90 Gebiete geologisch geeignet Endlager-Suche: Halb Deutschland ein Atom-Endlager?

Das Atommüll-Endlager soll unterirdisch in Salz, Ton oder Kristallin, also vor allem Granit, entstehen. 2031 soll der Standort gefunden sein Quelle: dpa

Erstmals haben Wissenschaftler Regionen ausgewiesen, wo die Brennstäbe der Kernkraftwerke für eine Million Jahre lang sicher unter die Erde gebracht werden könnten. Doch schon zeigt sich: Die Bundesregierung versteckt sich hinter der Wissenschaft.

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Wer bringt den Müll runter? Diese Frage ist in Deutschland wohl endgültig erst in 30 Jahren beantwortet, 2050 erst soll die Einlagerung des stark strahlenden Mülls der Atomkraftära beginnen. Vorher läuft ein langwieriges Verfahren, dass sich in den kommenden Jahrzehnten immer wieder selbst zurückwerfen könnte – weil die Politik sich hinter der Wissenschaft versteckt und wichtige Entscheidungen meidet, die nur sie treffen kann.

Die deutsche Suche nach dem Atommülllager unter der Erde soll gewissenhafter und unangreifbarer sein als es jedes andere Land der Welt, weder die Schweiz, noch Skandinavien noch Frankreich, angeht. Doch darin könnte auch der Misserfolg begründet sein. Wenn Grundsätzliches nicht entschieden ist, kann die Wissenschaft noch so viele Anhaltspunkte bieten. Befriedet wird die Gesellschaft so nicht und Vertrauen entsteht auch nicht unbedingt.

Heute hat die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) den ersten Schritt getan und hat eine Landkarte Deutschlands eingefärbt. Von der weißen Landkarte hin zu einer mit Regionen, deren Böden mit Salzstöcken, Tonschichten und Granitgestein sich grundsätzlich eignen, die noch mehrere hunderttausend Jahre lang strahlenden Brennstäbe und anderen Atommüll sicher aufzunehmen. Ist das deutsche Sorgfalt oder sind es Trippelschritte mit Stolpergefahr?

Vieles spricht für Trippelschritte auf einem stolperanfälligen Hindernislauf. Die Geologen haben den Untergrund ausgewertet und erst einmal nach der Bodenbeschaffenheit entschieden: In Deutschland eignen sich sehr viele Orte, um Mensch und Natur möglichst in einer Million Jahren nicht gefährlich zu werden. Doch was lässt sich mit dieser Einschätzung anfangen, die die Hälfte des Landes, genau 54 Prozent der Fläche, als geeignet ausweist?

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von Simon Book, Matthias Hohensee

Was lässt sich zu der zugleich lancierten Botschaft sagen, der seit Jahrzehnten umkämpfte Salzstock Gorleben sei nicht mehr in der Auswahl? Das soll die kampferprobten Gegner dort besänftigen. Doch es ist auf zweierlei Weise fragwürdig: Rein geologisch erschließt sich nicht, warum der Ort im einst strukturschwachen Zonenrandgebiet nicht mehr in der Auswahl sein soll. Schaut man dann noch genauer hin, ist die Gegend zudem gar nicht sicher vor einem Endlager. Dort wo Gegner heftig gegen die Brennstäbe protestiert haben und der Widerstand schon in zweiter Generation gelebt wird, werden nun die Tonschichten in der Erde genannt, die sich geologisch eignen.

Die Wissenschaftler im Auftrag der Bundesbehörde BGE haben nur ausgeführt, was im Gesetz steht. Das schafft aber noch kein Vertrauen, sondern nur erneuten Widerspruch. In Gorleben und anderswo, wo Regionen zum Endlager zu taugen scheinen.

Das sehr langwierige Verfahren hat weitere Schwächen. Oberirdisch werden einige der Fässer aus den Atomkraftwerken noch Rost ansetzen, bevor sie vielleicht 2050 unter die Erde kommen. Das deutsche Gesetz will es besonders genau machen, aber verkennt, dass man irgendwann mal entscheiden muss – Grundsätzliches zu Beginn und Einzelheiten nicht zu weit in der Zukunft. Das ist unfair gegen die nächste Generation.



Die abgebrannten und stark strahlenden Brennstäbe aus Deutschlands Atomzeitalter lagern derzeit in Hallen meist in der Nähe der Kraftwerke, wo sie im Einsatz waren. 2022 soll der letzte Atommeiler im Land abgeschaltet werden und erst jetzt beginnt die Suche nach einem sicheren unterirdischen Müllplatz. Und nicht vor 2030 soll der Kreis der Standorte nennenswert eingegrenzt werden durch eine Bundestagsentscheidung. Dann erst soll ausgiebiger unter Tage gesucht und geforscht werden. Vorher gibt es noch allerorts Bürgertermine, Informationsveranstaltungen, wissenschaftliche Untersuchungen vor Ort.

Dabei droht die Suche immer wieder von neuen Erkenntnissen und neuem Unmut möglicherweise betroffener Bürger überholt zu werden. Eine Bundesgesellschaft wird nie so offensiv und mit Blick aufs Allgemeinwohl gegenüber Bürgern argumentieren können wie die Politiker in der Verantwortung. Eine Behörde wird auch kaum aushandeln können, was möglicherweise als Ausgleich auch in einer betroffenen Region geschaffen werden kann. In Skandinavien funktionieren finanzielle Anreize für die Regionen, die ein Endlager beherbergen.

Jetzt wird schnell schon sichtbar, dass ein paar mehr Entscheidungen der Politik nötig wären als erst in einem Jahrzehnt. Grundsätzlich sollte die Politik früh entscheiden, ob sie die Abfälle rückholbar lagern will. Vorteil von Granit, der als festes Gestein, die Behälter nicht umschließen würde: Wenn die Wissenschaft Fortschritte macht und dereinst Atommüll unschädlich machen kann, ließe sich das Endlager für kommende Generationen ganz entschärfen. Auch ließe sich kontrollieren, ob alles sicher lagert und nicht ausläuft oder mit der Umgebung reagiert. Nachteil: Die Abfälle müssten extra gesichert werden mit Barrieren in Richtung Erdoberflächen und könnten vielleicht Ziel terroristischer Anschläge sein.

Bei Salz und Ton ist es genau umgekehrt: Beide Gesteine schließen die Fässer auf immer ein. Ton allerdings kann bei der entstehenden Hitze ungünstig reagieren. Salz löst sich, wenn Wasser eindringt. Solche Fässer im nassen Salz lassen sich bereits in Endlagern für weniger strahlenden Müll besichtigen.


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Diese erste Entscheidung muss die Politik fällen – und zwar vor den vielen Untersuchungen. Dann ließen sich viele Gebiete ausschließen, entweder die mit Granitgestein oder eben jene mit Ton oder Salzstein. Das Gesetz allerdings verfügt den mühsamen und feigen Weg. Dabei wäre nach dieser grundsätzlichen Entscheidung immer noch die Wissenschaft am Zuge und würde das bestmögliche Lager identifizieren können – bevor dann irgendwann mal andere Politiker als die heutigen entscheiden müssen, ob ein Gebiet zu nah an einer Großstadt liegt oder bei Einbringung des Mülls zu schwer zugänglich wäre.

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