Ärztekritik an Pharmakonzernen Medikamente immer teurer – Industrie am Pranger

100 Euro Produktions-, aber 43.500 Euro Therapiekosten: Die Preise neuer Medikamente orientieren sich allein am Markt, kritisieren Ärzte. Die Preispolitik könnte das Gesundheitssystem bald unfinanzierbar machen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
„Der gemeinsame Nenner der Pharmakonzerne ist der Profit“, meint die ärztliche Geschäftsführerin der Ärztegemeinschaft Mezis. Quelle: obs

Berlin „Mein Essen zahl ich selbst“. Oder abgekürzt: „Mezis“. Unter diesem Motto hat sich bereits 2006 eine Initiative von Ärzten zusammen gefunden, die nicht mehr mitmachen wollte bei der traditionellen Kooperation zwischen Ärzteschaft und der Pharmaindustrie. Die Hersteller von Medikamenten sind nämlich nicht nur oft die wichtigste Quelle für Informationen über die Wirkweise neuer und alter Medikamente und die Therapie von Krankheiten. Sie sponsern auch seit jeher große Teile der beruflichen Weiterbildung der Mediziner, die heute allerdings bereits deutlich seltener an lukrativen Orten wie Bozen oder Davos stattfindet. Ziel der Initiative Mezis ist es daher, Mediziner so weit wie möglich unabhängig von der Beeinflussung durch die Industrie zu machen.

Jetzt greift die Initiative die Pharmaindustrie sogar frontal an. Grund ist die angeblich aggressive Preispolitik mancher Konzerne bei neuen Medikamenten. Jetzt steht ein Kurzfilm von Mezis im Netz. Er lässt kein gutes Haar an der Branche.

„Der gemeinsame Nenner der Pharmakonzerne ist der Profit. Der Preis eines Medikaments orientiert sich nicht an den Forschungskosten, schon gar nicht an den Produktionskosten, sondern allein am Marktwert“, sagt Christiane Fischer, ärztliche Geschäftsführerin von Mezis. Die Medizinerin ist auch Mitglied des Deutschen Ethikrats. Sie ist überzeugt, dass die aggressive Preispolitik der Unternehmen inzwischen auch die Finanzierbarkeit der Gesundheitssysteme in reichen Industrieländern wie Deutschland bedroht.

Die immer teurer werdenden Medikamente seien verantwortlich für eine wachsende Ineffizienz im Gesundheitswesen, so Thomas Lempert, Chefarzt der Schlosspark-Klinik in Berlin und Mitglied des Fachausschusses für Transparenz und Unabhängigkeit in der Medizin in der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Lempert wirft der Industrie eine bewusst intransparente Preispolitik vor. „Wir wissen nicht genau, wie viel die Unternehmen für Forschung und Entwicklung ausgeben. Auch der Marketinganteil in den Firmenetats ist nicht genau bekannt“, klagt er. Die Pharmaindustrie halte da „bewusst den Deckel drauf.“ Er wünscht sich, dass die Industrie das ändert. „Es ist nicht Aufgabe der Versichertengemeinschaft, Profitmargen von 20 bis 30 Prozent und ausufernde Marketingetats zu finanzieren“, so Lempert.

Auch Thomas Meyer, Facharzt für Anästhesie und Notfallmedizin und Mitarbeiter beim GKV-Spitzenverband wirft den Unternehmen vor, weit überzogene Preise zu verlangen. „Zwischen den von den Herstellern festgelegten Preisen und den Entwicklungskosten für neue Medikamente besteht keinerlei Zusammenhang“, sagt er. Dies gelte erst recht für die Produktionskosten. Als Beispiel führt er das neue Medikament gegen Hepatitis C Sofosbovir an. „Während die Jahrestherapiekosten pro Patient stolze 43.500 Euro betragen, belaufen sich bei diesem Medikament die Produktionskosten für den Patienten für ein Jahr lediglich auf 100 Euro.“

Bestätigt wird solche Kritik durch den aktuellen Arzneiverordnungsreport. Danach ist der Kostenanstieg für Medikamente im Jahr 2015 nahezu ausschließlich auf neue teure Medikamente zurückzuführen. Der Pharmakologe Ulrich Schwabe, der den Report seit 1985 zusammen mit Dieter Paffrath vom Wissenschaftlichen Institut der Ortskrankenkassen jährlich herausgibt, kommt zum Ergebnis, dass die Preise von nur acht patentgeschützten Medikamenten den Ausgabenanstieg von 1,5 Milliarden Euro im Vergleich zum Jahr 2014 erklären könnten.


„Nahezu beliebig hohe Preise durchsetzbar“

Im Durchschnitt gaben die Kassen für diese Präparate fast doppelt so viel aus wie im Vorjahr. Die Preise waren durchweg höher als in europäischen Nachbarländern. Grund für den Ausgabenanstieg seien in erster Linie steigende Preise in diesem Marktsegment, sagt Jürgen Klauber, Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Während die Zahl der verordneten Packungen bei den patentgeschützten Medikamenten seit 2002 kontinuierlich gesunken sei, seien die Preise stark angestiegen. „Der durchschnittliche Apothekenverkaufspreis eines patentierten Arzneimittels lag 2015 bei 369 Euro und ist damit gegenüber 2006, also in nur neun Jahren, um 180 Prozent gestiegen“ berichtete Klauber bei der Vorstellung des Reports im vergangenen August. Die zehn teuersten Arzneimittel bei den Marktneueinführungen seien in der Apotheke 2015 teurer als 16.000 Euro pro Packung gewesen. Das teuerste Mittel kostete 99.000 Euro pro Packung. „Scheinbar sind in einigen Therapiebereichen wie der Krebsmedikation oder der Behandlung der Multiplen Sklerose nahezu beliebig hohe Preise durchsetzbar“, schlussfolgerte Klauber.

