Abgasversuche „Ethik und Moral für den Profit geopfert“

Die Kritik an den Abgasversuchen eines Forschungsvereins der Autoindustrie reißt nicht ab. Nun wird der Ruf laut, die Nähe der Wirtschaft zu wissenschaftlichen Einrichtungen auf den Prüfstand zu stellen.

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Berlin Der SPD-Politiker Klaus Barthel fordert angesichts der Abgastests mit Affen und Menschen, die Nähe der Wirtschaft zu wissenschaftlichen Einrichtungen stärker in den Blick zu nehmen. „Wir brauchen eine breite Debatte über den zunehmenden Einfluss wirtschaftlicher Interessen auf Forschung und Lehre an Hochschulen. Das verträgliche Maß ist bei weitem überschritten. Das schadet dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft“, sagte der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels dem Handelsblatt.

Hintergrund sind die vor einigen Tagen bekannt gewordenen Versuche an Affen, die die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) gefördert hatte. Hinter der EUGT, die 2017 aufgelöst wurde, standen VW, Daimler und BMW. Am Sonntag wurde zudem bekannt, dass die Uniklinik Aachen Tests mit Stickstoffdioxid an Menschen vornahm - ebenfalls gefördert von der EUGT. Die Uniklinik wies darauf hin, dass die Studie in keinem Zusammenhang zum Dieselskandal stehe und von der Ethikkommission der Klinik genehmigt worden sei.

Barthel erklärte dazu, es sei unerheblich, ob die Sache mit dem Dieselskandal zu tun habe. „Versuche mit Menschen müssen engsten Kriterien genügen“, sagte er. „Für mich ist nicht erkennbar, worin das höhere wissenschaftliche Interesse bestehen sollte, abgesenkte Grenzwerte zu testen.“ Grenzwerte würden üblicherweise nach vorher erarbeiteten wissenschaftlichen Erkenntnissen festgelegt.

Aus Sicht der Grünen zerstören die Abgasexperimente weiter das Vertrauen in die Autoindustrie. „Ethik und Moral wurden offenbar für den Profit geopfert“, sagte der Verkehrsexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, Stephan Kühn, dem Handelsblatt. „Wenn es noch eines Grundes bedarf, dass der Abgasskandal nicht länger ohne personelle Konsequenzen bleiben kann, sind es diese Versuche an Menschen und Tieren.“ Die Abgastests zeigten, dass der Dieselskandal noch längst nicht aufgeklärt sei. „Ich erwarte, dass die Autohersteller unverzüglich alle Informationen zu den Abgasexperimenten auf den Tisch legen“, so Kühn.

Dem Bundestags-Untersuchungsausschuss zum VW-Dieselskandal waren die Abgastests an Tieren nach Informationen des Handelsblatts schon seit längerem bekannt sein. Schon auf dessen Sitzung am 8. September 2016 hat ein bekannter Toxikologe mehrfach davon berichtet, dass es entsprechende Tests gegeben hat. Keiner der informierten Politiker hat jedoch daran Anstoß genommen. Das geht aus dem stenografischen Protokoll der Sitzung hervor.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag die Schadstoffversuche scharf kritisiert und Aufklärung gefordert. „Diese Tests an Affen oder sogar Menschen sind ethisch in keiner Weise zu rechtfertigen“, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.

VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch teilte mit: „Im Namen des gesamten Aufsichtsrates distanziere ich mich mit allem Nachdruck von derlei Praktiken.“ Die Vorgänge müssten „vorbehaltlos und vollständig aufgeklärt werden“. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil forderte umfassende Aufklärung, Betriebsratschef Bernd Osterloh verlangte personelle Konsequenzen.

Der geschäftsführender Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) erklärte, die betroffenen Hersteller seien zu einer Sondersitzung der Untersuchungskommission des Verkehrsministeriums zum Abgasskandal gebeten worden und sollten dort umgehend und detailliert informieren.

Auch der Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer forderte von den Autobauern und ihrem Verband VDA mehr Transparenz und Information über die Vorgänge. „Wenn es tatsächlich so wäre, dass Tierversuche gemacht wurden, um den Clean Diesel in USA zu verkaufen wäre das absurd, tölpelhaft und dumm“, sagte Dudenhöffer dem Handelsblatt. „Würde sich die Vermutungen mit Menschenversuchen bestätigen, wäre das ungeheuerlich“. Die mittlerweile wieder aufgelöste von der Branche unterstützte „Forschungs-Institution“ EUGT erscheine ihm „sehr dubios“. Also es brauche es Aufklärung.

