Zuspruch aus Griechenland Tsipras will die GroKo

Kein anderer ausländischer Politiker drängt SPD-Chef Schulz so ungeduldig zu einer Regierungsbeteiligung wie der griechische Premier. Von einer GroKo verspricht sich Tsipras vor allem eins: Schuldenerleichterungen.

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Groko: Alexis Tsipras will die Große Koalition Quelle: Reuters

Athen Auf Martin Schulz ruhen viele Erwartungen. Zum Einen muss er in den Koalitionsverhandlungen mit der Union möglichst viel herausholen. Dann muss er seine eigenen Mitglieder von der Großen Koalition überzeugen. Nun schaut auch die Jugend Griechenlands erwartungsvoll nach Berlin. Schulz ist ihr Hoffnungsträger, meint zumindest Alexis Tsipras. „Wenn Du dein Programm für Europa umsetzt, dann können die jungen Menschen in Griechenland wieder auf Beschäftigung hoffen“, habe der griechische Premier ihm geschrieben, berichtete Schulz auf dem SPD-Parteitag.

Tsipras drängt, telefonisch und per SMS. Nur mit einer Regierungsbeteiligung der SPD gebe es eine Chance, „Europa eine progressive Agenda vorzulegen“. Tsipras an Schulz: „Ich bin sicher, dass Du die richtige Entscheidung treffen wirst.“

Schulz macht sich zwar für Strukturreformen stark, mit deren Umsetzung Griechenland immer noch im Rückstand ist. Aber zumindest der vor allem von Schäuble aufgebaute Spardruck könnte unter einem SPD-Finanzminister gelockert werden, hofft Tsipras. Auch die alte SPD-Idee zur Einführung von Eurobonds muss in den Ohren eines griechischen Politikers wie Musik klingen.

Vor allem in der Frage der Schuldenerleichterungen hofft Tsipras auf Schulz‘ Unterstützung. Das Thema ist seit langem im Gespräch. Bereits 2016 versprachen die Euro-Finanzminister, mit Athen zu gegebener Zeit über mittel- und langfristige Schuldenerleichterungen zu reden. Denkbar wären längere Laufzeiten und dauerhaft niedrige Zinsen für die Hilfskredite, zusätzliche tilgungsfreie Jahre und die Ablösung teurer Darlehen des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch billigere Kredite des Euro-Stabilitätsfonds ESM.

Die Entscheidung darüber müsse vor dem Ende des Anpassungsprogramms fallen, drängte Tsipras vergangene Woche bei einem Treffen mit IWF-Chefin Christine Lagarde in Davos. Auch Lagarde fordert eine schnelle Lösung. Dahinter steht die Überlegung, dass Schuldenerleichterungen das Vertrauen der Anleger in die Kreditwürdigkeit des Landes stärken und die Rückkehr Athens an den Kapitalmarkt begünstigen würden. Die Finanzminister der Euro-Zone setzten bei ihrem Treffen am 22. Januar eine Arbeitsgruppe ein, die sich mit dem Thema beschäftigen und bis Ende März Vorschläge ausarbeiten soll. Aber an Entscheidungen ist nicht zu denken, so lange in Berlin keine neue Regierung steht.

Ungewöhnlicher Rollentausch

Schulz und Tsipras kennen sich gut. Schon mit dem Oppositionschef Tsipras hatte Schulz als Präsident des Europaparlaments engen Kontakt. Vor allem, nachdem sich 2014 vorzeitige Wahlen in Griechenland und ein Sieg des Linksbündnisses Syriza abzuzeichnen begannen.

Schulz galt damals in Europa als Tsipras-Versteher. Was ihn aber nicht daran hinderte, mit Tsipras „Tacheles zu reden“, wie er selbst sagt. Als erster ranghoher EU-Politiker flog Schulz Ende Januar 2015 wenige Tage nach Bildung der neuen Regierung nach Athen und suchte Tsipras auf, der gerade sein Amtszimmer in der Villa Maximos bezogen hatte, dem Sitz des Ministerpräsidenten an der Athener Herodes-Attikus-Straße. Schulz redete dem neuen Premier ins Gewissen: Wenn er seinen im Wahlkampf angekündigten Konfrontationskurs gegenüber den internationalen Geldgebern umsetze, werde er scheitern, warnte Schulz. „Dann scheitere ich eben“, habe Tsipras trotzig geantwortet, berichten Gesprächsteilnehmer.

