Abenteuerliche Finanzpolsterbildung Die Intransparenz der IHK-Transparenzoffensive

In vielen Städten wählen die Industrie- und Handelskammern gerade neue Vertreter. Immer mehr Unternehmer begehren auf, immer öfter haben sie Erfolg. Streitpunkt ist die Rücklagenbildung vieler Kammern.

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Gegenwind gewohnt: Kammerkritiker Boeddinghaus Quelle: Christof Mattes für WirtschaftsWoche

Seine Waffen hat Kai Boeddinghaus gut sichtbar in sechs Spanholzregalen drapiert. In wilder Ordnung sind Dutzende Leitz-Ordner aneinandergelehnt, auf ihren roten, grünen und gelben Rücken steht in großen Lettern, gegen wen er sie gerichtet hat: „IHK Koblenz Rücklagen“, „DIHK-Kredit“. Es sind Erinnerungen an gewonnene und verlorene Schlachten, in manchen steckt er noch mittendrin. Sie bedecken drei Wände seines Büros in der Kasseler Innenstadt, nur die Tür und zwei Fenster sind frei.

Seit Jahren kämpfen Boeddinghaus und seine Mitstreiter vom Bundesverband für freie Kammern (bffk) von Kassel aus gegen den Kammerzwang, der die Unternehmen in ganz Deutschland im Jahr gut eine Milliarde Euro kostet. Klar: Wo es Gebühren gibt, da findet sich immer auch einer, der sie nicht zahlen mag. Jeder Solardachbesitzer ist heute – wenn auch beitragsfrei – Zwangsmitglied einer Kammer, weil er ein Gewerbe anmelden muss. Schon vor Jahrzehnten gab es immer mal wieder einzelne Unternehmer, die sich auch öffentlich über die Betragspflicht ärgerten. Doch im Moment liegt die Sache anders.

In elf IHK-Bezirken werden in diesen Tagen neue Vollversammlungen gewählt, darunter auch in den Metropolen Hamburg und Frankfurt. Und an einigen Orten findet etwas statt, was die Kammervertreter bisher nur aus dem Fernsehen kannten: Wahlkampf. Kleine Gruppen von Unternehmern kandidieren gegen die Alteingesessenen. In Kassel haben sie Wahlplakate in der Stadt aufgehängt. Öffentliche Debatten um die IHK-Wahl, so etwas war lange unvorstellbar. In Stuttgart ist die Protestgruppe Kaktus vor gut einem Jahr sogar in die Vollversammlung eingezogen. Vieles deutet darauf hin, dass aus dem unermüdlichen Protest einiger Querulanten gerade so etwas wie eine Bewegung wird. Die aufmuckenden Unternehmer wollen Demokratie in die Kammern bringen. Der Protestverband bffk hat nicht nur bereits 1.300 Mitglieder, unter ihnen sind inzwischen auch zehn Konzerne mit jeweils mehr als einer Milliarde Umsatz im Jahr.

Über Koblenz hinaus

Es ist Anfang Januar, als eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz bekannt wird. Ein IT-Unternehmen aus dem Dunstkreis von Boeddinghaus hatte gegen die IHK Koblenz geklagt, sie horte viel zu hohe Rücklagen, insgesamt 22 Millionen Euro. Die müssten längst an die Mitglieder ausgeschüttet werden. Überraschend gibt das Gericht dem Unternehmen recht, die IHK muss unverzüglich Beiträge zurückerstatten. Sofort schaltet sich der Dachverband DIHK ein, beantragt Revision. Bloß keinen falschen Präzedenzfall schaffen. Denn dieser Streit wirkt weit über Koblenz hinaus.

Bisher hatten sich Kammern immer erfolgreich auf ihr Selbstverwaltungsrecht berufen und die Prüfung ihrer Zahlen in den eigenen Händen behalten. In Koblenz sagt erstmals ein Richter: Die Rechnungslegung der IHK ist gerichtlich überprüfbar. Das klingt nach Öffentlichkeit, für die meisten Kammern klingt es furchtbar.

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