60 Jahre Bundesrepublik Die glückliche Generation

Sie haben nach dem Krieg die Not erlebt und in den Sechzigerjahren wie Arbeitskräfte knapp wurden. Sie erzählen von ihrer ersten Cola, Kondomen in Kamillenteepackungen und der Gänsehaut, als die Mauer fiel. Nicht nur die Bundesrepublik feiert 60. Geburtstag, sondern auch die Unternehmer Marion Mehling, Margit Drolshagen, Cord Wöhlke, Werner Hüppe und Friedrich Lürssen.

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Cord Wöhlke, Budnikowsky Drogeriemärkte, Hamburg

Cord Wöhlke: Der Geschäftsführer der Drogeriekette Budnikowsky demonstrierte in den Sechzigern gegen den Vietnamkrieg Quelle: Arne Weychardt für WirtschaftsWoche

Einer wie er fürchtet die Finanzkrise nicht. „Wer 1949 geboren wurde, hat noch gelernt, dass man mit wenig leben kann“, sagt Cord Wöhlke. Der Geschäftsführer der Drogeriemarktkette Budnikowsky in Hamburg feiert in diesem Jahr seinen 60. Geburtstag – wie die Bundesrepublik Deutschland. Als Cord Wöhlke auf die Welt kam, lagen in den Städten noch die Trümmer des Krieges. „Als Kind hatte ich zwei Pullover: einen für sonntags und einen für unter der Woche“, erzählt der Budni-Chef.

Der Firmengründer, Iwan Budnikowsky, kontrolliert zu dieser Zeit noch in den fünf Filialen, die nicht zerstört wurden, persönlich den Gasverbrauch. Der darf nicht höher sein als die Nettoeinnahmen eines Tages. Um Papier zu sparen, schreibt der Chef Arbeitsverträge auf Postkarten. 110 DM Einstiegsgehalt zahlt er seinen Mitarbeitern. In Budnikowskys Seifenläden kostet der Taschenkamm, „12 cm. div. Farben“ 7 Pfennig, die Rasierklinge „Krupp-Edelstahl 10 Stck.“ 18 und das „Haubennetz mit Gummizug“ 16 Pfennig.

Es ging immer aufwärts

Doch die Zeiten des Pfennigfuchsens sind bald vorbei. Wie bei allen, die gleich nach dem Krieg geboren wurden, prägte den jungen Wöhlke die Gewissheit: Es geht aufwärts. „Darf’s ein bisschen mehr sein?“, fragen die Verkäuferinnen an der Ladentheke bei Budnikowsky. Nivea-Creme, Kölnisch Wasser und Persil laufen gut.

Bis Anfang der Siebzigerjahre werden die Kunden an der Theke bedient. Vor anderen Leuten Hygieneartikel zu kaufen, ist den Frauen peinlich. Damenbinden schlagen die Verkäuferinnen deshalb züchtig in Braunholzpapier ein. Und wenn die Prostituierten von der Reeperbahn Kondome brauchen, müssen sie „100 Gramm Kamillentee“ verlangen – das bedeutet: Eine braune Tüte mit 100 Stück, bitte.

Cord Wöhlke hat damals noch kein Interesse an einer Unternehmer-Karriere. Er macht seinen Realschulabschluss und demonstriert gegen den Vietnamkrieg. Dann wird er zur Musterung einberufen und für tauglich erklärt. „Da habe ich verweigert. Das war damals eine Riesensache mit einer Menge Schwierigkeiten.“

Inzwischen hat sein Vater erneut geheiratet – die Tochter von Iwan Budnikowsky. Der kürt Wöhlke, der trotz seiner Sympathien für die Studentenbewegung eine Bank-Lehre macht, 1970 zum Juniorchef. Sein größtes Problem damals: Arbeitskräftemangel. „Wir mussten abends beten, dass unsere Lager-Arbeiter am nächsten Tag wieder auftauchten und nicht auf dem Weg einen besseren Job fanden“, erinnert sich Wöhlke. Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt führt dazu, dass die Löhne drastisch steigen: Verkäufer verdienen Ende der Sechzigerjahre 412 DM Einstiegsgehalt, 1978 sind es schon 1020 DM.

