Die Sowjetunion hat Amerika aus wirtschaftlicher Sicht endgültig abgehängt; der Kapitalismus ist zusammengebrochen. So hätte es zumindest 1980 kommen müssen, wenn Paul Samuelson mit seiner Vorhersage richtig gelegen hätte. In den Sechzigern verklärte der erste amerikanische Wirtschaftsnobelpreisträger die Sowjetunion als ein erfolgreiches Experiment und unkte, sie würde Amerika abhängen. Die Geschichte belehrte Samuelson eines Besseren.
Es gibt immer wieder solche Prognosen: China, Indien, Brasilien, Russland – die BRIC-Staaten galten lange als Herausforderer des westlichen Wohlstands. Mittlerweile ist es fraglich, ob sie ihrer Rolle gerecht werden.
Wissenswertes über Indonesien
In Indonesien leben 251,5 Millionen Einwohner. Die Bevölkerungszahl nimmt jährlich um 0,9 Prozent zu. Rund 85 Prozent der Bevölkerung sind unter 54.
Das nominale BIP beträgt 863,2 Milliarden US-Dollar. Bis 2015 soll es auf 941,7 Milliarden US-Dollar ansteigen. Zum Vergleich: Das deutsche BIP betrug 2013 3,51 Billionen US-Dollar. Ein Drittel des BIP generiert Indonesien über den Bergbau und die Industrie. Land-, Forst- und Fischwirtschaft tragen rund 15 Prozent zur Entstehung bei.
Von 2004 bis 2013 wuchs Indonesiens Wirtschaft um durchschnittlich 5,8 Prozent. Die Finanzkrise konnte das Wachstum des Landes nur geringfügig schmälern: Statt der üblichen rund sechs Prozent Wachstum, wuchs die Wirtschaft 2009 nur um 4,6 Prozent. Schon im Folgejahr erreichte Indonesien wieder Wachstumswerte jenseits der sechs Prozent.
2012 betrug die Staatsverschuldung 26 Prozent des BIP.
2014 beträgt die Teuerung 7,5 Prozent, 2015 soll sie auf 5,8 Prozent fallen.
2014 waren 5,8 Prozent der Indonesier ohne Arbeit. 2015 soll die Zahl auf 5,5 Prozent fallen.
Russland leidet unter dem Ressourcenfluch und hat es nicht geschafft, andere Wirtschaftszweige neben der Rohstoffindustrie aufzubauen. Brasilien versteckt sich hinter protektionistischen Maßnahmen. Auch das Wachstum in Indien und China nimmt ab.
Mexiko, Indonesien, Nigeria und die Türkei, die sogenannten MINT-Länder, könnten die nächsten sein, die die Position des Westens bedrohen. All diese Staaten haben großes Wachstumspotenzial. Die Frage ist: Wie wahrscheinlich spielen sie dieses aus? Und: Wovon hängt das ab? Werden die Schwellenländer entwickelten Wirtschaften wie Deutschland und Amerika ökonomisch künftig den Rang ablaufen?
Wissenswertes über Nigeria
In Nigeria leben 173,9 Millionen Menschen. Die Bevölkerungszahl legt jährlich um 2,5 Prozent zu. Eine nigerianische Frau gebärt im Durchschnitt sechs Kinder.
316 Milliarden US-Dollar betrug das nominale BIP im Jahr 2014. Auf 338,7 Milliarden soll es 2015 ansteigen. Zum Vergleich: Das deutsche BIP betrug 2013 3,51 Billionen US-Dollar. Gut 40 Prozent des BIP erwirtschaftet Nigeria über Bergbau und Industrie; ein Drittel über Land-, Forst- und Fischwirtschaft.
Die nigerianische Wirtschaft legte in den vergangenen zehn Jahren (2004 bis 2013) durchschnittlich um sieben Prozent zu. Während die meisten Volkswirtschaften dieser Welt unter der Finanzkrise litten, wuchs die nigerianische Wirtschaft um sieben Prozent, im Folgejahr sogar um acht.