Der Chef der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft und Onkologe Wolf-Dieter Ludwig, kritisiert vor allem die wachsenden Kosten für Krebsmedikamente. Sie stünden oft in einem Missverhältnis zu dem mitunter nur marginalen Nutzen neuer Onkologika. Ludwig verweist auf Studien des IMS-Institute für Healthcare Informatics. Danach werden 2020 weltweit die Kosten für Onkologika, einschließlich der für unterstützende Therapien erforderlichen Arzneimittel zum Beispiel zur Behandlung von Übelkeit und Erbrechen zwischen 148 und 178 Milliarden US-Dollar betragen.

Allein die fünf im Umsatz führenden europäischen Länder (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Spanien) würden 2020 mehr als 30 Milliarden US-Dollar für Onkologika ausgeben. Bei der Entwicklung vieler dieser neuen Mittel stünde das ökonomische Interesse der Hersteller im Vordergrund und nicht die Frage, ob den Patienten damit wirklich geholfen werde.

Der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller hält diese Kritik für nicht gerechtfertigt. Er verweist auf neuere Daten des WIdO, nach denen die Arzneimittelpreise in Deutschland 2016 insgesamt um 1,6 Prozent gesunken seien. Zudem seien die Möglichkeiten der Hersteller über neue patentierte Medikamente hohe Margen zu erzielen begrenzt.

„Neue Arzneimittel auf dem Markt haben nur rund zwölf Jahre Patentschutz. Danach kann jeder Hersteller sie produzieren. Diese Arzneimittel stehen dann zu sehr niedrigen Preisen weltweit zur Verfügung, was insbesondere vielen Schwellenländern hilft“, gibt Verbandssprecher Jochen Stemmler zu bedenken. Er verweist auf Initiativen der Hersteller, Länder, denen selbst generische Preise zu hoch sind, zu helfen. Hier sei die Industrie an Programmen beteiligt, die zum Ziel hätten, auch dort eine medizinische Grundversorgung zu gewährleisten, um etwa Diabetiker zu versorgen oder Krankheiten wie Lepra und Bilharziose einzudämmen und am Ende auszurotten.


Die Unternehmen sollen „die Hosen herunter lassen“

Der Ärzteinitiative „Mein Essen zahl ich selbst“ ist das zu wenig. Sie macht sich in einem Memorandum sogar dafür stark, den Patentschutz einzuschränken. Das gegenwärtige Patentrecht begünstige hohe Medikamentenpreise, führe zu wettbewerbswidrigen Praktiken, Patentmissbrauch und falschen Anreizen für die Pharmaforschung. „Daher fordern wir frühen Marktzugang für und die breite Anwendung von Generika“ heißt es im Memorandum. Zudem bedürfe es strengerer Kriterien beider Patentierung. Auch bei den seit 2012 möglichen Preisverhandlungen für neue Medikamente auf Basis einer Nutzenbewertung wünschen sich die Mediziner härtere Kriterien.
Die Politik sieht die Initiative auch beim Thema Transparenz gefordert. So soll es in Zukunft ein öffentliches Register über ausgehandelte und tatsächliche Medikamentenpreise geben. Preisverhandlungen sollen auch für Medikamente ermöglicht werden, die vor 2011 auf dem Markt waren, als die Nutzenbewertung in Deutschland eingeführt wurde.

Eine solche nachträgliche Bewertung älterer, aber noch patentgeschützter Medikamente, war ursprünglich auch vorgesehen, wurde dann aber im Nachhinein aus dem Gesetz gestrichen, weil der Aufwand angeblich zu hoch gewesen wäre. Um die Verhandlungsmacht der Politik gegenüber den multinationalen Pharmakonzernen zu stärken, kann sich die Initiative auch vorstellen, dass in Zukunft länderübergreifend über Preise verhandelt wird.

Schließlich sollen die Unternehmen selbst „die Hosen herunter lassen“ und ihre Forschungs- und Entwicklungskosten offenlegen, einschließlich öffentlicher Zuwendungen in Form von Steuervergünstigungen oder staatlich finanzierter Grundlagenforschung. Die Initiative mutmaßt, dass dabei herauskommen könnte, dass echte Durchbrüche bei der Arzneimitteltherapie gar nicht aus den Labors der großen Konzerne, sondern aus den Universitäten und kleinen Start-up-Unternehmen kommen.

Das gegenwärtige Patentsystem habe hohe Arzneimittelpreise zur Folge. „Es führt volkswirtschaftlich in eine Sackgasse, weil es die Gesundheitssysteme finanziell überfordert, Fehlanreize setzt und die Erfordernisse der öffentlichen Gesundheit unzureichend berücksichtigt.“ Nötig seien daher mehr öffentliche Mittel für die Arzneimittel-Forschung, gekoppelt an Bedingungen, die sicherstellen, dass die Forschung zu geeigneten und bezahlbaren Arzneimitteln führt. Dazu gehören eine nicht-exklusive Lizenzpolitik, Open Access-Publikation, ein transparenter Datenaustausch und eine bedarfsorientierte Prioritätensetzung

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%