen ist. In den letzten beiden Jahren wuchs die indische Wirtschaft um weniger als fünf Prozent. Der neue Premierminister Narenda Modi reformiert das Land. So erneuert er beispielsweise die indischen Arbeitsgesetze, die zum Teil noch aus der Zeit der britischen Kolonialherrschaft stammten, die 1974 endete. Quelle: ap
Problematisch ist für Indien die nach wie vor hohe Abhängigkeit von der Landwirtschaft. Zwar macht sie mittlerweile nur noch 14 Prozent der Wirtschaftsleistung aus, von ihren Erträgen hängt aber immer noch das Wohl von 40 Prozent der Bevölkerung ab. Der Monsunregen, der für die Landwirtschaft existenziell ist, fiel in diesem Jahr nur schwach aus. Ein weiteres Problem ist die Teuerung, die Indien nicht in den Griff zu kriegen scheint. Im Juli lagen die Verbraucherpreise Indiens über acht Prozent über dem Vorjahreswert. Der Notenbankgouverneur Raghuram Rajan hat sich deshalb verpflichtet, den Anstieg der Konsumentenpreise bis 2015 auf unter acht Prozent zu drücken. Quelle: dpa
China: Vom Bauernstaat zur modernen DienstleistungsnationVon 2002 bis 2012 wuchs Chinas Wirtschaft um unfassbare 170 Prozent. Doch die Zeiten des Super-Wachstums scheinen vorerst vorbei zu sein. Im dritten Quartal 2014 ist die chinesische Wirtschaft so langsam gewachsen wie seit 2009 nicht mehr. Der IWF geht aber nach wie vor von Wachstumsraten über sieben Prozent aus. China ist aber nur scheinbar geschwächt. Die Staatsführung will die Wirtschaft neu ausrichten und ist bereit, dafür geringeres Wachstum hinzunehmen. Der Kurs scheint erfolgreich. Alleine in den ersten acht Monaten dieses Jahres wurden in China zehn Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen. Ein moderner Dienstleistungsstaat will China werden. Dienstleistungen trugen im ersten Halbjahr 2014 mit 46 Prozent mehr zum BIP bei als die Industrie. Die Hightech-Industrie legte um 12,4 Prozent zu. Zu den neuen Motoren der chinesischen Wirtschaft zählt auch das Online-Geschäft, das um fast 50 Prozent zulegte. Quelle: dpa

Die Sowjetunion hat Amerika aus wirtschaftlicher Sicht endgültig abgehängt; der Kapitalismus ist zusammengebrochen. So hätte es zumindest 1980 kommen müssen, wenn Paul Samuelson mit seiner Vorhersage richtig gelegen hätte. In den Sechzigern verklärte der erste amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger die Sowjetunion als ein erfolgreiches Experiment und unkte, sie würde Amerika abhängen. Die Geschichte belehrte Samuelson eines Besseren.

Es gibt immer wieder solche Prognosen: China, Indien, Brasilien, Russland – die BRIC-Staaten galten lange als Herausforderer des westlichen Wohlstands. Mittlerweile ist es fraglich, ob sie ihrer Rolle gerecht werden.

Wissenswertes über Indonesien

Russland leidet unter dem Ressourcenfluch und hat es nicht geschafft, andere Wirtschaftszweige neben der Rohstoffindustrie aufzubauen. Brasilien versteckt sich hinter protektionistischen Maßnahmen. Auch das Wachstum in Indien und China nimmt ab.

Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei, die sogenannten MINT-Länder, könnten die nächsten sein, die die Position des Westens bedrohen. All diese Staaten haben großes Wachstumspotenzial. Die Frage ist: Wie wahrscheinlich spielen sie dieses aus? Und: Wovon hängt das ab? Werden die Schwellenländer entwickelten Wirtschaften wie Deutschland und Amerika ökonomisch künftig den Rang ablaufen?

