Zum Rücktritt Hollandes Die Republik köpft ihre frühen Favoriten

Hollande wusste, dass er keine Chance haben werde. Der französische Präsident beweist Größe und lässt seinem Parteigenossen Valls den Vortritt für die Kandidatur um das höchste Amt der Fünften Republik.

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Der französische Präsident Francois Hollande will kein zweites Mal kandidieren. Quelle: dpa

Paris In einer aussichtslosen Lage hat François Hollande den würdigsten Ausweg gewählt. Nachdem vor fünf Tagen in einem Interview sogar sein eigener Premier Manuel Valls ihn vor einer Kandidatur warnte, ist dem 62-jährigen Staatspräsidenten wohl klar geworden, dass er sich nicht erneut zur Wahl stellen kann. Er hätte sich der Vorwahl innerhalb der Sozialisten beugen und mit randständigen Hinterbänklern eine Bühne teilen müssen – mit der Möglichkeit, sogar schon bei der Kandidatenwahl auszuscheiden. Für einen amtierenden Staatschef war das eine beschämende Vorstellung.

Trotzdem ist es ihm extrem schwer gefallen, nicht für seine eigene Nachfolge zu kandidieren. Er ist der erste Präsident der Fünften Republik, der auf eine erneute Bewerbung verzichtet. Damit scheibt er quasi seinen eigenen Eintrag ins Geschichtsbuch: „Seine Präsidentschaft war so erfolglos, dass er davon absehen musste, die Wiederwahl zu suchen.“

Bis in die vergangenen Stunden bedrängten ihn seine engsten Mitarbeiter, im kommenden Jahr erneut anzutreten, möglicherweise ohne Teilnahme an der Vorwahl der Sozialisten. Doch Hollande war klar, dass er damit seine zerstrittene Partei weiter gespalten hätte und spätestens in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl im April 2017 ausgeschieden wäre. Gerade einmal sieben bis acht Prozent rechnete man ihm zu.

So bleibt ihm wenigstens die Größe des Verzichts. Für Valls ist nun die Bahn zur Kandidatur frei. „Er brennt darauf und ist vollständig vorbereitet“, sagte am Abend ein enger Freund des Premiers. Doch zunächst muss der 54-Jährige im Januar seine Mitbewerber aus der Sozialistischen Partei besiegen. Der einzige ernstzunehmende Gegner ist der gleichaltrige Ex-Wirtschaftsminister Arnaud Montebourg.

Beide hatten bereits 2011 bei der Vorwahl der Sozialisten um die Kandidatur gekämpft, mussten sich aber Hollande und der Delors-Tochter Martine Aubry beugen, die die Stichwahl unter sich ausmachten. Montebourg brachte es auf 17 Prozent, Valls lediglich auf 5,6 Prozent. Mittlerweile hat sich das Kräfteverhältnis allerdings gewendet. Montebourg ist schon vor zwei Jahren aus der Regierung ausgeschieden, arbeitet beim Einrichtungshaus Habitat und spielt seitdem keine echte politische Rolle mehr. Er will den linken, globalisierungs- und europakritischen Flügel der Sozialisten vertreten. Doch diesen Anspruch machen ihm vier weitere Kandidaten streitig.

Valls dagegen verkörpert die reformerische Linke, die sich nicht zu schade dafür ist, in der Regierungsarbeit Kompromisse einzugehen. Er wird allerdings als Hollandes Premier dessen durchwachsene Bilanz verteidigen müssen. „Valls Kampagne wird drei Linien haben: die rechtsextreme Marine Le Pen darf nicht in den zweiten Wahlgang kommen, die Linke muss ihre Gegensätze überwinden und Frankreich ein sozialer, laizistischer, sicherer Staat bleiben,“ sagt der Freund des Premiers.