Dudenhöffer wies auf die Folgen für die Autobranche hin, die sich mehr als zwei Jahre nach Bekanntwerden der Diesel-Manipulationen immer noch mit neuen Vorwürfen auseinandersetzen müsse. „Es scheint fast eine never ending story“, sagte er. Damit werde das Vertrauen der Öffentlichkeit und der Kunden in die Branche „sehr stark“ beschädigt. „Und genau dieses Vertrauen braucht die Branche, um die Öffentlichkeit für die neuen großen Innovationsthemen wie autonomes Fahren zu gewinnen.“


Autoverband geht auf Distanz

Der Verdacht, dass mit Menschen experimentiert worden sei, war aus einem Report des Lobby-Instituts EUGT hervorgegangen, über den „Stuttgarter Zeitung“ und „Süddeutsche Zeitung“ berichteten.

Diesem Vorwurf trat allerdings der zuständige Institutsleiter Thomas Kraus von der Universität Aachen entgegen: eine entsprechende Studie befasse sich nicht mit der Dieselbelastung von Menschen. In der Studie von 2013 - lange vor Bekanntwerden des VW-Dieselskandals - gehe es um den Stickstoffdioxidgrenzwert am Arbeitsplatz, sagte er der Agentur dpa. 25 gesunde Menschen seien Konzentrationen ausgesetzt worden, die unterhalb der Belastung am Arbeitsplatz lägen. Die Ethikkommission der Uniklinik Aachen habe die 2016 veröffentlichte Studie geprüft und genehmigt. Auch Volkswagen bestritt einen Zusammenhang mit der Dieselaffäre.

Stickstoffdioxid (NO2) ist der Schadstoff, dessen Messwerte von VW in den USA jahrelang manipuliert worden waren, um die gesetzlichen Grenzwerte für Dieselfahrzeuge offiziell einzuhalten. Tierversuche beim Test von Dieselabgasen, die durch US-Ermittlungen zur VW-Abgasaffäre bekannt geworden waren, hatten Empörung ausgelöst. Zehn Affen, genauer gesagt Javaneraffen oder Langschwanzmakaken, waren dabei gezielt Schadstoffen ausgesetzt worden.

Kraus erklärte, die NO2-Konzentration für die Aachener Studie sei dagegen vergleichbar mit der in der Umwelt gewesen. Die Probanden seien dieser Konzentration für drei Stunden ausgesetzt worden, gesundheitliche Effekte habe es nicht gegeben. „Es gibt keinen Zusammenhang mit dem Dieselskandal“, betonte er. Allerdings förderte die von den Konzernen VW, Daimler und BMW gegründete Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT) die Studie. Die Forscher seien aber „in keinster Weise“ beeinflusst worden, sagte Kraus.

Schon am Wochenende hatte sich Volkswagen für die Versuche mit Affen entschuldigt. Die Tests sollten beweisen, dass die Diesel-Schadstoffbelastung dank moderner Abgasreinigung stark abgenommen hat. In Auftrag gegeben hatte die EUGT diese Studie, federführend soll VW gewesen sein.

VW-Chefkontrolleur Pötsch kündigte an, der Aufsichtsrat werde sich bald mit dem Thema beschäftigen. „Wer auch immer dafür Verantwortung zu tragen hat, ist selbstverständlich zur Rechenschaft zu ziehen.“ Weil bezeichnete die Versuche als „absurd und widerlich“ - dies gelte erst recht, wenn es zu Versuchen an Menschen gekommen sein sollte.

Der Verband der Automobilindustrie (VDA) verurteilte die Schadstofftests: „Hier zeigt sich einmal mehr: Technik und Wissenschaft müssen sich grundsätzlich im Rahmen des gesellschaftlich und ethisch Verantwortbaren bewegen“, sagte VDA-Präsident Matthias Wissmann. Dies sei eine ständige Aufgabe für jede Industrie. „Ohne ethisches Fundament gewinnt man keine Zukunft.“

Auch Daimler distanzierte sich ausdrücklich von den Studien und der EUGT. „Wir sind über das Ausmaß der Studien und deren Durchführung erschüttert“, hieß es in einer Stellungnahme. Daimler verurteile die Versuche auf das Schärfste. „Auch wenn Daimler keinen Einfluss auf den Versuchsaufbau hatte, haben wir eine umfassende Untersuchung eingeleitet, wie es dazu kommen konnte.“

BMW erklärte, an den genannten Studien nicht mitgewirkt zu haben. „Wir haben umgehend mit einer internen Untersuchung begonnen, um die Arbeit und Hintergründe der EUGT sorgfältig aufzuklären“, teilte der Autobauer mit. Dazu zähle auch ein umfassender und sachlicher Abgleich der Studienmethodik mit vergleichbaren wissenschaftlichen Untersuchungen.

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