Welch eine Inszenierung! Vergangenen Dienstag stimmten das Europäische Parlament (EP) in Straßburg und die ukrainischen Parlamentsabgeordneten in Kiew genau um zwölf Uhr mittags mitteleuropäischer Sommerzeit gleichzeitig dem Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU zu. „Heute haben wir bezeugt, wie Geschichte geschrieben wird“, sagte EP-Präsident Martin Schulz pathetisch, es sei eine „Sternstunde für die Demokratie“. Das Europäische Parlament, so die Botschaft, die aus technischen Gründen mit leichter Zeitverzögerung in Kiew eintraf, unterstütze die Ukraine auf ihrem Weg nach Europa.
Weitere Hilfen für die ukrainische Wirtschaft durch die EU rücken mit diesem Doppelbeschluss näher. Doch das ist nur die eine Seite des Problems. Wesentlich schwieriger ist es für die Europäer, geeignete Abwehrmaßnahmen gegen die russische Expansionspolitik zu finden. Militärische Schritte gegen Russland verbieten sich von selbst, eine Einsicht, die derzeit selbst der alte polnische Nationalheld Lech Walesa verkündet, Ikone des Widerstands Osteuropas gegen die Moskauer Dominanz: „Die EU weiß doch, dass Russland Atomwaffen hat, genau wie die Nato. Müssen wir uns denn gegenseitig zerstören?“
Zeitleiste
Die bisherigen Sanktionen der Europäischen Union gegen Putins Expansionspolitik
6. März
Anlass: Besetzung der Halbinsel Krim durch russische Truppen.
Die EU stoppt ihre Verhandlungen mit Russland über ein Assoziierungsabkommen und über Erleichterungen bei der Visaerteilung für russische Geschäftsleute und Touristen
17. März
Anlass: Anschluss-Referendum auf der Krim .
Einreiseverbote gegen 21 (später: 27) russische und ukrainische Politiker, Militärs und Oligarchen, die bei der Annexion der Krim eine Rolle gespielt haben oder Berater Putins sind
29. Juli
Anlass: Abschuss des malaysischen Passagierflugzeugs .
Restriktionen für russische Banken auf europäischen Finanzplätzen, Ausfuhrverbot für Rüstungsgüter und wichtige Technologien, die für den russischen Mineralölsektor wichtig sind
12. September
Anlass: Russland unterstützt weiter die Separatisten.
Bestimmte russische Anleihen dürfen nur mit höchstens 30 Tagen Laufzeit gehandelt werden, außer Banken sind Rosneft, Transneft und die Ölsparte von Gazprom betroffen
Hoffentlich nie
Anlass: Russland dehnt seine Intervention in der Ukraine aus oder destabilisiert weitere Nachbarstaaten.
Ausschluss Russlands vom Banken-Kommunikationssystem Swift (nach dem Vorbild Iran), Einfuhrverbot für russisches Erdöl, Ausfuhrverbot für Hochtechnologie, Überflugverbot für Aeroflot, Boykott von Sport- und Kulturveranstaltungen
Das fragen sich auch viele Unternehmen, die um ihr Geschäft und ihre Investitionen in Russland bangen. Auch diese Sorgen sind ernst zu nehmen – aber politisch sind andere Überlegungen vorrangig. Der deutsche Wirtschaftsaustausch mit Russland ist geringer als der mit dem Nachbarland Polen.
Gerade hat der ukrainische Präsident Petro Poroschenko die Drohung von Wladimir Putin kolportiert, die russische Armee könne binnen zwei Tagen nicht nur Kiew, sondern auch die Hauptstädte Polens, Lettlands und Rumäniens erreichen. Aus Moskau kommt kein Dementi – da wirken die Sorgen des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft nicht nur kleinkrämerisch, sie verhallen auch ungehört auf den Korridoren der Politik.
Entscheidungen zur Sanktionspolitik gegen Russland fallen ohnehin auf Ebene der EU – und überraschenderweise haben es die nationalen Regierungen in Brüssel bislang geschafft, eine gemeinsame Linie zu finden, wenn auch langsam und mühevoll. Polen und Balten mit ihrer Angst vor russischem Revanchismus, Slowaken und Bulgaren mit ihrer totalen Abhängigkeit vom russischen Gas, Spanier und Italiener mit ihrem geringen Interesse an Osteuropa sind schwer unter einen Hut zu bringen.
Was aber können die europäischen Sanktionen überhaupt ausrichten? Mitte September einigten sich die 28 EU-Staaten nach langem Zögern auf weitere Schritte und verstärkten damit die dritte von insgesamt drei Eskalationsstufen, die sie schon im März nach der russischen Intervention auf der Krim angekündigt hatten. Das Arsenal der wirtschaftlichen Folterinstrumente ist aber noch lange nicht ausgeschöpft. „Wir werden möglicherweise weitere Sanktionen aussprechen“, kündigt Elmar Brok an, CDU-Politiker und Vorsitzender des auswärtigen Ausschusses im EP. „Nach oben gibt es sehr viel Spielraum“, sagt der liberale EU-Abgeordnete Alexander Graf Lambsdorff.