„Wir waren die Ersten, die auf den Zug aufgesprungen sind“

In den Siebzigerjahren bekommt Budni zu spüren, was Wettbewerb bedeutet. Die Regierung hebt die Preisbindung für Markenartikel auf. Jetzt tauchen die ersten Rossmann-Filialen in Hamburg auf, es folgen Schlecker, Müller und dm. Die Ketten machen die kleinen Drogerien platt – Budni hält sich bis heute.

Auf die Studentenbewegung folgt die Ökowelle. Die Grünen entstehen 1979. „Wir waren die Ersten, die auf den Zug aufgesprungen sind“, erzählt Wöhlke, vor dessen Eingangstor Fahrradständer stehen mit der Aufschrift: „Fahrradfahren ist gesund und schont die Umwelt.“ Während die ersten Bioläden mit Körnern zum Selbstschroten eröffnen, bietet Budni Baukästen für umweltfreundliche Waschmittel zum Selbstmischen an.

Am 9. November 1989 fällt die Mauer, Wöhlke ist gerade auf dem Weg zur Eröffnung einer neuen Filiale. Jahrzehntelang hat Budni Tischdecken, Bademäntel und Kerzen aus der DDR importiert, in grauen Kartons. „Da wusste man schon immer: Das ist Ware von drüben. Unsere Kunden kauften damals DDR-Bademäntel und schickten sie als Geschenk zurück nach Ostberlin“, lacht der Budni-Chef.

Nach der Jahrtausendwende kommt die Zeit, in der viele Banken mit Unternehmer-Krediten knausern. „Ich brauchte Geld für ein neues Logistikzentrum, doch meine Bank wollte nicht. Die zog sich gerade aufs Investmentbanking zurück“, empört sich der Budni-Chef noch heute. Das Image der Branche hat bei dem gelernten Banker schon damals einen Schaden erlitten. Sechs Jahre später gibt ihm die Entwicklung recht. Aus der Finanzkrise macht Wöhlke das Beste. Zurzeit denkt er über eine Abwrackprämie für alte Kosmetika nach.

Werner Hüppe, Verholt Polstermöbel, Herten

Werner Hüppe, Möbelfabrikant von Verholt Polstermöbel in Herten Quelle: Catrin Moritz für WirtschaftsWoche

Jeden Abend, wenn die Arbeiter längst daheim sind, wenn die Angestellten ihre Rechner heruntergefahren haben, wenn also Ruhe einkehrt in der Möbelfabrik Verholt, dreht der Chef Werner Hüppe noch einmal eine kleine Runde. Schlendert an den Nähmaschinen vorbei Richtung Polsterei, in der Gestelle und Bezüge zu Sofas zusammenwachsen. Und macht schließlich halt in der Abholhalle, wo Laster die Tagesproduktion schlucken und mit der Fracht im Bauch zu Möbelhäusern in ganz Europa ausschwärmen.

Hüppe genießt diese kurzen Minuten am Ende eines stressigen Tages. Minuten der Besinnung, in denen kein Telefon nervt, in denen kein „Herr Hüppe, könnten Sie mal kurz...!“ an sein Ohr dringt. In diesen Minuten gibt es nur ihn und die Firma, sein Lebenswerk, für das er seit Jahrzehnten bis zur Erschöpfung schuftet.

Wie viele Entscheidungen er schon während dieser kleinen Runden getroffen hat? Er weiß es nicht. Zu viel ist passiert in den vielen Jahren. Stundenlang kann Hüppe von früher erzählen. Wie er 1973 als junger Betriebswirt anheuerte bei der Sieben-Mann-Bude im westfälischen Herten. Wie er den Betrieb übernahm, als der Gründer plötzlich starb. Und wie, mitten in den Boom-Jahren der Wiedervereinigung, die Verantwortung allein auf ihm lastete.