Die Staatsverschuldung beträgt 2014 20 Prozent des BIP.
2014 lag die Inflationsrate bei 7,3 Prozent. Bis 2015 soll sie auf 7,0 Prozent zurückgehen.
Die Arbeitslosenquote betrug 2009 19,7 Prozent. Bis 2011 stieg sie auf 23,9 Prozent an.
Samuelsons Vorhersage aus den Sechzigern zeigt: Selbst den größten Ökonomen fällt es schwer, die Zukunft von Volkswirtschaften vorherzusagen. „Das hat zwei Gründe“, sagt Thorsten Makowski, Chef der Unternehmensberatung Valueneer und Lehrbeauftragter an der Mannheimer Business School: „Die Entwicklung unserer Welt ist erstens nicht stetig und zweitens nicht linear.“
Faktoren, die das Wachstum bestimmen
Vorhersagen über das künftige Wachstum orientierten sich an Modellierungen, die die Realität nicht eins-zu-eins wiederspiegeln, sich ihr aber annähern. In diesen Annäherungen entscheiden zwei Aspekte über das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft.
Zuerst wäre da die Bevölkerungsgröße. Ihretwegen dürften die Wirtschaften Europas und Japans künftig weniger wachsen und die indische und die nigerianische stärker zulegen. In Afrika und Südostasien warten viele weitere Länder mit hohen Fertilitätsraten auf. Macht sie das alleine zu den Wachstumsmotoren der Zukunft?
Was langfristiges Wachstum ausmacht
Mitnichten. Denn das langfristige Wachstum hängt ebenso vom Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ab, dem zweiten entscheidenden Aspekt. Das wiederum wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.
Der wichtigste dabei ist die politische Stabilität. Deswegen ist es unklar, inwieweit Afrika ein Wachstumsmotor sein wird. Klar ist: „Wenn Afrika politisch an Stabilität gewinnt, könnte es in den nächsten 30 Jahren die wichtigste Wachstumsregion der Welt sein.“ Ob das gelingt? Unwahrscheinlich.
China und die Rolle des Einkommensniveaus
Bessere Aussichten haben die Staaten in Südostasien. Sie teilen einige der großen Potenziale Afrikas. Neben dem starken Bevölkerungswachstum in beiden Regionen beweist das ein weiterer Faktor, der sich auf das BIP pro Kopf auswirkt: „Wenn der wirtschaftliche Entwicklungsgrad auf einem niedrigen Niveau ist, wächst eine Wirtschaft schneller“, sagt Makowski.
Anders formuliert: Niedrige Einkommen beflügeln das Wachstum. Ein klarer Vorteil Afrikas. „Die Länder mit dem niedrigsten Einkommensniveau weltweit liegen allesamt in Afrika“, so Makowski. Auf die afrikanischen Staaten folgt Südostasien – mit Ländern wie Bangladesch. Dort liegt der Durchschnittslohn monatlich bei 500 Euro – in der Textilindustrie verdienen Arbeiter zum Teil weniger als 100 Euro im Monat.
Wegen des Einkommensniveaus dürfte China kaum das Wachstum der Vergangenheit halten. Gemessen am Lohnniveau der USA liegt es derzeit bei 86 Prozent. Zudem hat die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt aufgrund der Ein-Kind-Politik den Vorteil des Bevölkerungswachstums verspielt. „China hat keine Chance, die Rolle, die es in den letzten 30 Jahren hatten, in Zukunft zu spielen“, konstatiert Makowski.
Wirtschaftswachstum bedeutet nicht mehr Wohlstand
Ein weiteres Problem Chinas hängt mit der politischen Stabilität zusammen. „China muss eine Balance finden zwischen politischer Stabilität, die das System trägt und einem Wachstumskurs“, sagt Makowski.