Valls hat allerdings viel von seinem früheren reformerischen Image verloren. Anders als Emmanuel Macron, der im August dem Zauderer Hollande die Gefolgschaft aufgekündigt hatte, beugte der in Barcelona geborene Valls sich immer wieder den Widersprüchen und Winkelzügen des Präsidenten. Hollande sprach zwar viel von einer „Angebotspolitik“, verbesserte Frankreichs Wettbewerbsfähigkeit aber allenfalls in Ansätzen. An den krassen sozialen Gegensätzen in der Banlieue hat sich nichts geändert. In der unmittelbaren Reaktion auf die Terroranschläge von 2015 zeigten Hollande und Valls zwar staatsmännisches Format, das sie aber später mit parteipolitischer Taktiererei teilweise wieder verspielten.


Ruhestand für drei vermeintlich sichere Bewerber

Seit Anfang des Jahres ist wenigstens die Arbeitslosigkeit gesunken. Sie liegt aber immer noch über dem Wert vom Mai 2012, als Hollande die Regierung übernahm. Die Reform des Arbeitsrechts wird sich erst in den kommenden Jahren auswirken. Sie ist nicht mit den Schröder-Reformen zu vergleichen, schafft aber erstmals seit Jahren relevante Möglichkeiten für mehr Flexibilität bei der Festlegung der Arbeitszeit in den Unternehmen und wird derzeit unterschätzt. Die linken Gewerkschaften und der linke Flügel der Sozialisten verrannten sich in einen selbstmörderischen Kampf gegen die Reform.

Das Feld der aussichtsreichsten Bewerber für die Präsidentschaftswahl zeichnet sich nun ab. Marine Le Pen und der konservative François Fillon haben nach heutigen Umfragen die größten Chancen, in die Stichwahl zu kommen. Doch wir alle haben gelernt, Ergebnissen zu misstrauen, die scheinbar schon Monate vor der Wahl feststehen. Man muss sich nur ansehen, was in den vergangenen Tagen geschehen ist: Auf der Rechten sind Nicolas Sarkozy und Alain Juppé in den Ruhestand geschickt worden, die noch vor ganz kurzer Zeit als aussichtsreichste Kandidaten galten. Und Hollande, mit diesen erneuter Kandidatur alle Politprofis gerechnet haben, wird ebenfalls nicht dabei sein.

Emmanuel Macron mit seiner Mischung aus liberaler Wirtschafts- und linksliberaler Gesellschaftspolitik könnte die Karten weiter durcheinanderwirbeln. Mit seinen 38 Jahren ist er nicht nur der Jüngste, er hat auch den modernsten Diskurs und das tiefste Verständnis der wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen, die sich in den westlichen Gesellschaften vollziehen. Als Einziger ist er dazu in der Lage, die Generation der Startup-Gründer und der „Digital Natives“ anzusprechen. Er könnte viele Menschen zurück an die Wahlurnen bringen, die den überholten, künstlich am Leben gehaltenen Links-Rechts-Gegensatz und Frankreichs sklerotisierten Politbetrieb gründlich leid sind.

Valls wird, falls er der sozialistische Kandidat wird, gegenüber Macron einen schweren Stand haben. Seine Unterstützer wiederholten zwar am Donnerstagabend, das „Phänomen Macron wird bald in sich zusammenfallen“, doch noch ist nichts davon zu sehen. Wer den etablierten Parteien den Stinkefinger zeigen und gleichzeitig den Rechtspopulisten eine Nase drehen will, landet fast zwangsläufig bei Macron. Der linksextreme Kandidat Jean-Luc Mélenchon könnte im ersten Wahlgang auf ein knapp zweistelliges Ergebnis kommen, hat aber keine Chance auf die Stichwahl.

Wohl noch nie stand den Franzosen eine so komplette Palette unterschiedlicher Charaktere und politischer Programme zur Auswahl. Die gute Nachricht ist: Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass auf den glücklosen Hollande ein Demokrat folgt und keine Rechtspopulistin. Doch noch ist es viel zu früh, um Entwarnung zu geben.

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