Der 60-Jährige ist fast auf den Tag genau so alt wie der Staat, in dem er lebt. Ein typischer Mittelständler, immer vorn dabei und doch bescheiden, immer um Fairness bemüht und doch manchmal sehr bestimmend. Sein Unternehmen: außerhalb der Branche unbekannt, aber seit Jahrzehnten überaus erfolgreich. Wie Tausende andere solcher Hüppes, die unauffällig, aber mit Fleiß, Geschick und Hartnäckigkeit Millionen Arbeitsplätze geschaffen und den Aufstieg des Landes begründet haben.

Geschäfte wurden per Handschlag gemacht

Der junge Hüppe muss hart kämpfen für sein Glück. Er wird in die beschwerlichen Nachkriegsjahre hineingeboren, wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Im Elternhaus in Bottrop-Kirchhellen gibt es anfangs nicht einmal elektrisches Licht und fließend Wasser. Dafür zwei Schweine, Hühner und sonstiges Viehzeug – man musste sich ja irgendwie selbst versorgen.

Hüppe macht nach Volks- und Handelsschule eine Kaufmannslehre bei einem Gladbecker Chemieunternehmen. Der Schreinersohn will mehr, hat nach nur sechs Semestern den Betriebswirt in der Tasche. Die Arbeitgeber reißen sich um Absolventen wie ihn. Anfang der Siebzigerjahre brummt die Wirtschaft. Seine Kommilitonen lachen ihn aus, als Hüppe ausgerechnet bei der winzigen Matratzenfabrik Verholt anfängt. Doch die Anonymität der Großkonzerne ist seine Sache nicht. Den Gründer Karl-Heinz Verholt dagegen kennt Hüppe aus der Kirchengemeinde.

Es ist eine Zeit, in der Geschäfte per Handschlag gemacht werden. Die ersten Rechnungen schreibt Hüppe auf einer „Gabriele“, einer kleinen Reiseschreibmaschine von Triumph-Adler. Die junge Firma wächst, und um sie herum verändert sich die Welt in atemberaubendem Tempo. In Herten macht die Zeche Ewald dicht, Tausende Bergleute verlieren ihre Jobs. Hüppe hat den Strukturwandel vor Augen, er muss nur aus dem Fenster schauen: Die Abraumhalde der Zeche, an deren Fuß die Verholt-Hallen liegen, ist heute ein Freizeitpark.

„Das Label ,made in Germany‘ ist Gold wert“

Und während im kleinen Herten die Arbeitslosenquoten zweistellig werden, wachsen draußen im globalen Dorf die Märkte zusammen. Hüppe macht mit. Stoffe und Gestelle kommen aus China, doch er produziert – darauf legt der Unternehmer großen Wert – in Deutschland. Seine Konkurrenten lassen ihre Möbel in Osteuropa zusammenschrauben, Hüppe nicht. „Das Label ,made in Germany‘ ist Gold wert“, sagt er, „wir versuchen, mit Qualität, Design und Service zu punkten.“

Das prägendste politische Ereignis in gut 35 Jahren Unternehmertum? Hüppe überlegt nur kurz, dann strahlen seine blauen Augen: „Der Fall der Mauer. Dass ich das miterleben durfte, macht mich unendlich dankbar.“ Auch das Unternehmen profitiert. Alle wollen seine Bettsofas kaufen. „Wir konnten gar nicht so schnell produzieren, wie neue Aufträge reinkamen“, erinnert sich Hüppe.

Dieser Boom ist lange vorbei. Doch auch jetzt in der Krise wächst das Unternehmen. Vielleicht kann er auch deshalb das ständige Nörgeln und Schlechtreden nicht ertragen. Über seine Heimat mit ihren sozialen Errungenschaften und ihrem Wohlstand spricht er mit Stolz. „Die Bürger dieses Landes haben in den vergangenen 60 Jahren Großes geleistet, das sollten wir bei aller Kritik nie vergessen.“ Man müsse vielmehr dankbar sein.

