Abschlussbericht zu Silvester in Köln Behörden müssen enger zusammenarbeiten

Bei katastrophalen Großlagen greifen die Räder der Sicherheitsbehörden in Deutschland oft nicht ineinander. Die Terrorfall Amri und die Kölner Silvesternacht zeigen, dass eine bessere Organisation von Nöten ist.

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In der Kölner Silvesternacht 2015/16 kam es zu massenhaften Übergriffen. Quelle: dpa

Düsseldorf Wenn es in Deutschland zu katastrophalen Verbrechen oder Unglücken kommt, zieht sich ein roter Faden durch die nachträglichen Einsichten der Ermittler: Unzählige Behörden und Sicherheitskräfte waren aktiv, aber niemand wusste genau, was die Anderen machen. Keiner hatte die Gesamtverantwortung und Durchgriffsrechte. Zu diesem Ergebnis kamen Sonderermittler, Gutachter und parlamentarische Kontrollgremien bei der Aufarbeitung des Terrorfalls Amri und auch bei der Untersuchung der massenhaften Übergriffe in der Kölner Silvesternacht 2015/16.

Der am Freitag veröffentlichte rund 1400 Seiten starke Abschlussbericht des „Untersuchungsausschusses Silvesternacht“ des Düsseldorfer Landtags ist ein Dokument des Scheiterns zahlreicher schlecht verknüpfter Einheiten von Landes- und Bundespolizei, Zentralbehörden sowie städtischen Ordnungs- und Sicherheitskräften. In der gut einjährigen Arbeit des Ausschusses schilderten viele der rund 180 Zeugen Unfassbares: Während sich auf der Kölner Domplatte schon am frühen Silvesterabend ein enthemmter, alkoholisierter Mob überwiegend junger Männer aus Maghreb-Staaten zusammenrottete, Feuerwerksböller in Personengruppen schleuderte und Frauen belästigte, konferierten die zuständigen Sicherheitskräfte in verschiedensten Behördenzirkeln.

Was sich unweit der Amtsstuben inmitten der Millionenstadt zusammenbraute, bekamen die Beamten nicht mit. Im Abschlussbericht liest sich das so: „Die Kriminalwache der Polizei Köln wurde über in der Silvesternacht begangene Strafanzeigen nur sporadisch und unzulänglich informiert.“ Hinzu kam: „Der in der Nacht verantwortliche Dienstgruppenleiter der Kriminalwache gab diesbezügliche Informationen nicht an seinen Nachfolger weiter.“ So nahm das Unheil seinen Lauf.

Dabei hatte jener Polizeiführer gemeinsam mit seiner Tochter schon bei der Anreise zum Dienst vor 21 Uhr Hunderte betrunkener junger Migranten auf dem Bahnhofsvorplatz angetroffen, die Böller in die Menge warfen. Als Zeuge sagte er im Ausschuss aus: „Vom Prinzip her hatten die einen Heidenspaß.“

Für den Ausschuss steht fest, dass der Einsatz in Köln an zahlreichen Stellen schlecht geplant war: mit zu wenig Polizeikräften, ohne Konzept für eine mögliche Sperrung der in den Bahnhof mündenden, in der Silvesternacht gefährlich überfüllten Hohenzollernbrücke, ohne Koordinierung aller Sicherheitsbehörden.

Für die Obleute von CDU und FDP ist das aber nur die halbe Wahrheit. Zwar habe die Kölner Polizei die Lage zu spät erkannt und zu spät Verstärkung angefordert. Allerdings seien ihr schon im Vorfeld von der Düsseldorfer Oberbehörde nicht alle beantragten Einheiten bewilligt worden. Durch beide fatale Fehleinschätzungen sei „der öffentliche Raum rund um den Kölner Dom in dieser Nacht zu einem rechtsfreien Raum“ geworden.

In ihrer Anzeige schildert eine Frau, wie sich das aus Opfersicht anfühlte. Nachdem sie in der Nacht von einer etwa 25-köpfigen nordafrikanisch aussehenden Männergruppe überall begrapscht und ausgeraubt worden war, konnte sie sich mit Hilfe ihrer Clique irgendwann von ihren Peinigern befreien. „Meine Freundin hat dann direkt danach einen Polizisten angesprochen. (...) Er sagte zu mir persönlich: „Da kann ich nichts machen.““

Die Organisationsverantwortung für die verfehlte Einsatzplanung und Ausführung hat aus Sicht von CDU und FDP Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD). In ihrem Sondervotum sprechen die Oppositionsfraktionen von „blinder Führung“.

Dass Jäger und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) vor dem 4. Januar 2016 anhand erster interner Mitteilungen aus dem Polizeiapparat und Medienberichten die Dramatik der Ereignisse nicht hätten erkennen können, halten CDU und FDP für unglaubwürdig. Aus ihrer Sicht kann sich auch niemand auf einen überraschend neuen „Modus Operandi“ berufen, weil Probleme mit nordafrikanischen Tätern schon zuvor polizeibekannt gewesen seien.

Welche Lehren können aus der Kölner Silvesternacht gezogen werden? Die Handlungsempfehlungen im Abschlussbericht dürften sich für viele Opfer wie ein staatlicher Offenbarungseid lesen, denn eigentlich würde man sie als längst realisiert voraussetzen. Polizeibeamte seien im Umgang mit Opfern von Sexualstraftaten gut zu schulen und mögliche Tatorte auszuleuchten, heißt es dort etwa. Und: „Die eingesetzten Kräfte müssen ausreichend technisch ausgerüstet sein.“

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