So kam es. Nachdem er das Land an den Rand des Staatsbankrotts geführt hatte und das griechische Finanzsystem vor dem Zusammenbruch stand, musste Tsipras im Sommer 2015 vor den Gläubigern kapitulieren und die harten Bedingungen des dritten Rettungsprogramms akzeptieren. Inzwischen steht Griechenland vor dem erfolgreichen Abschluss des Anpassungsprogramms, das Ende August auslaufen soll. Tsipras hofft auf einen „sauberen Ausstieg“, ohne neue Auflagen der Gläubiger. Aber dafür braucht er die politische Unterstützung der anderen EU-Regierungschefs.

Nun der erstaunliche Rollentausch: Nachdem Schulz als eine Art väterlicher Freund den frischgebackenen griechischen Premier Anfang 2015 auf den Boden der Realitäten zurückzuholen und ihm Pragmatismus beizubringen versuchte, ist es jetzt Tsipras, der Schulz staatsmännische Ratschläge gibt.

Dabei sah es ja zunächst so aus, als komme Schulz in Berlin gar nicht zum Zuge. Dass Wolfgang Schäuble nach der Bundestagswahl zum Parlamentspräsidenten befördert wurde, löste zwar in Athen große Erleichterung aus. Der strenge Schäuble war in den Krisenjahren für viele Griechen geradezu eine Hassfigur. Aber die Aussicht, dass ein ausgewiesener Griechenlandkritiker wie Christian Lindner oder ein anderer FDP-Politiker ins Berliner Finanzministerium einziehen könnte, sorgte in griechischen Regierungskreisen schnell für Ernüchterung. Womöglich werde man sich noch nach Schäuble zurücksehnen, orakelten griechische Medien.

Die Nachricht vom Scheitern der Jamaika-Sondierungen wurde deshalb in Athen mit großer Erleichterung aufgenommen. Damit bekam Schulz über Nacht wieder eine Schlüsselrolle. Gleich nach dem Jamaika-Aus rief Tsipras den SPD-Vorsitzenden an und drängte ihn, Koalitionsverhandlungen mit der Union aufzunehmen. Das sei wichtig für ganz Europa. „Vergiss nicht, dass eine echte linke und progressive Haltung nicht darin liegt, auf der Reinheit seiner eigenen Positionen zu bestehen“, habe Tsipras in dem Telefonat erklärt, hieß es in Athener Regierungskreisen.

Ein Rat aus berufenem Munde. Denn dass man sich schon mal die Hände schmutzig machen muss, um an die Macht zu kommen, hat Tsipras selbst demonstriert, als er nach seinem Wahlsieg Ende Januar 2015 ein Regierungsbündnis mit den rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen (Anel) einging – über Nacht, ohne Koalitionsverhandlungen und ohne die eigene Partei zu fragen. Martin Schulz schüttelt über diesen Pakt des Linken Tsipras mit den Rechtspopulisten bis heute verständnislos den Kopf.

Neben dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron, für den Tsipras im vergangenen September Gastgeber eines international beachteten Staatsbesuchs einschließlich europapolitischer Grundsatzrede vor der Kulisse der Akropolis war, ist Schulz der wichtigste Verbündete des griechischen Premiers in Europa. Macron sprach in Athen damals von der „so genannten griechischen Krise“, die in Wirklichkeit eine „europäische Krise der Demokratie“ sei. Das hörte man in Athen gern. Jetzt versucht Tsipras, Griechenlands Rückkehr aus der Krise als Neustart für ganz Europa zu stilisieren. Das wiederum dürfte dem Europapolitiker a.D. Schulz gefallen.

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