Das haben seine Mitarbeiter schon beherzigt. Sie empfingen vergangene Woche ihren Chef mit einen Geburtstagsständchen. Und schenkten ihm zwei Karten für die Oper, Mozarts Zauberflöte, weil er doch Musik so sehr liebt. Ausnahmsweise hat sich Hüppe an diesem Tag mal ein kleines Päuschen gegönnt, ist schon nachmittags nach Hause gegangen. „Aber morgen“, versprach er den Mitarbeitern, „geht’s wieder richtig los.“

Margit Drolshagen, Marion Mehling, Teddy-Hermann, Hirschaid

Magrit Drolshagen, Marion Mehling von Teddy-Hermann in Hirschaid

Wir sind die glückliche Generation“, sagt Margit Drolshagen, „für uns ging es immer aufwärts.“ Gemeinsam mit ihrer gleichaltrigen Cousine Marion Mehling führt die fast 60-Jährige die Geschäfte bei Teddy-Hermann in Hirschaid bei Bamberg. Vom Kindesalter an halfen sie während der Ferien in der Manufaktur des Großvaters mit, wo sich heute noch in großen Weidenkörben Teddy-Arme, -Beine und -Köpfe türmen. „Wir haben damals die Glasaugen eingefädelt“, erinnert sich Mehling. Ursprünglich im thüringischen Sonneberg gegründet, flieht der Großvater aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen, im Gepäck die Schnittmuster für die Teddybären. „Beim Zwischenstopp in Berlin durfte ich Cola trinken“, erzählt Margit Drolshagen, „daran erinnere ich mich wie heute.“ In Hirschaid errichtet der Großvater mit seinen Söhnen eine neue Plüschspielwarenfabrik. Die Angst „vor den Russen“ ist für die Familie im sogenannten Zonenrandgebiet jahrzehntelang gegenwärtig.

Für die Region sind die Zugezogenen ein Glücksfall. Die „Bauernmädle“ von den Feldern freuen sich, in der Fabrik arbeiten zu dürfen. Mit dem Wohlstand erobern die Teddybären mit dem roten Siegel die Kinderzimmer, in den Sechzigern werden Affen, Löwen, Katzen, Esel oder Elefanten modern. Die Firma hat mehr Aufträge, als sie erfüllen kann, die Stofftiere werden den Warenhäusern und anderen Abnehmern zugeteilt.

Frauen als Chefs? Undenkbar!

Als junge Damen bekommen die Unternehmertöchter von den Vätern rote Karmann Ghia Cabrios geschenkt, „die sahen genau gleich aus. Die Leuten sollten denken, wir hätten nur einen“, erinnert sich Marion Mehling. Bescheiden wollte die Unternehmerfamilie auftreten.

Eigentlich hatten die Väter nicht daran gedacht, dass ihre Töchter die Firma übernehmen könnten, „Frauen waren damals Hausfrauen, die die Kinder aufzogen.“ Doch durch einen Todesfall in der Familie ist plötzlich alles offen. Mehling und Drolshagen, beide kaufmännisch ausgebildet und mehrerer Sprachen mächtig, übernehmen in den Achtzigerjahren das Ruder.

Inzwischen hatte sich die Welt geändert, asiatische Produzenten überfluten Deutschland mit Stofftieren, „in Fernost konnte man zu einem Drittel der deutschen Kosten produzieren, das war ein Schock für uns“, erzählen die beiden. Obwohl die Väter gegen Geschäfte mit Fernost sind, entscheiden die Töchter, die Kinderstofftiere zu importieren und fortan nur noch Artikel für den Sammlermarkt in Deutschland selbst zu produzieren. „Als ich da zum ersten Mal in Hongkong am Flughafen stand“, erinnert sich Mehling, „hatte ich ein mulmiges Gefühl. Und die asiatischen Geschäftspartner waren irritiert, als ich als Frau ankam, um mit ihnen Geschäfte zu machen.“ Immerhin trat man ihr als Deutsche freundlich entgegen, vor allem in Südkorea, „das gemeinsame Schicksal der Teilung war irgendwie verbindend“.

Als die Mauer fällt, reagieren ihre Väter unterschiedlich. Der eine fährt sofort über die Grenze, „und kam völlig verklärt zurück“. Der andere ist nach wie vor so verbittert, dass er seine alte Heimat Sonneberg nie mehr besuchen will. Ihre Töchter schicken sogleich einen Mitarbeiter mit großer Tasche nach Berlin, um Mauerstücke einzusammeln. Es entsteht der Mauerbär, der im Rucksack ein Mauerstückchen trägt.

