Ärger über Heils Mindestlohn-Forderung „Dann würde ein höherer Mindestlohn zu mehr Arbeitslosigkeit führen“

Kaum wurde der Mindestlohn auf 12 Euro angehoben, fordert Arbeitsminister Hubertus Heil eine weitere Erhöhung – zum Ärger von Ökonom Lars Feld, der kein Verständnis für die politische Einmischung hat. 

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WirtschaftsWoche: Herr Professor Feld, Arbeitsminister Hubertus Heil erwartet, dass der Mindestlohn von derzeit 12 Euro ab 2024 noch einmal deutlich steigen wird. Werden sich seine Erwartungen erfüllen?
Lars Feld: Ich habe mit dem Wort „Erwartungen“ ein Problem. Minister Heil kann ja eine Prognose über die mögliche Entwicklung abgeben, aber er kann nicht Erwartungen an die Kommission richten, der Mindestlohn solle gefälligst zum 1. Januar 2024 deutlich genug steigen. Das ist nicht seine Aufgabe. Zuständig ist die Mindestlohnkommission, die unabhängig entscheiden soll – und nicht danach, was sich der Minister wünscht. Das gebietet die verfassungsrechtlich bewehrte Tarifautonomie.

Sie sind seit 2019 beratendes Mitglied der Mindestlohnkommission (MLK), die aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besteht und alle zwei Jahre über eine Anpassung des Mindestlohns entscheiden soll. Fühlen Sie sich von Hubertus Heil bevormundet?
Wir sind in der Kommission alle selbstbewusst genug, um uns nicht bevormundet zu fühlen. Aber mit seinen Äußerungen unterminiert Heil nicht nur die Unabhängigkeit einer relativ jungen Institution – er hat offensichtlich Schwierigkeiten zu verstehen, was Unabhängigkeit eigentlich bedeutet. Aber vermutlich geht es ihm vor allem um die Durchsetzung politischer Ziele.

Welches Ziel verfolgt Heil also aus Ihrer Sicht mit der Forderung?
Der Minister will den Mindestlohn politisch instrumentalisieren, um ihn immer weiter anzuheben. Der Mindestlohn hat bisher zu nur geringen Beschäftigungseffekten geführt – bei seiner Einführung 2015 in Höhe von 8,50 Euro wie bei den folgenden Anhebungen. Aber gerade in Krisenzeiten kann eine zu starke Anhebung des Mindestlohns zu einer merklichen strukturellen Arbeitslosigkeit bei Geringqualifizierten führen. Das sehen wir seit einiger Zeit in Frankreich – und das kann Minister Heil in Deutschland nicht wollen.

Zur Person

Die deutschen Unternehmen suchen derzeit händeringend Arbeitskräfte, auch im Niedriglohnbereich. Mehr Mindestlohn ist aber nicht die Lösung gegen die Engpässe?
Das, was an Löhnen gezahlt wird, muss mit der Produktivität übereinstimmen, die die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bieten. Wo bestimmte Qualifikationsniveaus gebraucht werden, die der Arbeitsmarkt nicht in Fülle bietet, da werden die Löhne entsprechend steigen. 

Und bei den Beschäftigten mit geringerer Qualifizierung?
Bei den Geringqualifizierten müssten Unternehmen angesichts der dann steigenden Arbeitskosten überlegen, ob sie in der Lage sind, die Beschäftigten zu halten – oder sie nicht doch zu Entlassungen greifen müssen, weil sich die Lohn-Stück-Kosten zu stark erhöhen. Dann würde ein höherer Mindestlohn zu mehr Arbeitslosigkeit führen.