Wissenswertes über Nigeria

Samuelsons Vorhersage aus den Sechzigern zeigt: Selbst den größten Ökonomen fällt es schwer, die Zukunft von Volkswirtschaften vorherzusagen. „Das hat zwei Gründe“, sagt Thorsten Makowski, Chef der Unternehmensberatung Valueneer und Lehrbeauftragter an der Mannheimer Business School: „Die Entwicklung unserer Welt ist erstens nicht stetig und zweitens nicht linear.“

Faktoren, die das Wachstum bestimmen

Vorhersagen über das künftige Wachstum orientierten sich an Modellierungen, die die Realität nicht eins-zu-eins wiederspiegeln, sich ihr aber annähern. In diesen Annäherungen entscheiden zwei Aspekte über das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft.

Zuerst wäre da die Bevölkerungsgröße. Ihretwegen dürften die Wirtschaften Europas und Japans künftig weniger wachsen und die indische und die nigerianische stärker zulegen. In Afrika und Südostasien warten viele weitere Länder mit hohen Fertilitätsraten auf. Macht sie das alleine zu den Wachstumsmotoren der Zukunft?

Was langfristiges Wachstum ausmacht

Mitnichten. Denn das langfristige Wachstum hängt ebenso vom Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ab, dem zweiten entscheidenden Aspekt. Das wiederum wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.

Der wichtigste dabei ist die politische Stabilität. Deswegen ist es unklar, inwieweit Afrika ein Wachstumsmotor sein wird. Klar ist: „Wenn Afrika politisch an Stabilität gewinnt, könnte es in den nächsten 30 Jahren die wichtigste Wachstumsregion der Welt sein.“ Ob das gelingt? Unwahrscheinlich.

China und die Rolle des Einkommensniveaus

Bessere Aussichten haben die Staaten in Südostasien. Sie teilen einige der großen Potenziale Afrikas. Neben dem starken Bevölkerungswachstum in beiden Regionen beweist das ein weiterer Faktor, der sich auf das BIP pro Kopf auswirkt: „Wenn der wirtschaftliche Entwicklungsgrad auf einem niedrigen Niveau ist, wächst eine Wirtschaft schneller“, sagt Makowski.

