Zwangsarbeit in China „Chinas Regierung ist paranoid geworden“

Polizisten stehen am Außeneingang des Urumqi Nr. 3 Internierungslager in Dabancheng in der uigurischen autonomen Region Xinjiang im Westen Chinas. Quelle: AP

Die Zwangsarbeit in der chinesischen Region Xinjiang dient auch politischen Zielen, erklärt der Enthüller des Lagersystems, Adrian Zenz. Von Unternehmen erwartet er mehr Engagement und bietet der Politik eine Lösung an.

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WirtschaftsWoche: Herr Zenz, was ist die Motivation der Zentralregierung hinter der Errichtung des Lagersystems in Xinjiang?
Adrian Zenz: Eine der wichtigsten neuen Erkenntnisse aus den Xinjiang Police Files ist, dass die Regierung angesichts der vermeintlichen Gefahr, die von den Uiguren ausgeht, paranoid geworden ist. Die muslimische Minderheit sträubt sich gegen die Assimilierung und lässt sich damit nicht gut kontrollieren. Die Risiken, die für die Zentralregierung daraus entstehen, werden stark übertrieben – und das schon seit Jahren. Deshalb hat die Kommunistische Partei damit begonnen, mit Internierungen zu experimentieren. Und das wurde dann immer weiter ausgebaut. Heute sehen wir eine Kampagne der Masseninternierung mit Lagern und Zwangsarbeit, die der Umerziehung dieser Menschen dienen soll.

Die Zwangsarbeit ist also zentral für die Ziele der Regierung?
Genau. Es ist bereits seit Jahren bekannt, dass es sich um ein wichtiges politisches Ziel handelt, das sie deshalb auch nicht aufgrund von internationalem Druck oder Sanktionen so einfach aufgeben wird. Ich habe gerade eine Rede veröffentlicht, die der damalige Minister für öffentliche Sicherheit im Jahr 2018 gehalten hat. Aus ihr geht hervor, wie eng Peking über die Internierungskampagne informiert war. Bezeichnenderweise hat die Umsetzung schon bald ein anderer Technokrat übernommen, der Erfahrung im Bereich Wirtschaftsentwicklung hatte. Das deutet auf eine langfristige Strategie der Regierung in der Region hin.

Kann man feststellen, wie sehr die chinesische Wirtschaft von diesem Lagersystem profitiert?
Wir haben Hinweise darauf, dass ein substanzieller, wenn auch unbekannter Teil der Lagerinsassen in Zwangsarbeit auf Industriegelände transferiert wurde. Allerdings ist der Einsatz der ehemaligen Lagerinsassen relativ speziell. Er bezieht sich vor allem auf dem Textilbereich, bei der Herstellung von Bekleidung. Ich schätze, dass sich mehrere 100.000 Menschen in diesem System befinden.

Zur Person

Das größere System der Zwangsarbeit läuft allerdings parallel dazu. Neben den Internierungs- und Umerziehungslagern gibt es in Xinjiang noch die Politik des Arbeitskrafttransfers. Hier werden Menschen zwangsrekrutiert, um arbeitsintensive Aufgaben zu erfüllen, für die man eine niedrige Qualifikation braucht. Das geschieht in mehreren Sektoren, etwa in der Landwirtschaft beim Baumwollpflücken oder der Verarbeitung von Tomaten oder in der Massenproduktion von Polysilikon für Solarpanele. Dieses System der Zwangsarbeit ist noch größer als das in den Lagern. Es betrifft drei- bis viermal so viele Menschen.

Auch deutsche Unternehmen kommen mit diesem System in Berührung. Firmen wie Hugo Boss, Adidas oder Puma haben zuletzt angekündigt, auf Baumwolle aus Xinjiang zu verzichten. Trotzdem wurden zuletzt wieder Spuren in den Artikeln dieser Marken gefunden. Warum fällt es den Unternehmen so schwer, sich von Produkten aus dieser Region freizumachen?
Über 85 Prozent der chinesischen Baumwolle kommt aus Xinjiang. Und dann wird da vielleicht noch viel gemischt und vermischt. Ich glaube, das ist das große Problem. Es reicht schlicht nicht, dass sich die Unternehmen von ihren chinesischen Zulieferern sagen lassen, dass sie keine Baumwolle beziehen, die von Zwangsarbeitern gepflückt wurde. Sie müssen da viel genauer hinschauen und sicherstellen, dass sie sich von solchen Produkten frei machen. Schlussendlich sind sie dafür verantwortlich.

Adrian Zenz ist der bekannteste Forscher zur Lage der muslimischen Uiguren in Xinjiang. Jüngst veröffentlichte er in Zusammenarbeit mit mehreren internationalen Medien die Xinjiang Police Files. Quelle: imago images

Andere Unternehmen wie VW versichern schon heute, dass die Produkte, die sie aus Xinjiang beziehen, frei von Zwangsarbeit sind. Ist das realistisch?
Das ist schwierig zu beantworten. Die Zwangsarbeit wird schließlich primär in Bereichen eingesetzt, in denen eine relativ geringe Ausbildung reicht. Je mehr Hightech gefragt ist, desto unwahrscheinlicher ist der Einsatz von Zwangsarbeitern. Es gibt allerdings Beispiele von Menschen, die aus den Lagern in Weiterbildungen an Berufshochschulen geschickt wurden, was sie dann für komplexere Arbeiten qualifiziert. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass auch bei den Autokonzernen oder bei ihren Zulieferern Menschen eingesetzt werden, die einmal in Lagern interniert waren oder die Teil des Arbeitskräftetransfers waren und nur so überhaupt in ihre neue Position gekommen sind. Die Chance, dass VW sagen kann, es gebe keine Zwangsarbeit bei ihnen, sinkt mit der Zeit.

Im Juli tritt in den USA ein neues Gesetz in Kraft, dass den Import von Produkten aus Xinjiang nur noch dann erlaubt, wenn die Unternehmen nachweisen können, dass keine Zwangsarbeit bei der Produktion eingesetzt wurde. Ein sinnvoller Schritt?
Ich halte das für die einzig wirksame Maßnahme, um der systematischen Internierungskampagne der chinesischen Regierung etwas entgegenzusetzen. Das Gesetz basiert zu großen Teilen auf meiner Forschung. Es geht darum, dass der Westen das richtige tut. Wir haben die Möglichkeiten dazu. Natürlich kann man nicht vorhersehen, welchen Effekt diese neue Regelung auf das Leben der Uiguren haben wird. Da hat Peking seine eigenen politischen Ziele. Aber für die chinesischen Unternehmen dürfte es in jedem Fall Auswirkungen haben. Denn denen werden dadurch die Profite wegbrechen, die sie vorher durch Zwangsarbeit angehäuft haben.



Es ist also eine Maßnahme, die Sie auch anderen Ländern zur Nachahmung empfehlen würden?
Ja. Es wäre ein wichtiges politisches Signal, dass deutlich macht, dass man die Unterdrückung der Uiguren und das System der Zwangsarbeit nicht akzeptiert. Und es ist faktisch der einzige Weg sicherzustellen, dass wir in unseren Läden keine Produkte verkaufen, die mit Hilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden.

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