Abschied von Harald Christ „Ich mache mir Sorgen um unser Land – mehr als jemals zuvor“

Harald Christ ist FDP-Schatzmeister, Unternehmer und war Mitbegründer des SPD-Wirtschaftsforums. Quelle: PR

Unternehmer und FDP-Schatzmeister Harald Christ hat beim FDP-Parteitag sein Amt abgegeben und verlässt die Politik. Ein Abschiedsgespräch über den Zustand der Republik, deutsche Trägheit und das Stolpern der Ampel.

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WirtschaftsWoche: Herr Christ, Sie verabschieden sich von Ihrem Amt als FDP-Schatzmeister und verlassen die Parteipolitik. Konnte Ihnen Christian Lindner kein Angebot machen, dass sie nicht ablehnen konnten?
Harald Christ: Ich bin Unternehmer und habe nie ein exekutives Amt angestrebt. Christian Lindner musste mir also nichts anbieten, denn ich hätte ohnehin abgelehnt. Das weiß er. Schatzmeister hingegen war ein Ehrenamt, das ich sehr gerne angenommen habe, um einen Beitrag zu leisten den Liberalen den Weg in die Regierungsverantwortung mit soliden Parteifinanzen zu ebnen. 

Ihr Rückzug aus der Politik – ist der für immer?
Aus der Perspektive von heute: ja. Ich musste mit Politik nie meinen Lebensunterhalt bestreiten, diese Unabhängigkeit ist und war mir wichtig. Ich muss ja kein Politiker sein, um politisch zu wirken.

Wie meinen Sie das?
Ich werde mich auch künftig in Debatten einmischen, die mir etwas bedeuten, Themen beleuchten, die es verdienen. Das tun meines Erachtens zu wenige aus der Wirtschaft. Und ich nutze meine Stiftungen, um gesellschaftlich Positives zu bewirken. Es liegt zu vieles im Argen. Ich mache mir Sorgen um unser Land – mehr als jemals zu zuvor.

Das klingt jetzt sehr dramatisch.
Schauen wir uns doch um. Die Bundesrepublik ist in vielen Bereichen nicht mehr an der Weltspitze. Unsere Schulen und Universitäten, die Forschung und Innovationskraft – von großartigen Ausnahmen wie Biontech abgesehen alles eher unteres Mittelfeld. Und ist Deutschland ein Magnet für Talente aus aller Welt? Hand aufs Herz: sicher nicht. Die Welt um uns herum verändert sich grundstürzend – und wir leben noch immer sehr selbstzufrieden auf einer Insel der Seligen.

Sie glauben also nicht, dass uns sowohl die Pandemie als auch der Krieg gründlich und nachhaltig aufgeschreckt haben?
Doch, das haben sie. Diese zwei Weltkrisen binnen zwei Jahren haben uns schonungslos all unsere Defizite vor Augen geführt: im Gesundheitswesen, der Pflege, bei Energiewende, Digitalisierung und Bundeswehr. Mein Punkt ist: Warum rappeln und raffen wir uns immer erst auf, wenn die Erde bebt? Agieren statt reagieren – dahin müssen wir kommen.

Nun ist die Ampelkoalition vor wenigen Monaten mit sehr viel Fortschritts-Selbstbewusstsein und Veränderungs-Pathos angetreten. Davon ist auch schon nicht mehr viel übrig.
Das wird Sie von einem Liberalen jetzt vielleicht nicht verwundern, aber: Ich habe weiterhin große Hoffnungen, dass wir die Erwartungen an uns selbst und die der Wählerinnen und Wähler erfüllen werden.

Nun, die Hoffnungen auf solide liberale Haushaltsführung erfüllen sich schon mal nicht.
Einspruch. Es sind Ausnahmezeiten. Wir werden konsolidieren, die Frage ist nur wann. Es herrscht Krieg in Europa, da verstehen die Menschen sehr genau, welche Prioritäten angezeigt sind.

Die Aktienrente wird ebenfalls schon auf die lange Bank geschoben.
Keine Sorge, auch die wird kommen. Der Einstieg in eine kapitalgedeckte Rente ist zwingend nötiger Fortschritt. Und den wird die Ampel organisieren.

Sie waren einmal SPD-Mitglied, haben als Juso in Rheinland-Pfalz begonnen, kennen Olaf Scholz lange und gut. Wie sehr enttäuscht er Sie als Kanzler?
Mir ist ein Kanzler lieber, der im Hintergrund fleißig, klug und besonnen handelt, als einer, der sich vorschnell in Szene setzen will. 

Ein bisschen viel Hintergrund, finden Sie nicht?
Scholz sagt klar, dass es keinen Kriegseintritt der Nato geben wird. Er macht deutlich, warum ein deutscher Gasboykott ökonomisches Vabanque wäre. Ich weiß nicht, welchen Kanzler die Leute hören, die ihm mangelnde Kommunikation vorwerfen. Ich höre ihn klar und deutlich.

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Apropos laut und deutlich: Sie haben zu Beginn bemängelt, dass sich aus der Wirtschaft zu wenige öffentlich einmischen. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Vielleicht ist es Sorge, vielleicht Desinteresse. Jedenfalls halte ich es für einen Fehler. Mein Appell an Unternehmerinnen, Manager, Gründerinnen: Redet mit! Überlasst die Politik nicht nur den hauptamtlichen Politikern. Auch das bedeutet Verantwortung leben.

Was würde sich dann Ihrer Meinung nach ändern?
Ich bin der festen Überzeugung, dass viele Debatten durch Fakten versachlicht würden. Dass mehr inhaltliche, auch ökonomische Tiefe förderlich wären. Und die Erfahrung des täglichen Wettbewerbs ist eine Charakterschule. Kurzum: Mehr Austausch und mehr Perspektiven können unserem Land nur gut tun.

Lesen Sie auch: Die Aktienrente kommt nicht voran. SPD und Grüne zeigen wenig Interesse, die Idee der FDP zu beschleunigen. Nun müssen die Liberalen enttäuschte Jungwähler fürchten – und das in einem Jahr wichtiger Landtagswahlen.

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