Deutsche sehen China als Bedrohung
Wirtschaftsmacht37 Prozent der befragten Deutschen assoziieren mit China vor allem eine starke Wirtschaftsmacht. Faszination und Angst polarisieren hierzulande die Bevölkerung im Bezug auf Chinas ökonomische Stärke. Das Land wird als Schlüsselrolle für die eigene und internationale Entwicklung gesehen und 57 Prozent der Befragten beurteilen die deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen sogar als wichtiger als die zu den USA. Gleichzeitig geht mit dem Wirtschaftsboom Chinas aber auch die Angst einher, chinesische Unternehmen könnten deutsche Firmen von den internationalen Märkten verdrängen. 59 Prozent der Deutschen empfinden Chinas starke Wirtschaft daher als Bedrohung. Quelle: dpa/dpaweb
BevölkerungswachstumBabyboom und Bevölkerungswachstum, daran denken 20 Prozent der Deutschen, wenn sie das Stichwort China hören. Derzeit leben 1,35 Milliarden Menschen in China, die Bevölkerungsdichte beträgt 143 Einwohner pro Quadratkilometer. Doch die Bevölkerung wird noch weiter wachsen, um 0,6 Prozent pro Jahr. Für 2032 rechnen Statistiken mit 1,467 Milliarden Menschen in China, bei einer gleichbleibenden Fertilitätsrate von 1,7 Kindern pro Frau. Viele Deutsche sehen das auch als Bedrohung an. Quelle: REUTERS
Kommunismus15 Prozent fällt spontan der Kommunismus ein, wenn sie an China denken. Während China im ökonomischen Bereich erfolgreich in den internationalen Handel eingebettet wurde und sich für ausländische Investoren geöffnet hat, ist das Land politisch in den Augen der Deutschen weiterhin ein diktatorisches Ein-Parteien-System unter Führung der Kommunistischen Partei. Die ist mit etwa 78 Millionen Mitglieder nicht nur die größte kommunistische Partei der Welt, sondern auch die mitgliederstärkste Partei allgemein. Deutsche verbinden mit ihr ein vornehmlich negatives Bild. Quelle: REUTERS
Chinesische MauerMan kennt sie aus Reiseprospekten und gefühlt jedes zweite China-Restaurant ist nach ihr benannt. Nicht weiter verwunderlich also, dass 15 Prozent der Befragten mit China die Chinesische Mauer assoziieren. Sie gilt als Weltkulturerbe und erstreckt sich über 21.196 Kilometer. Früher sollte die Mauer vor allem zum Schutz vor Völkern aus dem Norden dienen, heute ist sie eine der meistbesuchten Touristenattraktionen Chinas und lockt Reisende aus aller Welt an. 36 Prozent der Befragten haben daher sehr großes oder großes Interesse an China als Reiseland. Quelle: dpa
Chinesisches EssenPeking-Ente, Reis süß-sauer - und das alles mit Stäbchen: 14 Prozent der befragten Deutschen denken beim Stichwort China an chinesisches Essen. Was Viele aber nicht wissen: Chinesisches Essen ist nicht gleich chinesisches Essen. Die meisten der 23 Provinzen Chinas haben ihre eigene Regionalküche. Zu den populärsten gehört die würzige Küche aus Sichuan, die gerne Sojasauce, Ingwer und Frühlingszwiebeln verwendet, die scharfe Xiang-Küche aus Hunan und die kantonesische Yue-Küche, die vor allem durch die Verwendung ungewöhnlicher Zutaten wie Hundefleisch bekannt geworden ist. Übrigens: Die Peking-Ente ist das berühmteste Gericht der chinesischen Küche. Quelle: REUTERS
MenschenrechtsmissachtungEbenfalls 14 Prozent fallen zu China Menschenrechtsverletzungen ein. Auf die Frage, wo sie das Land gegenwärtig und in 15 Jahren beim Schutz der Menschenrechte sehen, ordneten 60 Prozent der Befragten die Volksrepublik in die Schlussgruppe ein, nur 1 Prozent sieht China als Spitzengruppe in Bezug auf Menschenrechte. Auch das Bild Chinas als ein Rechtsstaat stößt auf wenig Zustimmung bei den Deutschen. 49 Prozent stimmten der Aussagen gar nicht zur, nur 1 Prozent sieht China als Rechtsstaat an. 80 Prozent der befragten Bevölkerung geht außerdem davon aus, dass in China kaum oder keine Debatten über politische Themen geführt werden. Quelle: dpa
Diebstahl von Ideen12 Prozent denken, China spioniere deutsche Unternehmen aus und verkaufe die Ideen aus dem Westen als eigene. Nachgebaute Ware aus China, oft zum Spottpreis, macht deutschen Unternehmen das Leben schwer. Auch das Markenimage chinesischer Produkte ist bei den befragten Deutschen schlecht. So assoziieren viele Konsumenten in Deutschland chinesische Produkte mit einfache, technisch wenig anspruchsvolle Billigware. Quelle: dpa

Anders formuliert: Niedrige Einkommen beflügeln das Wachstum. Ein klarer Vorteil Afrikas. „Die Länder mit dem niedrigsten Einkommensniveau weltweit liegen allesamt in Afrika“, so Makowski. Auf die afrikanischen Staaten folgt Südostasien – mit Ländern wie Bangladesch. Dort liegt der Durchschnittslohn monatlich bei 500 Euro – in der Textilindustrie verdienen Arbeiter zum Teil weniger als 100 Euro im Monat.

Wegen des Einkommensniveaus dürfte China kaum das Wachstum der Vergangenheit halten. Gemessen am Lohnniveau der USA liegt es derzeit bei 86 Prozent. Zudem hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aufgrund der Ein-Kind-Politik den Vorteil des Bevölkerungswachstums verspielt. „China hat keine Chance, die Rolle, die es in den letzten 30 Jahren hatten, in Zukunft zu spielen“, konstatiert Makowski.

