Abschied aus der Bundespolitik Peter Altmaier und der bitter-süße Geschmack der Macht

In dieser Woche übergibt Peter Altmaier sein Amt an Robert Habeck. Quelle: dpa

Wirtschaftsminister Peter Altmaier tritt ab. Und hinterlässt eine ebenso schattierte und spannende Bilanz. Eine Würdigung.

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An diesem Freitagmorgen Ende August 2019 ist Peter Altmaier in aufgeräumter Stimmung. Ein klarer, schon leicht spätsommerlicher Tag kündigt sich an, der Bundeswirtschaftsminister absolviert gerade seine Mittelstandstour, unterwegs und im Gespräch ist ihm ohnehin der liebste Aggregatzustand. In einigen Minuten wird er das Geschäftsführerduo des Maschinenbau-Weltmarktführers Bäumer in Freudenberg für ein WirtschaftsWoche-Gespräch treffen, und er macht wirklich fast den Eindruck, als könne er sich jetzt und hier nichts Netteres vorstellen.

Erstmal aber schreitet Altmaier aus dem Siegener Hotel ins Freie und plaudert los. Sein Dienstwagen wartet schon, und das wird er auch noch ein paar Augenblicke. Vielleicht liegt es am Wetter, jedenfalls beginnt der Minister lieber mit einer Schwärmerei über Rom und erzählt, dass er dort beim jüngsten Besuch im Sommer ein bisschen auf die Spuren Goethes wandelte.

Et in Arcadia ego. Die berühmte Widmung der „Italienischen Reise“ könnte dem 63-Jährigen schon bald als passendes Motto dienen. Aus dem „Faust“ zitiert er jederzeit aus dem Stand und zum Mittelmeer, ach, zieht es ihn ohnehin. Alles zum Besten eingerichtet, könnte man meinen, bliebe da nicht noch diese eine prosaische Pflicht, die zugleich auch Zäsur sein wird: In dieser Woche übergibt Altmaier sein Amt an Robert Habeck. Eine der interessantesten, abwechslungs- und wendungsreichsten Politikerkarrieren, davon allein fast zehn Ministerjahre an der Seite Angela Merkels, geht dann endgültig zu Ende.

Auf Peter Altmaier wartet nun der Strömungsabriss oder die große Freiheit. Oder beides.

Die Politikmaschine herrscht unbarmherzig. Wer, wie Altmaier, so lange das Leben eines Spitzenpolitikers gelebt hat, ist Leerstellen und Leerlauf nicht mehr gewohnt. Der Kalender regiert über einen, immer ist Krise, mal eine kleine, mal eine gewaltige. Wer diese Tagesordnung der Macht nur als Last und nicht als Lust und Energielieferant für sich zu nutzen und genießen weiß, verliert sich in ihr. Ja, Altmaier besitzt eine große Bibliothek, die ihm stets zugleich Fluchtburg und geistige Herberge war, aber zur Wahrheit gehört auch: Es liest sich anders im nächtlichen Lampenschein, wenn man weiß, dass man am nächsten Tag doch wieder ins ewig-zehrende, ewig-lockende Scheinwerferlicht der Bedeutung flüchten darf.

Vorbei. Altmaier besitzt in wenigen Tagen kein Amt, keinen Alltag der ministeriellen Bedeutung mehr, auch sein Bundestagsmandat hat er nicht angetreten. Was bleibt also? Und was kommt?

Womöglich würde der Ausscheidende zustimmen, wenn man festhält: Das Amt des Kanzleramtsministers (und auch frühere wie jenes eines Parlamentarischen Geschäftsführers), das Vermittelnde und Ausgleichende an der Schaltstelle der Regierung, passte am besten zu seinem Naturell. Altmaier war am besten, wenn er nichts wollen musste, sondern können durfte.

Als Wirtschaftsminister hinterlässt der Saarländer hingegen eine schattierte und uneinheitliche Bilanz. Die wirtschaftspolitische Bekämpfung der Coronakrise meisterte er an der Seite des kommenden Kanzlers redlich; viele Webfehler der milliardenschweren Hilfen waren ihm jedenfalls nicht allein anzulasten. Auch die Staatsbeteiligungen, allen voran die Lufthansa, dürften sich eines Tages im Rückblick wohl als pragmatisch richtig erweisen.

Wäre da nur nicht Ludwig Erhard. Kein Wirtschaftsminister der jüngeren Vergangenheit hat, symbolisch und rhetorisch, so viel Traditionspflege betrieben wie Altmaier. Es war zu allem Überfluss Anfang 2018 auch noch die Kanzlerin selbst, die Altmaiers Besetzung mit einer Menge Extrabedeutung auflud, nur um die Schmerzen der CDU über den Verlust des Finanzministeriums zu lindern.

Es half alles nichts. Ein Wirtschaftsminister heute lebt in einer anderen Zeit. Die soziale Marktwirtschaft muss sich dem Wettbewerb mit staatsautokratischen, undemokratischen und doch hyperkapitalistischen-dynamischen Konkurrenten in aller Welt stellen. Man kann Walter Eucken oder Alfred Müller-Armack leider auch nicht mehr zu Google und Amazon befragen. Und der Standort soll mittlerweile bitte schön einen vollausgebauten Sozialstaat finanzieren, nebenbei seine unvorteilhafte Demografie schultern und ein klimaneutrales Geschäftsmodell finden. Auch das noch.



Eines Tages wird man vielleicht deutlicher sehen, dass Altmaier in diesen Welt- und Stimmungslagen industrie- und technologiepolitisch ein paar richtige, wichtige und vorausschauende Fragen gestellt hat – und sich nur mit mancher vorschnellen Antwort keinen Gefallen getan hat. Bis dahin wird er jedoch auch als Energieminister in die Annalen eingehen, der sich Fridays for Future stellte und es doch weder den Energiewendeskeptikern der eigenen Partei noch den Klimabewegten da draußen recht machen konnte.

Altmaier, so erzählt man sich im Haus, soll in seinen letzten Tagen im Ministerium noch eifrig Ratschläge und Hinweise verteilen. Was man so tut, wenn man selbst gern historisch denkt, in geschichtlicher Perspektive die Dinge hin und her wendet, und zu guter Letzt die Sinn- und Vermächtnisfrage stellt.

Nun denn, möge Robert Habeck es anders, vielleicht besser machen – bon chance! Peter Altmaier, einem Fan der Fairness und ein echter Empathiker, ist so ein Gedanke mehr als zuzutrauen. Er selbst wird es wach und munter beobachten, von der Via del Corso oder der Bucht von Neapel aus, auf einem Podium in Cambridge, Athen oder sonst wo, den bittersüßen Geschmack der Macht noch auf der Zunge.

Mehr zum Thema: Peter Altmaier ist kein starker Wirtschaftsminister. Das liegt nicht nur an ihm, sondern auch am Mythos des Hauses: Der hat noch keinem Nachfolger Ludwig Erhards Glück gebracht.

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