„Werft den Stein nicht weiter, als ihr ihn sehen könnt“, hatte der Großvater den Enkeltöchtern immer wieder gesagt. Dieses Motto haben die beiden fränkischen Geschäftsfrauen stets beherzigt. „Und genau deshalb geht es der Firma heute gut“, sagen sie unisono.

Friedrich Lürssen, Lürssen-Werft

Schiffsbauer Friedrich Luerssen

1949 wird die Bundesrepublik gegründet, 1949 kommt Friedrich Lürssen auf die Welt – „und zwar hier, in einer kleinen Wohnung auf dem Werftgelände, als Hausgeburt", erzählt der Firmenchef, der stolz ist, dass er „sein ganzes Leben" hier in Bremen-Vegesack an der Weser zugebracht hat. Und auch sonst ist das Jahr ein gutes Jahr: Der Onkel des neugeborenen Friedrich, Fritz-Otto Lürssen, ist aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und darf endlich wieder Schiffe bauen, auch große Schiffe. 1949 lassen die Bremer Werft-Arbeiter das Frachtschiff Stella zu Wasser. Ein Bremerhavener Fabrikant hat es bestellt. Die ersten Jahre nach dem Krieg hatte es schlecht ausgesehen für die Werft: Die Sieger planten zunächst die De-Industrialisierung Deutschlands und verboten den Bau von größeren Schiffen.So jung ist die Bundesrepublik im Oktober 1949 noch, dass sie nicht einmal eine Flagge hat. Die Stella fährt unter der Signalflagge „C", erst 1951 wurde lässt sich ein schwarzrotgoldenes Banner besorgen.

Während Friedrich als Nachkriegskind auf dem Werftgelände aufwächst, helfen die politischen Weichenstellungen der 50er Jahre seinem Vater Gert und seinen Onkel Fritz-Otto, wieder richtig in den Schiffsbau einzusteigen: Bundeskanzler Konrad Adenauer setzt die Wiederbewaffnung Deutschlands durch und den Beitritt zur NATO. Von jetzt an entwickelt sich Bundeswehr-Marine zum Hauptauftraggeber der Bremer Werft. Auch aus anderen Ländern kommen Anfragen. Während des Krieges hatte Lürssen sich einen guten Ruf beim Bau schneller Marineschiffe erworben. Die schwedische Marine bestellt sechs Motortorpedoboote. Auch die Royal Navy und die Franzosen ordern Lürssen-Schiffe. Indonesien kauft 26 Zollboote. 

"Meine Frau macht ziemlich was mit"

In den 60er Jahren floriert das Geschäft. Die Bundeswehr bleibt ein wichtiger Auftraggeber. Daneben stellt Lürssen auch Frachtschiffe her. Der eine oder andere Multimillionär ordert auch schon mal eine Motorjacht. Der Industrielle Herbert Quandt etwa kauft 1965 die „Seebär", und Kaufhausbesitzer Helmut Horten 1971 die „Carinthia V", die allerdings gleich bei ihrer Jungfernfahrt vor der griechischen Insel Kephalonia auf eine Untiefe lief und sank - kein Problem: Horten gibt sofort eine noch größere Yacht als Ersatz in Auftrag. 

Der junge Friedrich Lürssen muss Ende der 60er Jahre zur Bundeswehr. „Ich war bei der Marine, auf dem Schnellboot S 11 GEIER, einem Schiff, das wir selbst gebaut hatten", erinnert er sich. „Das hat mich schon stolz gemacht. Als das Schiff einmal zur Reparatur hier in die Werft kam, hatte ich Wache und musste das ganze Wochenende an Bord bleiben. Ich weiß noch, dass das ein komisches Gefühl war, aber als Soldat musste man gehorchen."