Wirtschaftswachstum bedeutet nicht mehr Wohlstand

Ein weiteres Problem Chinas hängt mit der politischen Stabilität zusammen. „China muss eine Balance finden zwischen politischer Stabilität, die das System trägt und einem Wachstumskurs“, sagt Makowski.

Die Stabilität sei aber nur zulasten des Wachstumskurses erreichbar. Im Moment erhöhe China die Einkommen überproportional zum BIP-Wachstum. Geld, das für Investitionen fehlt – was auf lange Sicht das Wachstum dämpft.

Der derzeitige Kurs Chinas widerlegt ein weitverbreitetes Irrtum: Die Wachstumschancen einer Volkswirtschaft werden oft mit der Wohlstandsperspektive der Bevölkerung gleichgesetzt. Das ist falsch. „Langfristig hängt die Vergütung eines Arbeiters immer von seiner Wertschöpfung ab“, sagt Makowski.

Deutschland profitiert vom Aufschwung anderer

Länder wie Mexiko etablieren deswegen die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild, denn: Die Haupttreiber für Löhne und Wohlstand sind Bildung und Ausbildung – und damit die Qualität von Schulen, Universitäten und unternehmerischer Ausbildung.

Das bedeutet im Umkehrschluss: In Ländern, die besonders stark wachsen, profitieren weite Teile der Bevölkerung wenig vom Aufschwung, weil diese Länder noch am Anfang ihrer Wohlstandsentwicklung stehen und deshalb mit einfachen Mitteln wie etwa der Textilproduktion ihren Wohlstand mehren können. Ihre Arbeit ist nicht produktiv genug.

Der Wohlstand fließt nach Amerika und Europa ab

Erschwerend kommt hinzu: „Kurzfristig profitiert die Oberschicht typischerweise überproportional von dem wirtschaftlichen Aufschwung im eigenen Land.“ Durch Import und Export fließt ein großer Teil des Wohlstands in die Hauptregionen Nordamerika und Europa ab – etwa wenn deutsche Maschinen importiert werden.

Japan

Nigeria beispielsweise muss sein Rohöl exportieren, um es zu Benzin verarbeiten zu lassen, welches es dann für weitaus mehr Geld wieder importiert. Von den Defiziten dieser Länder profitieren weiter entwickelte Nationen.

So auch Deutschland. Dem Aufschwung Chinas war es beispielsweise geschuldet, dass Deutschland sicher durch die Finanzkrise kam. Auch am Wachstum Mexikos verdient Deutschland mit. Die Industrialisierung Indonesiens oder Nigerias könnte der deutschen Wirtschaft den nächsten Schub geben.

Davon ist Deutschland abhängig. Der Wohlstandszuwachs hierzulande werde nur noch getrieben von der globalen Produktivitätszunahme. Das entspricht einem stetigen Wachstum von zwei oder drei Prozent. „Teilweise dürfte das durch die Inflation wieder aufgefressen werden“, sagt Makowski.

Ist der deutsche Wohlstand gefährdet?

Ein Grund zur Sorge ist das aber nur bedingt. „Gegenüber dem durchschnittlichen Inder oder Chinesen wird ein Deutscher im Schnitt auch noch in fünfzig Jahren besser ausgebildet sein“, sagt Makowski. Und damit ein höheres Einkommen generieren und mehr Wohlstand.

Verlieren wird Deutschland trotzdem – zumindest relativ. Der wirtschaftliche Abstand Deutschlands gegenüber den Schwellenländern werde abnehmen. „Dass Deutschland von Entwicklungsländern überflügelt wird, ist vorerst aber unmöglich.“ Warum, zeigt der Blick nach Japan.

