
Köln Das FBI schlug noch am Flughafen zu: Sergey Aleynikow war kaum aus der Maschine gestiegen, als die Bundespolizisten dem damals 39-Jährigen am 3. Juli 2009 die Handschellen anlegten.
Über Wochen hatten die Fahnder den IT-Spezialisten beobachtet. Der Ex-Mitarbeiter von Goldman Sachs hatte dem Geldhaus einen Quellcode für den automatisierten Börsenhandel gestohlen - das Hirn einer komplexen Software, mit der sich an den Finanzmärkten weltweit Milliarden verdienen lassen. Acht Jahre muss Aleynikow dafür ins Gefängnis.
Der spektakuläre, hart bestrafte Datenklau macht deutlich, wie wichtig automatisierte Computerprogramme an den Finanzmärkten geworden sind. Sie sind heute die wichtigsten Akteure auf den Finanzmärkten. In New York, dem bedeutendsten Börsenplatz der Welt, werden heute mehr als 70 Prozent der Aktien von Rechnern bewegt.
Wie verändern die mit Algorithmen gefütterten Maschinen, die während eines Wimpernschlags Millionen Aktien handeln können, die Finanzwelt? Kann es gutgehen, wenn ultraschnelle Autopiloten im Takt von millionstel Sekunden gigantische Geldbeträge bewegen? Und können der Mensch und seine vergleichsweise träge Realwirtschaft Schritt halten?
Die Umsätze sind explodiert
Fakt ist, dass die neuen Handelsstrategien das Marktgeschehen grundsätzlich verändert haben - vor allem das sogenannte High Frequency Trading (HFT): Quasi in Echtzeit verarbeiten hochgerüstete Server sämtliche Markt- und Kursinformationen und nutzen ihre überlegene Rechenkapazität, um kleinste Kursschwankungen und Differenzen zwischen Kauf- und Verkaufsangeboten in millionenfache Mini-Erträge umzuwandeln. Diese neuen Technologien und Handelsstrategien haben die Umsätze an den Aktienmärkten explodieren lassen.
Lange haben Finanzmarkt-Ökonomen kritische Fragen verworfen. Der automatisierte Handel sei positiv für alle Beteiligten, war der wissenschaftliche Mainstream überzeugt. Inzwischen aber mehren sich die Belege, dass die seelenlosen Hochgeschwindigkeitshändler die Börsen nicht besser, sondern krisenanfälliger machen.
Hochfrequenzhandel erhöht die Volatilität
Die Ereignisse des 6. Mai 2010 an der Wall Street haben das Umdenken in der Zunft massiv beschleunigt. Gegen 14.30 Uhr New Yorker Ortszeit brachen die Aktienmärkte ohne erkennbaren Grund drastisch ein - der Dow-Jones kollabierte vorübergehend um neun Prozent. Beobachter vermuteten schon damals, dass der automatisierte Handel eine zentrale Rolle für diesen "Flash Crash" spielte. Ein vierköpfiges Forscherteam um Albert Kyle (University of Maryland) liefert dafür jetzt harte wissenschaftliche Belege. Die Ökonomen haben die Ereignisse des 6. Mai rekonstruiert und kommen zu dem Schluss: Der automatisierte Handel hat den Crash zwar nicht ausgelöst, aber ihn verschärft. Dem Kursrutsch war ein voluminöser Aktienverkauf eines großen Händlers vorausgegangen.
Die Forscher stellen fest: Die Computer haben die Aktien zuerst an sich gerissen, sie dann aber wieder abgestoßen. Als dadurch die Preise ins Trudeln gerieten, haben sich die Robo-Trader fluchtartig aus dem Markt verabschiedet.
Börsenhändler aus Fleisch und Blut seien schlichtweg überfordert gewesen - sie hätten in der Kürze der Zeit nicht begreifen können, dass der Absturz nichts mit realen makroökonomischen Informationen zu tun hat, sondern mit "marktspezifischen Liquiditätsevents". "Wir glauben, dass technische Innovationen kritisch für die Entwicklung des Marktes sind", so das Fazit.
Die Liquidität nimmt zu
Dieser Befund stellt die traditionelle Forschungsmeinung zum automatisierten Handel nachhaltig infrage. Bislang waren Finanzmarktökonomen überzeugt: Der algorithmische Handel habe die Transaktionskosten gesenkt, die Liquidität erhöht und die Preisfindung verbessert. Zu diesem Schluss kam zum Beispiel ein Forscherteam um Terrence Hendershott von der Haas School of Business. Möglicherweise sind diese Ergebnisse aber durch den Beobachtungszeitraum verzerrt - Hendershott und Co. haben die Jahre 2001 bis 2005 betrachtet, in denen die Börsen im Aufwind waren. "Ob die Wirkungen in einem turbulenteren Marktumfeld ähnlich positiv sind, ist eine offene Frage", räumen die Forscher ein.
Der Yale-Professor Frank Zhang zweifelt die positiven Wirkungen der Computer-Händler grundsätzlich an. Er ist überzeugt: Die Computer-Händler richten permanenten Schaden an. Zhang hat die Kursentwicklung Tausender börsennotierter US-Unternehmen analysiert - und kommt zu einem bedenklichen Ergebnis. "Nimmt man alles zusammen", so Zhang, "sind die Resultate konsistent mit der Annahme, dass HFT die Volatilität der Märkte erhöht."
Im Schnitt steigere eine spürbare Zunahme des Hochfrequenzhandels die Kursausschläge um 5,6 Prozent. Die Computer seien so programmiert, dass sie ungeachtet realer Entwicklungen auf Trends aufspringen. Dies führt zu einem Herdentrieb, der ausgeprägter sei als bei menschlichen Händlern. Das mache den Markt fragiler. "Letztlich werden die Ressourcen in der Gesellschaft weniger effizient verteilt", sagt Zhang. "Das betrifft jeden."