Zum 50. Todestag von Che Guevara Der „Heilige Che“ und die Endstation Vallegrande

Das Bild des toten Che im Waschhaus von Vallegrande schuf den Mythos eines der berühmtesten Guerilleros der Welt. 50 Jahre später wird er dort als Heiliger verehrt. Er ist umstritten, nur sein Einfluss ist unstrittig.

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Ein riesiges Che Guevara-Portrait ziert eine Hausfassade des Krankenhauses Señor de Malta in Vallegrande (Bolivien). Daneben steht in roter Schrift: „Er lebt“. Quelle: dpa

Vallegrande Damals haben sie ihn verraten, heute wird er hier als Märtyrer verehrt. Gonzalo Flores Guzmán steht mit einer Gruppe japanischer Touristen in der wohl berühmtesten Waschküche der Welt. „Hier haben sie die Leiche zur Schau gestellt, damit alle Welt weiß: Che ist tot“, erzählt Guzmán. „Er hatte die Augen offen, für viele sah er wie ein Heiliger aus. Sie haben ihn San Ernesto getauft.“ Auf dem Waschtisch aus Beton haben sie Che Guevara in jenem Oktober 1967 aufgebahrt. Weiße Rosen stehen jetzt darauf, der ganze Raum ist voll mit Wandkritzeleien wie: „Die Völker der Welt folgen deinem Beispiel.“

Man fragt sich bei einem Besuch im bolivianischen Vallegrande, wie Che Guevara vor 50 Jahren auf die Idee kommen konnte, in dieser verschlafenen Region eine Revolution anzetteln zu wollen. Die Waschküche befindet sich im Garten des Hospitals Señor de Malta, eine Hausfassade des Krankenhauses ziert ein riesiges Che-Porträt mit dem schwarzen Barret, versehen mit einem roten „Vive“-Schriftzug: „Er lebt“.

An einer Wand der Waschküche steht: „Sie wollten dich töten. Aber was sie erreicht haben ist, dass Du für immer lebst - in jeder Ecke der Welt, wo sie die Fahne der Freiheit hissen wollen.“ Der Leichnam des Guerilleros Che Guevara, dessen Bolivienabenteuer mit seinem Tod am 9. Oktober 1967 kläglich scheiterte, war lediglich zwei Tage hier. Das reichte aber, um den 6000-Seelen-Ort für immer zu verändern.

Zum 50. Todestag gibt es Hoffnungen auf einen Touristenschub, bisher nehmen rund 3500 Touristen im Jahr an Che-Führungen teil. „Hier haben sie ihm die Hände abgetrennt, um sie nach La Paz zu schicken, damit sie den letzten Beweis haben: es ist Che“, erzählt Guzmán in der kleinen Waschküche. Dann hätten sie die Leiche heimlich weggebracht, man wollte einen Wallfahrtsort verhindern. Die Leiche von Che und einigen Mitkämpfern wurde neben der Piste des Flugplatzes verscharrt.

Erst 30 Jahre später wurde das Skelett gefunden - ein Militär hatte den Hinweis gegeben. Dort ist heute ein Mausoleum, eine weitere Station auf der Che-Tour von Guzmán. In einer Grube sind die Grabsteine von Che und sechs Mitstreitern zu sehen. Doch die Überreste Ches sind seit 1997 im weit opulenteren Mausoleum im kubanischen Santa Clara.

Der international verehrte Revolutionär entstammte einer wohlhabenden Familie - am 14. Juni 1928 wurde er in der argentinischen Stadt Rosario geboren. Der junge Ernesto - „Che“ ist das argentinische Wort für Kumpel - studiert Medizin, prägend wird 1952 eine Motorradtour durch Südamerika, später bereist er den Kontinent noch einmal als Tramper. Er wird mit Not und Unterdrückung konfrontiert. „Dieses Herumziehen in unserem Amerika hat mich mehr verändert, als ich gedacht hätte“, notiert er über diese Reisen.