Die Stabilität sei aber nur zulasten des Wachstumskurses erreichbar. Im Moment erhöhe China die Einkommen überproportional zum BIP-Wachstum. Geld, das für Investitionen fehlt – was auf lange Sicht das Wachstum dämpft.
Der derzeitige Kurs Chinas widerlegt ein weitverbreitetes Irrtum: Die Wachstumschancen einer Volkswirtschaft werden oft mit der Wohlstandsperspektive der Bevölkerung gleichgesetzt. Das ist falsch. „Langfristig hängt die Vergütung eines Arbeiters immer von seiner Wertschöpfung ab“, sagt Makowski.
Deutschland profitiert vom Aufschwung anderer
Länder wie Mexiko etablieren deswegen die duale Ausbildung nach deutschem Vorbild, denn: Die Haupttreiber für Löhne und Wohlstand sind Bildung und Ausbildung – und damit die Qualität von Schulen, Universitäten und unternehmerischer Ausbildung.
Das bedeutet im Umkehrschluss: In Ländern, die besonders stark wachsen, profitieren weite Teile der Bevölkerung wenig vom Aufschwung, weil diese Länder noch am Anfang ihrer Wohlstandsentwicklung stehen und deshalb mit einfachen Mitteln wie etwa der Textilproduktion ihren Wohlstand mehren können. Ihre Arbeit ist nicht produktiv genug.
Der Wohlstand fließt nach Amerika und Europa ab
Erschwerend kommt hinzu: „Kurzfristig profitiert die Oberschicht typischerweise überproportional von dem wirtschaftlichen Aufschwung im eigenen Land.“ Durch Import und Export fließt ein großer Teil des Wohlstands in die Hauptregionen Nordamerika und Europa ab – etwa wenn deutsche Maschinen importiert werden.
Japan
2013: 1,7 Prozent
2014: 1,8 Prozent
2013: 0,3 Prozent
2014: 2,7 Prozent
2013: 4,1 Prozent
2014: 4,0 Prozent
IHS Global Insight
Nigeria beispielsweise muss sein Rohöl exportieren, um es zu Benzin verarbeiten zu lassen, welches es dann für weitaus mehr Geld wieder importiert. Von den Defiziten dieser Länder profitieren weiter entwickelte Nationen.
So auch Deutschland. Dem Aufschwung Chinas war es beispielsweise geschuldet, dass Deutschland sicher durch die Finanzkrise kam. Auch am Wachstum Mexikos verdient Deutschland mit. Die Industrialisierung Indonesiens oder Nigerias könnte der deutschen Wirtschaft den nächsten Schub geben.
Davon ist Deutschland abhängig. Der Wohlstandszuwachs hierzulande werde nur noch getrieben von der globalen Produktivitätszunahme. Das entspricht einem stetigen Wachstum von zwei oder drei Prozent. „Teilweise dürfte das durch die Inflation wieder aufgefressen werden“, sagt Makowski.
Ist der deutsche Wohlstand gefährdet?
Ein Grund zur Sorge ist das aber nur bedingt. „Gegenüber dem durchschnittlichen Inder oder Chinesen wird ein Deutscher im Schnitt auch noch in fünfzig Jahren besser ausgebildet sein“, sagt Makowski. Und damit ein höheres Einkommen generieren und mehr Wohlstand.
Verlieren wird Deutschland trotzdem – zumindest relativ. Der wirtschaftliche Abstand Deutschlands gegenüber den Schwellenländern werde abnehmen. „Dass Deutschland von Entwicklungsländern überflügelt wird, ist vorerst aber unmöglich.“ Warum, zeigt der Blick nach Japan.
Die Asiaten konnten die Arbeitsproduktivität pro Kopf von 1961 bis 1991 verdoppeln und erreichten in dieser Zeit Wachstumsquoten von über zehn Prozent. Das Wirtschaftsmodell der Japaner wurde überall in der Welt gepriesen und bewundert. Allerdings nicht lange.
