35-Stunden-Woche Darf es ein bisschen mehr sein?

Die 35-Stunden-Woche wurde hart erkämpft – und ist in der Metall- und Elektroindustrie doch längst nicht mehr die Regel. Das zeigt eine Befragung der Beschäftigten. Warum ein Aufschrei der Gewerkschaft dennoch ausbleibt.

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Metaller mit Fahnen ihrer Gewerkschaft: Eine generelle Arbeitszeitverkürzung ist kein Thema mehr. Quelle: dpa

Berlin Die 35-Stunden-Woche feiert die IG Metall bis heute als einen ihrer größten Erfolge. Mit mehrwöchigen Streiks unter dem Logo der lachenden gelben Sonne erkämpfte die Gewerkschaft vor mehr als 30 Jahren den Einstieg in eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung. Seit 1995 gelten in der westdeutschen Metall- und Elektroindustrie die 35 Stunden. Soweit die Theorie.

Denn in der Praxis haben heute 45 Prozent der Beschäftigten der Branche einen Vertrag, der eine längere Arbeitszeit vorsieht. Ein knappes Viertel arbeitet gar 40 Stunden oder länger. Das zeigt die Beschäftigtenbefragung zum Thema Arbeitszeit, deren Ergebnis die IG Metall jetzt veröffentlicht hat.

An vielen Ecken sei es den Arbeitgebern in den letzten Jahren gelungen, „unsere erfolgreiche Arbeitszeitpolitik der Arbeitszeitverkürzung“ durch „Mehrarbeits-, Schicht- und Wochenendzuschläge aufzuweichen“, kritisiert IG-Metall-Chef Jörg Hofmann. Und spricht gleichzeitig einen wunden Punkt an. Denn die Mehrarbeit zahlt sich für die Metaller im Portemonnaie aus. Das ist auch ein Grund dafür, dass die tatsächlich geleistete Arbeitszeit teils deutlich über die vertraglich vereinbarte hinausgeht.

Die 35-Stunden-Woche gilt nur in Westdeutschland, im Osten sieht der Flächentarif noch eine Arbeitszeit von 38 Wochenstunden vor. Den Versuch einer Angleichung musste die IG Metall 2003 nach wochenlangen ergebnislosen Streiks aufgeben, eine der größten Niederlagen ihrer Geschichte.

Aber auch im Westen arbeiten heute mehr als drei von zehn Beschäftigten länger als 35 Stunden. Hofmann führt dies unter anderem auf Öffnungsklauseln in den Tarifverträgen zurück, die die Unternehmen verstärkt in Anspruch nehmen.  So kann etwa die Arbeitszeit mit Zustimmung des Arbeitnehmers auf bis zu 40 Stunden ausgedehnt werden, im Regelfall allerdings maximal für 18 Prozent der Beschäftigten eines Betriebs.

Die Befragung der IG Metall zeigt aber auch, dass sieben von zehn und damit eine deutliche Mehrheit der Beschäftigten mit ihrer Arbeitszeit zufrieden sind – vor allem in Unternehmen, in denen Tarifverträge gelten. Für Unmut sorgen neben überlangen Arbeitszeiten vor allem regelmäßige Wochenendarbeit oder unvorhergesehene Schichtwechsel. Planbare Arbeitszeiten tragen entscheidend mit zur Zufriedenheit der Beschäftigten bei, wie auch die Möglichkeit, kurzfristig für ein paar Stunden gehen zu können, um zum Beispiel das kranke Kind aus der Kita abzuholen.


Gesamtmetall sieht schon ausreichend Spielraum

Die IG Metall will die Arbeitszeit zum Thema ihrer nächsten Tarifrunde machen. „Die Beschäftigten wollen mehr Selbstbestimmung anstatt Fremdbestimmung in der Arbeitszeit“, sagt Hofmann. Auch die Politik hat das Thema längst entdeckt. So setzt sich etwa die SPD für mehr Zeitsouveränität ein. Arbeitsministerin Andrea Nahles schwebt ein „neuer Flexibilitätskompromiss“ vor zwischen den Anforderungen an die Unternehmer in der globalisierten Welt und den Wünschen der Beschäftigten nach mehr Raum für Familie und Freizeit.

Die befragten Metaller setzen dabei vor allem auf eine Umverteilung des Arbeitsvolumens entlang des Lebensverlaufs – also die Möglichkeit, etwa für Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen zeitweise beruflich kürzerzutreten. Für mehr als acht von zehn Befragten ist dabei ein Entgeltausgleich wichtig. Eine allgemeine Verkürzung der Wochenarbeitszeit hat dagegen für eine knappe Mehrheit der Befragten keine Priorität, vor allem, wenn sie mit weniger Geld verbunden wäre.

Für Gewerkschafter Hofmann soll die hart erkämpfte 35-Stunden-Woche auch künftig die Richtschnur bleiben. Denn für immerhin knapp die Hälfte der Beschäftigten spiegle sie die Wunscharbeitszeit wider. Ein Fünftel der Metaller würde gerne kürzer arbeiten, immerhin ein Drittel wünscht sich aber mehr Wochenstunden – auch, um das Gehalt aufzubessern. Auch ihnen will Hofmann entgegenkommen. Derzeit arbeiteten vor allem vermeintliche „Leistungsträger“ länger als 35 Stunden, während das „Fußvolk“ das Nachsehen habe, kritisiert der IG-Metall-Chef. Die Entscheidung über die Arbeitszeit dürfe deshalb nicht länger allein den Arbeitgebern überlassen werden.

Die Gewerkschaft will die Ergebnisse der Befragung, an der sich gut 681.000 Beschäftigte beteiligt haben, nun zur Grundlage ihrer tarifpolitischen Diskussion machen. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall, der mit einem gewerkschaftspolitischen Wunschkonzert rechnet, hatte beim Forschungsinstitut Emnid vorsorglich selbst eine Umfrage unter 1055 Beschäftigten in Auftrag gegeben und die Ergebnisse bereits im März veröffentlicht.

Auch sie zeigen eine grundsätzlich hohe Zufriedenheit der Beschäftigten mit der Arbeitszeit. So erklärten 93 Prozent der Befragten, diese kurzfristig an persönliche Bedürfnisse anpassen zu können. Erreichbarkeit nach Feierabend oder am Wochenende ist demnach eher die Ausnahme als die Regel. Eine Mehrheit der Beschäftigten kann sich demnach auch vorstellen, einige Tage die gesetzliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden zu überschreiten oder die ununterbrochene Ruhezeit von elf Stunden zu kürzen, wenn sie dafür an anderen Tagen Ausgleich erhalten und die Lage der Arbeitszeit selbst mitbestimmen können.

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