Er verehrt den sowjetischen Diktator Josef Stalin und schwört einen erbitterten Kampf gegen den Kapitalismus. 1954 erlebt Che in Guatemala einen vom US-Geheimdienst CIA unterstützten Putsch gegen einen progressiven Präsidenten, der mit Mindestlöhnen und einer Landreform für mehr Gerechtigkeit einstand. 1955 lernt er in Mexiko Fidel Castro kennen, der sich hier auf den Kampf gegen den kubanischen Diktator Fulgencio Batista vorbereitet. Sie landen 1956 in Kuba, kämpfen in der Sierra Maestra, die Bewegung wird immer größer. 1959 marschieren sie in Havanna ein.

Che Guevara wird Chef der kubanischen Nationalbank, er zeichnet die Peso-Noten mit „Che“ - bis heute sind sie in Kuba zu kaufen. Er formt mit Castro eine totalitäre Diktatur, Todesurteile werden gefällt und vollstreckt. 1961 wird Guevara Industrieminister. „Unter der Führung von Ernesto Che Guevara ging es mit der kubanischen Wirtschaft rasch bergab“, schreibt der mexikanische Politologe Jorge G. Castañeda in seiner Guevara-Biografie. Mit Fidel Castro kommt es zu immer mehr Reibereien, Che will eine noch radikalere Revolution, Stichwort Stalin. Dass er auch ein mitunter der Realität entrückter Träumer ist, zeigt sein Kongo-Abenteuer. Mit rund 200 Kämpfern begibt er sich in eine fremde Welt nach Afrika, die Expedition scheitert kläglich.

Am 3. November 1966 reist er getarnt - mit völlig verändertem Aussehen, als Ökonom Adolfo Mena González aus Uruguay - in die bolivianische Hauptstadt La Paz. Che wohnt am Boulevard „El Prado“ im Hotel Copacabana. Seine deutsche Mitkämpferin Tamara Bunke organisiert die Logistik. Sie gewinnen ein paar Minenarbeiter für den Kampf im tropischen Tiefland im Süden, zudem reisen einige Kubaner ein. Doch schon am 24. November des gleichen Jahres kommt ihnen Boliviens Geheimdienst erstmals auf die Spur.

Es folgen für die rund 60 Kämpfer entbehrungsreiche Monate. Der Hauptmann Gary Prado, der Che Guevara später festnimmt, sagt im Interview der Deutschen Presse-Agentur: „Sie kannten die Gegend nicht, hatte keine Karten und wandten sich orientierungslos an Bauern. Und die informierten Soldaten. Dadurch wurde schnell klar, dass es eine bewaffnete Gruppe gibt.“ Am 8. Oktober 1967 umzingelt Prado bei einer Schlucht mit einem Bataillon die letzten Guerilleros.


„Ich bin Che Guevara“

„Ich bin Che Guevara“, sagt der damals bekannteste Revolutionär der Welt zu Prado. „Wir fesselten sie unter Baumstämmen. Er fragte, kann ich rauchen, ich gab ihm Zigaretten und Wasser.“ Dann wurde der Gefangene zu einer Schule im Dorf La Higuera gebracht und dort von dem Soldaten Mario Terán am 9. Oktober erschossen - der Schütze soll sich zuvor reichlich Mut angetrunken haben.

Es gab einen Exekutionsbefehl des Präsidenten René Barrientos, sagt Prado. Ein Strafprozess mit Hunderten Journalisten aus aller Welt sollte um jeden Preis vermieden werden. Und Boliviens Gefängnisse waren schlicht zu unsicher. Man fürchtete Befreiungsversuche. Die Höchststrafe hätte 30 Jahre betragen. Guevaras Leiche wird per Hubschrauber nach Vallegrande gebracht. Aber die Aufbahrung im Waschhaus, das Märtyrer-Bild, das um die Welt ging, nährte schließlich ganz entscheidend den Mythos des Che.

Für die deutsche Ordensschwester Antonia Maria Freude war Vallegrande nach ihrer Anreise per Schiff die erste Station ihrer Mission. Ein friedlicher kleiner Ort wie Brochterbeck, ihre Heimat bei Münster. Im Oktober 1967 wimmelte es plötzlich von Militärs und Journalisten, sie arbeitete als Krankenschwester in dem kleinen Krankenhaus der Stadt.