Ab den Neunzigerjahren ging es abwärts. Die Arbeitsproduktivität fiel von 1991 bis 2001 um sechs Prozent und das Wachstum blieb aus; bis heute kämpft das Land mit der Deflation. Japan war nicht länger Treiber des asiatischen Wirtschaftsbooms sondern Verursacher einer der größten Wirtschaftskrisen des Kontinents.
Wohlstand trotz Stagnation
Den japanischen Wohlstand hat das nicht gekostet. Trotz nunmehr zwanzig Jahren Stagnation zählt das Land nach wie vor zu den wohlhabendsten der Welt. Gefußt hat der enorme japanische Aufschwung – wie auch der deutsche während der Wunderjahre in der Nachkriegszeit – auf der Niederlage im Zweiten Weltkrieg.
Der Zusammenbruch der japanischen und der deutschen Wirtschaft nach dem Krieg führten dazu, dass die Löhne extrem gering waren, während die wirtschaftliche Produktivität weitestgehend erhalten blieb. Makowski spricht von einer „Traumsituation“ für die Exportwirtschaft. Das Wirtschaftswachstum sei auf Dekaden vorprogrammiert.
Wie kommt Europa zurück auf Wachstumskurs?
In einer solchen Situation möchte die Bevölkerung allerdings mit der Zeit am Wohlstand beteiligt werden. Sie fordert Lohnerhöhungen, will weniger arbeiten, bessere Sozialsysteme und mehr persönlichen Wohlstand.
„In diesem Moment pendelt sich das Ganze wieder ein“, sagt Makowski. Aus überdurchschnittlicher Leistungsbereitschaft wird eine unterdurchschnittliche. Die Folge: Stillstand. „Das ist im Prinzip der Punkt, an dem Japan und Europa momentan stehen.“ Am stärksten sehe man das in Frankreich, aber auch in Deutschland mache sich diese Situation bemerkbar.
Zurück auf Wachstumskurs
Bleibt die Frage: Was kann Europa tun, um wieder auf Wachstumskurs zu kommen? Staaten wie Luxemburg, die Schweiz oder Irland können aufgrund ihrer begrenzten Größe Sonderrollen für die Weltwirtschaft einnehmen.
Über bestimmte Steuerregularien etwa können sie über Dekaden hinweg ein überdurchschnittliches Wachstum generieren. „Solche lokale Wirtschaftsmodelle funktionieren aber nur bis zu einer bestimmten Bevölkerungsgröße“, so Makowski.
In Deutschland, Frankreich oder Japan gibt es zu viele Einwohner, um sie mit einer Nischenstellung zu beschäftigen. „In größeren entwickelten Wirtschaften ist der wesentliche Wachstumstreiber Produktivitätserhöhung“, erklärt Makowski.
Was bleibt Deutschland also? Zum einen kann es ungenutzte Potenziale nutzen, um wieder auf Wachstumskurs zuzusteuern. „Wäre der Anteil deutscher Unternehmer mit der Wirtschaft der Entwicklungsländer gewachsen, könnten ihre Exporte heute 17 Prozent höher liegen“, heißt es in einer DHL-Studie.
Auf der anderen Seite führen für entwickelte Wirtschaften primär Produktivitätserhöhungen zu mehr Wachstum. Das geht über Bildung und Ausbildung und über den Abbau von Friktionen, denn: „Jede Ausgleichsbemühung einer Volkswirtschaft, seien es organisatorische Regularien oder Umverteilungen durch Steuern erfordern einen bestimmten Aufwand und der kostet.“
Mit der Einführung der Mütterrente, des Mindestlohns und dem Rückwärtsschritt in der Rentenpolitik ist Deutschland allerdings auf dem Holzweg, wie auch die Wirtschaftsweisen zeigen.