Zweifel an Sanktionen Was tun gegen Putin?

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Russland wird ärmer

Es hat nichts mit Sympathien für Russlands Position im Ukraine-Konflikt zu tun, wenn man das bezweifelt. Gewiss: Es gibt genug Beispiele dafür, dass politisch begründete Sanktionen der Industriestaaten gegen missliebige Mitglieder der Staatengemeinschaft erfolgreich waren. Die USA und ihre mehr oder minder willigen Verbündeten haben in jüngster Vergangenheit den Iran zu erheblichen Abstrichen bei seinem nuklearen Aufrüstungsprogramm gezwungen – und zu Verhandlungen, deren Ende freilich noch offen ist. Behinderungen des iranischen Ölexports brachten das Land um seine wichtigste Einnahmequelle, und ganz ausschlaggebend war der Ausschluss der iranischen Banken vom internationalen Geldgeschäft. In Teheran kam es zwar zu keinem Regimewechsel, aber immerhin zum Austausch des scharfmacherischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad gegen einen milder auftretenden Nachfolger.

Dergleichen aber wäre in Moskau undenkbar, meinen die amerikanischen Wissenschaftler Clifford Gaddy und Barry Ickes von der Denkfabrik Brookings Institution in Washington. Sie unterscheiden scharf zwischen unmittelbaren Folgen von Sanktionspolitik – Russland wird ärmer – und erstrebten Ergebnissen: Putin ändert seine Politik oder wird von seinen verärgerten Landsleuten gestürzt. Solche Ergebnisse sind Wunschdenken, sagen die beiden Amerikaner: „Es ist falsch, anzunehmen, dass die Russen auf Sanktionen reagieren würden wie wir.“

Oft geplagt

Das hat nicht nur mit der schwer messbaren Leidensfähigkeit der historisch nur zu oft geplagten russischen Bevölkerung zu tun oder mit nationalistischen Emotionen. Russland lebt und überlebt dank seiner Öl- und Gaseinnahmen, schreiben Gaddy und Ickes, und das seit vielen Jahrzehnten. Diese Einnahmen sanken von einem Zenit von mehr als 400 Milliarden Dollar in sowjetkommunistischen Zeiten auf 100 Milliarden beim Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, halbierten sich noch einmal in den turbulenten Neunzigerjahren und stiegen dann gewaltig an – auf derzeit weit über 600 Milliarden Dollar im Jahr. Die Krise am Ende des 20. Jahrhunderts haben die Russen noch klar in Erinnerung, sie messen daran ihre heutige Situation, so die Wissenschaftler. „Um die Einnahmen wieder auf das Niveau der Neunzigerjahre zu reduzieren, müsste zum Beispiel gleichzeitig der Ölpreis auf unter 40 Dollar pro Barrel fallen und der russische Öl- und Gasexport um 60 Prozent sinken“ – lächerlich anzunehmen, westliche Sanktionen könnten so etwas erreichen.

Entwicklung der Moskauer Börse und Außenwert des Rubel seit Beginn der Krise

Russland ist eben nicht der Iran und schon gar nicht mit Serbien, Myanmar oder Sierra Leone gleichzusetzen, wo schlimme Regime unter internationalem Sanktionsdruck in jüngerer Vergangenheit zusammenbrachen.

In Brüssel laufen die Planungen für weitere Schritte trotzdem weiter. Wenn Moskau auf die jüngste Sanktionsstufe mit Klagen über das Leid der russischen Minderheit im EU-Mitgliedsland Lettland reagiert, klingt das schwer nach einer Neuauflage der Ukraine-Intervention. Wenn am selben Tag in Moskau unter fadenscheiniger Begründung der Ölunternehmer Wladimir Jewtuschenkow festgenommen wird, einer der wenigen Putin fernstehenden Oligarchen, wirkt das wie ein endgültiger Abschied der Moskauer Führung von einer Kooperation mit dem Westen.

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