12-Euro-Mindestlohn „Ich bin erstaunt, dass die Gewerkschaften so gelassen sind“

Ein höherer Mindestlohn wirkt beispielsweise in Friseursalons. Quelle: dpa

Im Oktober hebt die Regierung den Mindestlohn auf zwölf Euro an. Wird das Beschäftigung kosten? Ökonom Lars Feld fordert, den Schritt wissenschaftlich genau zu überwachen. Er fürchtet strukturelle Arbeitslosigkeit.

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Der Mindestlohn soll zum 1. Oktober auf zwölf Euro steigen. Das Bundeskabinett hat grünes Licht für die geplante Erhöhung des Mindestlohns von dann 10,45 auf 12 Euro geben. Welche Folgen sind zu erwarten und was bedeutet es, dass die Mindestlohnkommission bei der Entscheidung übergangen wurde? Dazu befragte die WirtschaftsWoche den Ökonomen und ehemaligen Sachverständigen Lars Feld Anfang Februar 2022. Er ist wissenschaftliches Mitglied der Mindestlohnkommission, hat seit 2010 den Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg inne und ist Direktor des Walter Eucken Instituts.

WirtschaftsWoche: Herr Feld, die Bundesregierung will den Mindestlohn im Oktober um gut 15 Prozent auf dann zwölf Euro pro Stunde anheben. Die Gewerkschaften betonen die positive Wirkung für mehr als sechs Millionen Beschäftigte, die Arbeitgebervertreter geißeln den Eingriff in die Tarifautonomie. Was überwiegt für Sie?
Lars Feld: Selbst die Gewerkschaften müssten erkennen, dass die Politik mit diesem Vorgehen die Tarifautonomie untergräbt; ich bin erstaunt, dass sie so gelassen sind. Der Mindestlohn ist ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument, er korrigiert Wettbewerbsverzerrungen auf lokalen oder regionalen Märkten, wenn einzelne Unternehmen ihre Marktmacht ausnutzen, um Niedriglöhne zu diktieren. Als sozialpolitisches Instrument ist er allerdings ungeeignet.

Die Gewerkschaften verweisen darauf, trotz Mindestlohn von 9,82 Euro erhielten mehr als 100.000 Vollzeit arbeitende Menschen zusätzliche Leistungen aus der Grundsicherung, diese Löhne würden also von der Allgemeinheit subventioniert. Ist das keine Schnittstelle zur Sozialpolitik?
Im Grundsatz sind Kombilohnmodelle als Mittel der Arbeitsmarktpolitik geeignet. Sie können Menschen mit niedriger Produktivität aus struktureller Arbeitslosigkeit in Arbeit bringen – damit sie sich dann weiterentwickeln und nicht mehr auf staatliche Leistungen angewiesen sind. Die Studienlage ist allerdings nicht eindeutig: Einem Teil der Menschen gelingt es aufzusteigen, einem anderen nicht. Genau wie beim Kombilohn braucht es beim Mindestlohn eine strenge Evaluation – insbesondere um die Beschäftigungswirkungen eines um 15 Prozent angehobenen Mindestlohns zu identifizieren.

Schon allein aufgrund der Altersstruktur werden in Deutschland die Arbeitskräfte knapp, viele Branchen tun sich schwer, Leute zu finden und geben auch Quereinsteigern eine Chance. Glauben Sie wirklich, dass wir mehr Arbeitslosigkeit fürchten müssen?
Natürlich haben wir eine generelle Arbeitskräfteverknappung, sodass Arbeitnehmer günstigere Bedingungen vorfinden. Möglicherweise hat ein höherer Mindestlohn von zwölf Euro deshalb geringere Auswirkungen auf die Beschäftigung. Gleichwohl müssen wir darauf achten, dass wir nicht Fachkräftemangel und zugleich eine höhere strukturelle Arbeitslosigkeit bekommen, wenn bestimmte Tätigkeiten sich aufgrund eines zu hohen Mindestlohns nicht mehr rechnen.

Mit dem Eingriff, die Lohnuntergrenze per Gesetz auf zwölf Euro anzuheben, höhlt die Bundesregierung auch das Prinzip aus, dass die unabhängige Mindestlohnkommission über deren Entwicklung entscheiden soll. Das Gremium, dem Sie als wissenschaftliches Mitglied angehören, hat de facto in diesem Jahr also nichts zu tun…
…im Gegenteil müssen wir dafür sorgen, dass es genau zu der wissenschaftlichen Begleitung kommt, die ich eben angedeutet habe. Die Mindestlohnkommission kann Forschungsaufträge vergeben und sicherstellen, dass die Folgen der Erhöhung der Lohnuntergrenze nach den neuesten Methoden und mit der besten Datengrundlage ausgewertet werden. Wenn die Politik eine solche Entscheidung trifft, muss sie auch Verantwortung für die Konsequenzen tragen.



In Großbritannien haben konservative Regierungen 2016 und 2019 ebenfalls das eigentlich zuständige Expertengremium umgangen und den Mindestlohn angehoben. Lässt die Entwicklung dort Schlüsse darauf zu, was uns in Deutschland blüht?
Man muss vorsichtig sein, die höhere Arbeitslosigkeit im Vereinigten Königreich dem Mindestlohn anzulasten – die wirtschaftliche Entwicklung dort ist vom Brexit und von den Auswirkungen der Coronapandemie überlagert. Für Deutschland wird es darum gehen, diese Effekte auseinander zu halten, gerade für Branchen, die von der Pandemie hart getroffen sind. Vielleicht schließen Cafés und Restaurants und manche werden sagen, es lag an Corona. Aber eigentlich war der Auslöser der höhere Mindestlohn.

Lesen Sie auch, wie die Bundesregierung mit dem Eingriff in die Arbeit der Mindestlohnkommission das Gremium plötzlich überflüssig macht – und was das für dessen Zukunft bedeutet.

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