Die Asiaten konnten die Arbeitsproduktivität pro Kopf von 1961 bis 1991 verdoppeln und erreichten in dieser Zeit Wachstumsquoten von über zehn Prozent. Das Wirtschaftsmodell der Japaner wurde überall in der Welt gepriesen und bewundert. Allerdings nicht lange.

Ab den Neunzigerjahren ging es abwärts. Die Arbeitsproduktivität fiel von 1991 bis 2001 um sechs Prozent und das Wachstum blieb aus; bis heute kämpft das Land mit der Deflation. Japan war nicht länger Treiber des asiatischen Wirtschaftsbooms sondern Verursacher einer der größten Wirtschaftskrisen des Kontinents.

Wohlstand trotz Stagnation

Den japanischen Wohlstand hat das nicht gekostet. Trotz nunmehr zwanzig Jahren Stagnation zählt das Land nach wie vor zu den wohlhabendsten der Welt. Gefußt hat der enorme japanische Aufschwung – wie auch der deutsche während der Wunderjahre in der Nachkriegszeit – auf der Niederlage im Zweiten Weltkrieg.

Der Zusammenbruch der japanischen und der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg führten dazu, dass die Löhne extrem gering waren, während die wirtschaftliche Produktivität weitestgehend erhalten blieb. Makowski spricht von einer „Traumsituation“ für die Exportwirtschaft. Das Wirtschaftswachstum sei auf Dekaden vorprogrammiert.

Wie kommt Europa zurück auf Wachstumskurs?

In einer solchen Situation möchte die Bevölkerung allerdings mit der Zeit am Wohlstand beteiligt werden. Sie fordert Lohnerhöhungen, will weniger arbeiten, bessere Sozialsysteme und mehr persönlichen Wohlstand.

„In diesem Moment pendelt sich das Ganze wieder ein“, sagt Makowski. Aus überdurchschnittlicher Leistungsbereitschaft wird eine unterdurchschnittliche. Die Folge: Stillstand. „Das ist im Prinzip der Punkt, an dem Japan und Europa momentan stehen.“ Am stärksten sehe man das in Frankreich, aber auch in Deutschland mache sich diese Situation bemerkbar.

Zurück auf Wachstumskurs

Bleibt die Frage: Was kann Europa tun, um wieder auf Wachstumskurs zu kommen? Staaten wie Luxemburg, die Schweiz oder Irland können aufgrund ihrer begrenzten Größe Sonderrollen für die Weltwirtschaft einnehmen.

Über bestimmte Steuerregularien etwa können sie über Dekaden hinweg ein überdurchschnittliches Wachstum generieren. „Solche lokale Wirtschaftsmodelle funktionieren aber nur bis zu einer bestimmten Bevölkerungsgröße“, so Makowski.

In Deutschland, Frankreich oder Japan gibt es zu viele Einwohner, um sie mit einer Nischenstellung zu beschäftigen. „In größeren entwickelten Wirtschaften ist der wesentliche Wachstumstreiber Produktivitätserhöhung“, erklärt Makowski.

Was bleibt Deutschland also? Zum einen kann es ungenutzte Potenziale nutzen, um wieder auf Wachstumskurs zuzusteuern. „Wäre der Anteil deutscher Unternehmer mit der Wirtschaft der Entwicklungsländer gewachsen, könnten ihre Exporte heute 17 Prozent höher liegen“, heißt es in einer DHL-Studie.

Auf der anderen Seite führen für entwickelte Wirtschaften primär Produktivitätserhöhungen zu mehr Wachstum. Das geht über Bildung und Ausbildung und über den Abbau von Friktionen, denn: „Jede Ausgleichsbemühung einer Volkswirtschaft, seien es organisatorische Regularien oder Umverteilungen durch Steuern erfordern einen bestimmten Aufwand und der kostet.“

Mit der Einführung der Mütterrente, des Mindestlohns und dem Rückwärtsschritt in der Rentenpolitik ist Deutschland allerdings auf dem Holzweg, wie auch die Wirtschaftsweisen zeigen.

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