Zur Abschreckung US-Regierung will neue Atomwaffen mit geringer Sprengkraft

Die US-Regierung möchte neue Atomwaffen entwickeln. Das soll der Abschreckung dienen – vor allem gegenüber Russland. Kritiker sind nicht überzeugend.

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Der US-Verteidigungsminister setzt sich für die Entwicklung von Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft ein. Quelle: dpa

Washington Die US-Regierung will die Entwicklung neuer Atomwaffen mit einer geringeren Sprengkraft vorantreiben. Dies geht aus einem am Freitag vom Verteidigungsministerium veröffentlichten Bericht zur neuen Nuklearstrategie der USA hervor. Die Veränderungen sollten vor allem der Abschreckung gegenüber Russland dienen, heißt es in dem Pentagon-Bericht: „Unsere Strategie soll sicherstellen, dass Russland versteht, dass jeder Einsatz von Atomwaffen – egal wie begrenzt – inakzeptabel ist.“ Der Bericht geht aber auch auf die „unberechenbare“ Bedrohung durch Nordkorea ein.

Die Regierung will nach eigenen Angaben eine „kleine Zahl“ existierender Atomsprengköpfe von U-Boot-gestützten Langstreckenraketen umrüsten, um über eine Variante mit geringerer Sprengkraft zu verfügen. Auf lange Sicht soll zudem ein atombestückter Marschflugkörper entwickelt werden, der ebenfalls U-Boot-gestützt ist.

Das Pentagon lässt offen, wie groß die Sprengkraft der neuen Typen sein soll. Auch „kleine Atomwaffen“ („mini nukes“) verfügen über ein gewaltiges Zerstörungspotential. Darunter fallen solche mit einer Sprengkraft von bis zu 20 Kilotonnen. Zum Vergleich: Auch die Atombomben, die die USA über den japanischen Städten Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten, lagen beide unter 20 Kilotonnen.

Im Vorwort des 74-seitigen Berichts schreibt Verteidigungsminister James Mattis: „Wir müssen der Wirklichkeit ins Auge sehen und die Welt so sehen, wie sie ist, nicht so, wie wir es uns wünschen.“ Darauf nehme man mit den Änderungen an der Strategie Bezug. Das Pentagon argumentiert, dass die Schwelle für den Einsatz von Atomwaffen durch die Veränderungen nicht sinke, sondern im Gegenteil erhöht werde. Man brauche die Waffen mit geringer Sprengkraft, um über eine „glaubwürdige Abschreckung“ zu verfügen.

Mit dieser neuen Strategie beendet die Regierung von Präsident Donald Trump die Politik seines Amtsvorgängers Barack Obama, der auf eine Verkleinerung des US-Atomwaffenarsenals gesetzt hatte, schrieb die „Washington Post“.

Kritiker warnen dagegen vor fatalen Folgen. „Es ist ein massiver Versuch, Atomwaffen aus den Bunkern zu holen und aufs Schlachtfeld zu verlegen“, schrieb die Direktorin der Kampagne für atomare Abrüstung (Ican), Beatrice Fihn, auf Twitter. Die USA verfolgten nun nicht mehr eine Strategie, bei der der Einsatz von Atomwaffen möglich sei, sondern eine, bei der er wahrscheinlich sei. In einem Brief an Präsident Donald Trump warnten demokratische Senatoren schon vor der Veröffentlichung des Pentagon-Papiers, dass die Strategie „das Risiko eines atomaren Wettrüstens und die reale Möglichkeit eines nuklearen Konflikts erhöht“.

Zentralen Raum nimmt in dem Papier die Frage ein, wie die US-Regierung auf die militärischen Strategien von Russland und China reagieren sollte. „Während die USA die Anzahl und den Stellenwert ihrer Atomwaffen verringert haben, haben andere, darunter Russland und China, sich in die entgegengesetzte Richtung bewegt“, heißt es in dem Bericht. „Sie haben ihren Arsenalen neue Typen von nuklearen Fähigkeiten hinzugefügt (...) und legen ein zunehmend aggressives Verhalten an den Tag, darunter im Weltraum und im Cyberspace.“

Nordkoreas Atomprogramm stelle eine „dringliche und unberechenbare“ Bedrohung für die Vereinigten Staaten und seine Verbündeten dar. Das international isolierte Land sei möglicherweise nur noch Monate davon entfernt, die Fähigkeit zu entwickeln, die USA mit einer atombestückten Rakete zu treffen. Man habe deutlich gemacht, dass jeder nukleare Angriff gegen die USA oder Verbündete inakzeptabel sei und zum „Ende des Regimes“ führen würde, heißt es in dem Strategiepapier weiter.

Mehrere Regierungsvertreter unterstrichen bei einer Pressekonferenz am Freitag, dass die USA Atomwaffen nur unter „extremen Umständen“ einsetzen würden. Man sei aber zu dem Schluss gekommen, dass man flexiblere Typen von Atomwaffen brauche, um die Strategie der Abschreckung zu untermauern. Die Veränderungen würden nicht gegen bestehende Verträge zur Waffenkontrolle verstoßen, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Patrick Shanahan.

Am Donnerstag hatte das US-Außenministerium erklärt, die USA und Russland erfüllten beide ihre Verpflichtungen zur atomaren Abrüstung im Zuge des Vertrages New START. Dieser war am 5. Februar 2011 in Kraft getreten. Darin verpflichten sich die beiden größten Atommächte der Welt, ihre Kapazitäten binnen sieben Jahren deutlich zu verringern. Der Stichtag ist an diesem Montag.

Trump hatte das Pentagon nach seinem Amtsantritt angewiesen, die nukleare Strategie zu überprüfen. Seit 1994 ist es in den USA üblich, dass Präsidenten einen solchen „Nuclear Posture Review“ vorlegen. Der nun vom Pentagon vorgelegte Bericht ist aber nur eine Zusammenfassung; das eigentliche Dokument wird als geheim eingestuft. Es ist die erste Neuausrichtung der US-Nuklearstrategie seit 2010.

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