92.000 Euro für Ecmo-Beatmung Die Kosten von Corona – und wie „Nudging“ helfen kann

Schwere Verläufe: Auf Deutschlands Intensivstationen, wie hier im Berliner Krankenhaus Bethel, kämpfen noch immer zahlreiche Menschen, Mediziner und Pfleger gegen Coronainfektionen. Quelle: dpa

Die Behandlungskosten für schwere Coronafälle sind hoch. Doch statt mit einer Impfpflicht zu drohen, gibt es mildere Mittel – so zeigt ein Feldversuch, wie bezirzend Behördenschreiben sein können.

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Es ist zunächst ein nüchterner Blick auf die Zahlen: 92.000 Euro kostet im Schnitt die stationäre Behandlung eines Coronapatienten, der mit einer Ecmo-Maschine beamtet werden muss. 34.200 Euro sind es bei künstlicher Beatmung ohne Ecmo, 5800 Euro für Patienten, die nicht beamtet werden müssen.

Das zeigt eine Auswertung des wissenschaftlichen Dienstes der AOK. Einbezogen wurden dafür Fälle, die zwischen März 2020 und Juni 2021 mit oder wegen einer Covid-19-Erkrankung im Krankenhaus aufgenommen worden sind.

Vergleichsgrößen zu den Kosten sind schwierig zu bekommen. Das Deutsche Krankenhausinstitut erklärt, keine Zahlen zur Höhe der Kosten zu haben. Auch der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen, der GKV, kann keine Aussage dazu machen und verweist auf die AOK-Auswertung.

Kein Überblick zur Gesamthöhe 

Das Gesundheitsministerium (BMG) teilt ebenfalls mit, keine Informationen über die bisherige Gesamthöhe der Vergütungen der intensivmedizinischen Behandlung zu haben. Ein Sprecher verweist auf „allgemeine Informationen“ zu Fallpauschalen, die für Coronapatienten auf der Intensivstation abgerechnet worden sind.

Diese Kosten haben 2020 laut BMG zwischen 18.100 Euro und bis zu 145.000 Euro gelegen, je nach Schwere des Verlaufs, Dauer der Beatmung und Aufwand der intensivmedizinischen Behandlung. Hinzu komme ein Pflegeentgelt. Die tatsächliche Höhe sei somit „jeweils vom Einzelfall abhängig und lässt sich nicht pauschal beziffern“, erklärt ein Sprecher. Deshalb könnten die Kosten auch nicht hochgerechnet werden.

So oder so sind es Zahlen, die oft mit schweren menschliche Schicksalen und gesundheitlichen Folgen verbunden sind. Fälle, die inzwischen durch eine Impfung gegen das Coronavirus wohl zum Großteil verhindert oder abgemildert werden könnten, wie ein Blick auf eine weitere Statistik deutlich macht.

Kaum Impfdurchbrüche auf Intensivstationen

Denn dass jemand trotz einer Impfung intensivmedizinisch behandelt werden muss, kommt selten vor: Bei den rund 43.000 Corona-Patienten zwischen 18 und 59 Jahren, die seit Februar stationär behandelt werden mussten, lag der Anteil eines wahrscheinlichen Impfdurchbruchs bei 0,7 Prozent der intensivmedizinisch Behandelten. Bei den rund 63.000 Corona-Patienten über 60, die stationär aufgenommen wurden, lag der Anteil der vermuteten Impfdurchbrüche unter den Intensivpatienten bei zwei Prozent, heißt es im neuen Lagebericht des Robert Koch-Instituts (RKI), der am Donnerstag veröffentlicht worden ist. „Der bei weitem größte Teil“ der Coronafälle, die seit Februar insgesamt gemeldet wurden, war laut RKI „nicht geimpft“.

Trotzdem ist die Impfkampagne ins Stocken geraten: Rund 62 Prozent der Bevölkerung sind laut RKI inzwischen vollständig geimpft, damit liegt Deutschland im europäischen Vergleich jedoch nur auf dem 13. Platz. Spitzenreiter sind Portugal (86 Prozent), Malta (81 Prozent) und Spanien (79 Prozent), gefolgt von Dänemark, wo mit einer Impfquote von 74 Prozent die Pandemie nicht mehr als „gesellschaftskritische Krankheit“ eingestuft wird.

Will auch Deutschland dies erreichen, muss die Impfquote also offensichtlich erhöht werden – gerade mit Blick auf die Delta-Variante, sagte RKI-Chef Lothar Wiehler: „Wenn wir die aktuellen Impfquoten nicht drastisch steigern, dann kann die aktuelle vierte Welle im Herbst einen fulminanten Verlauf nehmen“, mahnte Wiehler am Donnerstag. Jede einzelne Impfung entscheide auch darüber, wie sicher Deutschland durch Herbst und Winter komme, ergänzte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU).

Umso bemerkenswerter ist es jedoch, dass verhaltensbasierte Anreize in Deutschland bisher kaum genutzt werden, um die Impfbereitschaft zu erhöhen. Dabei wären sie ein deutlich milderes Mittel als beispielsweise eine umstrittene Impfpflicht, wie sie US-Präsident Joe Biden gerade für Angestellte des Bundes sowie für alle Auftragnehmer der US-Regierung angekündigt hat.