Heute lebt die 81-Jährige in Cochabamba, sie kann sich bei einem Treffen in einem Kloster noch genau erinnern. Sie findet es bis heute komisch, dass die Guerilleros hier kämpften, denn 1952 hatte es in Bolivien eine Revolution mit einer Landreform gegeben, Präsident Barrientos war gerade auf dem Land beliebt, er sprach die indigene Quechua-Sprache. Für revolutionäre Ideen, ein zweites Kuba, war man hier nicht empfänglich. „Vallegrande hat nie so viele Leute gesehen wie in diesen Tagen“, sagt Schwester Antonia. „Die Leute haben so gedrängelt, dass bei der Waschküche eine Lehmwand umgekippt ist.“

Schwester Antonia hatte am Tag der Ankunft der Leiche zu tun in der Entbindungsstation. „Aber am nächsten Tag bin ich extra früher aufgestanden, um ihn mir im Waschhaus anzuschauen.“ Der Eindruck blieb haften, die verfilzten Haare, der bärtige Che, mit offenen Augen, der Oberkörper entblößt. Eine andere Schwester hatte ihn gewaschen. „Er sah so aus wie ein Christus“, berichtet Schwester Antonia. „Er war ja Arzt von Beruf aus, er lag da in der Waschküche, er hatte richtig feine Finger, wie ein Arzt. Er sah friedlich aus.“

Dieser Eindruck, das Bild, besungen von Wolf Biermann als „Jesus mit Knarre“, bleibt haften. Am nächsten Tag sagte der Arzt, wir gehen jetzt dem Che die Hände abnehmen. Sie wollte das nicht mit anschauen. Damals seien alle gegen die Guerilla gewesen, weshalb sie scheitern mussten, erzählt die Ordensschwester. „Die haben Hunger und Durst gehabt, einige hatten ja am Ende keine Schuhe mehr.“ Und Che, der seit der Kindheit an Asthma litt, war nur noch ein Schatten seiner selbst. „Muss das sein, da stirbt einer für seine Ideen?“, fragt sie.

Boliviens sozialistischer Staatschef Evo Morales fördert heute den Che-Kult nach Kräften, es gibt auch ein neues Che-Museum. Und frühere Militärs wie Gary Prado dürfen nicht mehr an den großen Defileés zum Nationalfeiertag teilnehmen. Prado sagt dazu: „Es hat sich ein Mythos geschaffen, von Che, dem heroischen Guerillero. Dabei haben Kuba und Fidel Castro ein seltsames Spiel gespielt, die Kommunistische Partei mochte Che mit seinem revolutionären Eifer nicht.“ Deshalb hätten sie Che in den Kongo geschickt und auch in Bolivien kaum unterstützt.

Was von Che bleibt? Polarisierung auf jeden Fall, für die einen ein ideologiegetriebener Mörder, für die anderen ein Vorbild im Kampf für eine gerechtere Welt, der heute im Ringen gegen Unterdrückung und Ausgrenzung durch einen ungezügelten Kapitalismus fortlebt. Sein Biograf Jorge Castañeda meint, Che Guevara sei so populär auch über den Tod hinaus, weil sich auch dank seiner Person eine irreversible kulturelle Revolte in der westlichen Welt entwickelt habe.

„Danach sollte die Welt nie wieder wie vorher sein“, so Castañeda. Die Revolte gerade der 68er habe das Verhältnis von Mann und Frau beeinflusst, zwischen Lehrern und Schülern, zwischen Schwarz und Weiß, zwischen Arm und Reich, sie habe Respektlosigkeit gegenüber der Obrigkeit gefördert. Ches Ende sei sinnbildlich für sein Leben, meint der frühere mexikanische Außenminister Castañeda. „Er war wie ganz wenige seiner Zeit dazu bestimmt, den Tod zu sterben, den er sich gewünscht, und das Leben zu leben, das er sich erträumt hatte.“

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