Höhere Löhne werden auch von den Gewerkschaften gefordert, die wie Verdi derzeit für bessere Bezahlung streiken, in der Metall- und Chemiebranche sind die Tarifrunden bereits mit einem kräftigen Plus beendet worden. Wie sehr wird ein höherer Mindestlohn eine Lohn-Preis-Spirale befeuern?
Ein höherer Mindestlohn kann die Zweitrunden-Effekte verstärken. Unternehmen erhöhen ihre Preise als Reaktion auf vorangegangene Kostensteigerungen, in diesem Fall sind es dann die Arbeitskosten. Und wird der Mindestlohn erhöht, wird auch das gesamte Lohngefüge mit nach oben geschoben – in Zeiten hoher Inflation sicher kein wünschenswerter Effekt. Deshalb muss die Lohnentwicklung insgesamt sehr genau beobachtet werden.

Die Nominallöhne sind 2022 mit einem Plus von 3,5 Prozent im Vorjahresvergleich so stark gestiegen wie seit 2008 nicht mehr, bedingt durch die höheren Verbraucherpreise sind Reallöhne allerdings insgesamt um 3,1 Prozent gegenüber 2021 gesunken. Sozialverbände fordern bereits einen kräftigen Anstieg des Mindestlohns auf 14 Euro. Wie groß ist der Spielraum für Anpassungen? 
Ende Juni wird die Mindestlohnkommission über die Anpassung entscheiden und im Gegensatz zum Minister will ich mich nicht mit konkreten Erwartungen im Vorfeld äußern. Fest steht, dass die Kommission auch vom Lohnindex abweichen kann, wenn es aus ihrer Sicht sinnvoll ist, und zwar nach oben wie nach unten.

Das heißt? 
Wir müssen deshalb genau schauen, wo wir im Juni stehen. Dass Minister Heil schon jetzt einen höheren Mindestlohn versprechen will, kann ich aus verteilungspoltischen Gründen nachvollziehen; der Mindestlohn ist allerdings kein sozialpolitisches Wunschkonzert, sondern ein arbeitsmarktpolitisches Instrument zur Abmilderung lokaler Marktmacht.

Könnten die Unternehmen denn überhaupt einen höheren Mindestlohn stemmen?
Es gibt bereits eine Reihe von ungünstigen Rahmenbedingungen, die die Kostensituation der Unternehmen in Deutschland massiv verschlechtern. Dazu gehören neben den Energiekosten etwa auch die Steuerbelastung, die im internationalen Vergleich im oberen Bereich liegt. Wenn dann auch noch die Arbeitskosten zusätzlich angekurbelt werden über das hinaus, was die Produktivität rechtfertigt, und es deshalb zu höheren Lohn-Stückkosten kommt, muss man sich nicht wundern, wenn Unternehmen am Standort Deutschland nicht mehr investieren.

Wird Hubertus Heil am Ende trotzdem triumphieren können?
Das spielt keine Rolle. Er weckt allerdings Erwartungen in der Öffentlichkeit, die möglicherweise nicht bestätigt werden. Das wird im nächsten Bundestagswahlkampf dazu führen, dass erneut eine von der Regierung festgelegte Erhöhung des Mindestlohns angekündigt wird. Dann kann man die unabhängige Mindestlohnkommission auch abschaffen. Dies alles zeigt: Wer eine unabhängige Kommission will, sollte sich erst gar nicht einmischen und sich verhalten wie der Bundesfinanzminister zu den geldpolitischen Entscheidungen der unabhängigen EZB.

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Sind Sie über Heils Einmischung so verärgert, dass Sie die Kommission aus Protest verlassen?
Nein, ich halte nichts von solchem Protest. Ich bin ja auch nur beratendes Mitglied ohne Stimmrecht und ein einfacher Ökonom. Aber klar ist schon jetzt, dass die ohnehin schwierigen Verhandlungen durch Heils Äußerungen nicht einfacher werden. Denn mit seinem Vorstoß stärkt er eine Seite, während die andere Seite geschwächt werden soll – sanftmütig dürfte diese darauf nicht reagieren.

Lesen Sie auch: So hat sich der Mindestlohn seit seiner Einführung entwickelt

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