„Ihre Impfung“ wartet

Wie entscheidend der Ton sein kann, zeigt eine Feldstudie aus Bad Nauheim, den die drei Wissenschaftler Florian Keppeler (Zeppelin Universität), Sebastian Jilke (Georgetown University) und Martin Sievert (Universität Mannheim) unternommen haben. In Zusammenarbeit mit der Stadt und zwei dort ansässigen Kliniken haben sie ein offizielles Schreiben an die Bevölkerung verschickt, das vom Bürgermeister und den beiden Klinikchefs unterzeichnet worden war.

In einem Teil dieser Briefe haben sie eine persönliche und direkte Ansprache genutzt, allein durch eine Formulierung wie „Ihre Impfung“ konnte das Impfinteresse demnach um 39 Prozent im Vergleich zur Kontrollgruppe erhöht werden. Denn durch Possessivpronomen wie „Ihre“ oder „Ihr“ würde „ein Gefühl der Eigentümerschaft“ erzeugt, quasi nach dem Motto: Da gibt’s eine Impfung, die mir gehört – also hole ich sie mir auch.



„Nudging“ nennt man es in der Verhaltensökonomie, wenn solche „Anstupser“ genutzt werden, um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zu bringen, ohne finanzielle Anreize zu nutzen. Auch das Kanzleramt beschäftigt ein Referat mit Verhaltenswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die 2018 eine ähnliche Studie mit der Techniker Krankenkasse (TK) durchgeführt hatten. Damals ging es um die Erhöhung der Impfquote gegen Masern unter Erwachsenen, auch damals konnte durch eine direkte Ansprache das Interesse an der Impfung erhöht werden.

Auch Nachrichten per App- oder SMS, in denen rund 24 Stunden vor der Impfung an den Termin erinnert werde, würden zu einer erhöhten Wahrnehmung beitragen, habe eine weitere Studie gezeigt, berichtet Keppeler. Solche Nachrichten könnten beispielsweise über „Cell Broadcasting“ an eine möglichst breite Bevölkerungsgruppe verschickt werden.

Ein Schreiben für 70 Millionen?

Insgesamt seien Aufwand und Kosten für Schreiben und Erinnerungen im Vergleich zum potenziellen Nutzen – also der höheren Impfquote – vergleichsweise gering, erläutert Keppeler. Er schlägt deshalb vor, einen ähnlichen Brief wie in Bad Nauheim an alle rund 69 Millionen Erwachsenen in Deutschland zu verschicken. Hätte der Brief bei den Ungeimpften einen ähnlichen Effekt wie in der Studie, könne das Schreiben „dazu beitragen, dass bis zu 2,8 Millionen Menschen zusätzlich Interesse an einem Impftermin haben“, erklärt Keppeler.

Denkbar wäre auch, dass die Krankenkassen ein solches Schreiben verschicken. Doch drei der größten Kassen – die TK, die Barmer und die DAK – erwägen dies nicht, sie verweisen auf ihre bisherige Kommunikation und Aufklärung zur Impfkampagne. Auch der Gesamtverband der gesetzlichen Krankenkassen, der GKV, sieht keinen Sinn in einem solchen Brief, da er nicht gezielt an Ungeimpfte verschickt werden könnte.

„Unsere einzige Möglichkeit“

Intensivmediziner verweisen jedoch auf die Dringlichkeit, gerade diese Gruppe zu erreichen. Impfungen sind „unsere einzige Möglichkeit, die Pandemie zu kontrollieren“, sagt Stefan Kluge, Direktor für Intensivmedizin am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf und Präsidiumsmitglied der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI). Deshalb müsse die Politik „jetzt mehr tun, um die Impfbereitschaft zu erhöhen“: „Es ist höchste Zeit, denn eine Impfung am morgigen Tag entfaltet ja erst nach mehreren Wochen ihre volle Schutzwirkung“, betont Kluge.

Spahns Ressort startet „Impfaktionswoche“

Doch auch das Bundesgesundheitsministerium plant kein „Nudging“ wie im Bad Nauheimer Feldversuch. Stattdessen startet am Montag eine „Impfaktionswoche“. Die Bundesländer sollen dafür mit Verbänden, Vereinen und Organisationen kooperieren, um niedrigschwellige Angebote zu machen.

Die Impfung muss jetzt „zum Bürger kommen“, sagt Intensivmediziner Kluge. Auch andere Sprachen und Kulturkreise müssten berücksichtigt werden. Auch eine „persönliche Ansprache oder ein persönliches Schreiben ist sicherlich eine gute Möglichkeit“, erklärt Kluge. Denn noch immer gebe es „Menschen, die nicht ausreichend informiert sind über die Sinnhaftigkeit der Impfung“.

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Allerdings hat auch das Nudging per Brief seine Grenzen, schränkt Keppeler ein: „Strikte Impfgegnerschaft wird sich durch aktivere und effektivere Kommunikation allein nicht auflösen lassen“, sagt er. Wer aber noch unsicher sei oder das Impfen aufschiebe, der könne durch eine solche Ansprache erreicht werden – nur muss es in Politik und Verwaltung eben jemanden geben, der so einen Brief auch bezirzend formulieren kann.

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