Abschiebungen Wo ist Martin Schulz?

In der Debatte um Abschiebungen nach Afghanistan hat man eine Stimme noch nicht gehört: Der SPD-Kanzlerkandidat hält sich in der Debatte über die Flüchtlingspolitik bisher auffallend zurück. Er weiß warum. Ein Kommentar.

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Kein Gewinnerthema im Wahlkampf. Quelle: dpa

Berlin Am Mittwochabend wird wieder ein Charterflugzeug Richtung Afghanistan starten. An Bord rund 50 abgelehnte Asylbewerber, die in ihre Heimat abgeschoben werden. Am Morgen hat das Bundeskabinett zudem einen Gesetzentwurf von CDU-Innenminister Thomas de Maizière abgesegnet, damit „Gefährder“ besser überwacht und in Abschiebehaft genommen werden können. Außerdem soll das Flüchtlingsamt BAMF die Handydaten von Asylbewerbern auslesen dürfen, um schneller Klarheit über ihre Identität zu haben und damit auch schneller über ihren Antrag entscheiden und sie gegebenenfalls abschieben zu können.

In den Ländern, wo die SPD mit in der Regierung sitzt, wächst vor allem der Widerstand gegen die Abschiebungen nach Afghanistan. Angesichts der angespannten Sicherheitslage am Hindukusch sei es nicht zu vertreten, Menschen dorthin zurückzuschicken, argumentieren sie. Eine Stimme hat man in der Debatte bisher allerdings noch nicht vernommen: die des SPD-Kanzlerkandidaten. Martin Schulz schwingt sich als Kämpfer für die soziale Gerechtigkeit auf, fordert höhere Löhne für die „hart arbeitenden Menschen“, auskömmliche Renten, mehr Umverteilung. Zu Abschiebungen hört man von ihm nichts.

Die Flüchtlingspolitik ist kein Gewinnerthema für den Wahlkampf, das weiß auch Schulz. Als Europapolitiker hat er sich klar hinter die Linie von Bundeskanzlerin Angela Merkel gestellt, eine europäische Lösung in Asylfragen verlangt. Die Obergrenze lehnt er ebenso wie Merkel ab. Doch vom Kanzlerkandidaten und designierten SPD-Chef können die Wähler nun zu Recht auch Antworten erwarten, wie es denn in der Flüchtlingspolitik weitergehen soll.

Was de Maizière und sein Justizkollege Heiko Maas unter dem Eindruck des Anschlags vom Berliner Breitscheidplatz auf den Tisch gelegt haben, mag helfen, kriminelle oder gefährliche Flüchtlinge wieder los zu werden, aber hier geht es um eine kleine Gruppe. Auch die drei seit Mitte Dezember erfolgten Sammelabschiebungen nach Afghanistan sind bisher nicht viel mehr als Symbolpolitik. Denn allein im Januar hat das BAMF über 70.750 Anträge entschieden und davon gut jeden zweiten abgelehnt. Die Zahl der Menschen, die kein Bleiberecht in Deutschland erhalten, wächst also von Tag zu Tag.

Sicher gibt es gute Gründe dafür, Menschen derzeit nicht nach Afghanistan zurückzuschicken. Es werden sich aber auch immer Gründe finden lassen, warum Marokkaner, Tunesier oder Pakistaner lieber nicht abgeschoben werden sollten. Das gilt umso mehr, wenn sie zum Teil Jahre auf eine Entscheidung in ihrem Asylverfahren gewartet haben und sich inzwischen berechtigte Hoffnungen machen, in Deutschland bleiben zu dürfen. Oder wenn ihre Kinder hier zur Schule gehen und inzwischen besser Deutsch sprechen als die Sprache ihrer Eltern.

Doch wenn jeder bleiben darf, der es irgendwie nach Deutschland schafft, würde das Asylrecht ausgehöhlt. Martin Schulz wird also irgendwann Farbe bekennen müssen, wie er zu Rückführungen – auch nach Afghanistan – steht. Sich als Moralapostel hinzustellen und die Drecksarbeit der Union zu überlassen, wird nicht reichen. Die sinkenden Umfragewerte der AfD sind sicher auch darauf zurückzuführen, dass der SPD-Gerechtigkeitswahlkampf bei Teilen ihrer Klientel verfängt. Die spannende Frage ist, wie sich die Umfragen entwickeln, wenn Schulz sich erst in der Flüchtlingspolitik positioniert. Wenn er klug ist, wartet er damit möglichst lange.

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