Nach dem BWL-Studium in Hamburg tritt Lürssen 1977 in das Unternehmen ein. „Auf einmal hatte ich viel mit Verteidigungsministerien und Millionären zu tun" erinnert sich der Werft-Chef und lacht. „Mein Leben ist seitdem schwer planbar – meine Frau macht ziemlich was mit". Bis heute. Neulich erst hatte das Ehepaar Karten für eine Operngala, aber Herr Lürssen musste kurzfristig ins Ausland, und Frau Lürssen alleine ins Konzert. „Da bekomme ich dann nachmittags einen Anruf, dass ich morgen zum Frühstück in Dubai oder sonst wo sein soll, und unsere Auftraggeber dulden dann auch keinen Aufschub."

Abrüstung bedeutet für Lürssen Probleme

In den ersten Jahren als Mitinhaber der Werft machte der frisch verheiratete Juniorchef mit den damals obligatorischen halblangen Haaren und dem Seitenscheitel auch schwierige Momente mit: Die Ölkrise 1973 lässt die Nachfrage nach großen Frachtern und Tankern auf Null sinken. Die darauf folgende Rezession tut ihr übriges, die Auftragsbücher bleiben leer. „Aus einer Art Verzweiflung heraus haben unsere Väter dann vorübergehend Fertigbauteile für Schulen und Reihenhäuser produziert", erinnert sich Lürssen. Hinzu kommt, dass Ende der 70er die Asiaten erstmals als Konkurrenz im Schiffsbau auf den Weltmarkt traten. „Zum Glück war uns damals schon klar: Gegen die Wettbewerber mit ihren niedrigen Löhnen haben wir im Frachtschiffbau keine Chance, denn das kann jeder. Deshalb konzentrierten wir uns auf das Geschäft mit dem Besonderen: Bis heute ist jedes unserer Schiffe ein Unikat." 

In den 80er Jahren folgt die Zeit der Abrüstung. Was die meisten Deutschen begrüßen, bedeutet für Lürssen Probleme. „Damals demonstrierten manchmal Menschen mit Transparenten unten am Werkstor, wenn wir ein Schiff für die Marine zu Wasser ließen", erzählt Lürssen. „Rüstungsfirma" wird zum Schimpfwort, der junge Firmen-Mitinhaber muss sich oft rechtfertigen. Ausgerechnet unter der CDU-Regierung Kohl ist Abrüstung das große Thema. Bei Lürssen merkt man immer deutlicher, dass die künftigen Etats der Verteidigungsminister kleiner ausfallen würden.  

Kurz vor dem Fall der Mauer beschließen die Bremer Schiffbauer daher, sich künftig zusätzlich auf exklusive Motoryachten zu konzentrieren. Eine weise Entscheidung, wie sich bald zeigen wird. Anfang der 90er Jahre ist der Dollar stark, und so kauften vor allem vermögende Amerikaner ihre Luxusschiffe bei Lürssen. „Yachting" ist „in", das neue Statussymbol der Reichsten wird die Yacht, und hier gilt: Je länger, desto prestigeträchtiger. Ab 2000 lösen reiche russische Milliardäre die Amerikaner ab, heute gehören zu den Kunden auch arabische Potentaten, die Luxusyachten lieben.  

Bis zu 300 Millionen Euro kostet solch ein schwimmendes Luxusdomizil. Da werden 2000 Quadratmeter edelster Teakholzboden verlegt und Marmorkacheln im „VIP"-Badezimmer, von denen das Stück mehr als tausend Euro kostet. Manche Auftraggeber wünschen sich Schaufenster in den Seitenwänden, um die vorbei springenden Delphine zu beobachten, andere bevorzugen ein meterdickes Guckloch aus Glas im Schiffsboden. In eine Yacht installierte Lürssen ein lederverkleidetes Kino mit Sesseln, die sich passend zum Geschehen auf der Leinwand bewegen. Die Auftraggeber sind natürlich streng geheim, da ist man bei Lürssen diskret. 

„Das ist doch ein prima Konjunkturprogramm", sagt der Werften-Chef. „Mit einem Auftrag kann ich ein paar hundert Leute ein bis zwei Jahre lang beschäftigen. Das ist doch viel besser, als wenn die Superreichen ihr Geld in Aktien anlegen." Die nächsten Jahre könnten allerdings schwierig werden. Yachten sind Luxusgüter, an denen selbst die Superreichen in schlechten Zeiten sparen. 

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