AfD-Aufstieg durch Gebietsreformen Der Populismusbeschleuniger

Sinkende Einwohnerzahlen und Finanznot zwingen viele Bundesländer zur Neuordnung ihrer Verwaltungsstrukturen. Für solche Reformen werde mitunter aber ein hoher politischer Preis bezahlt, warnt der Städtebund.

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Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier hat die Kreisgebietsreform maßgeblich durchgesetzt, in deren Folge im Nordosten die flächenmäßig größten Landkreise Deutschlands entstanden waren. Experten sehen darin eine Ursache für den Absturz der CDU bei der jüngsten Landtagswahl und den Aufstieg der AfD. Quelle: dpa

Berlin Die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern gilt als beispiellos. Die bundesweit größten Landkreise liegen seit ihrer Umsetzung im Nordosten. Damit reagierte das Land auf den Bevölkerungsschwund. Abgeordnete sind damit teilweise mehr als 100 Kilometer bis zum Kreissitz unterwegs.

Die Neuordnung der Verwaltungsstrukturen im Jahr 2011 blieb nicht ohne nachhaltige negative Wirkung auf die Landespolitik. Mecklenburg-Vorpommerns CDU stürzte im selben Jahr bei der Landtagswahl mit ihrem Spitzenkandidaten Lorenz Caffier auf 23 Prozent ab. Die Parteibasis kreidete ihm seinerzeit vor allem die von ihm durchgesetzte Kreisgebietsreform an.

Fünf Jahre später wurde wieder gewählt, und es kam noch schlimmer für die Christdemokraten. Sie sackten auf 19 Prozent ab, während die AfD einen ungeahnten Wahlerfolg einfuhr und auf Anhieb bei 20, 8 Prozent landete. Aus Sicht von Wissenschaftlern und dem Städte- und Gemeindebund ist das Erstarken der Partei Alternative für Deutschland auch und vor allem der umstrittenen Kreisgebietsreform geschuldet.

Der Städtebund mahnt denn auch zu einer sorgfältigen Kosten-Nutzen-Abwägung beim etwaigen Zusammenlegen von Gemeinden oder Landkreisen. Insbesondere die möglichen politischen Kosten sollten demnach in die Überlegungen einbezogen werden. „Große, anonyme Verwaltungseinheiten können einen Verlust von Identifikation und einen Rückgang des politischen Engagements bedeuten“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg dem Handelsblatt. „Daher sollte man sehr sorgfältig überlegen, ehe man Gebietsreformen durchführt und damit gewachsene Strukturen gefährdet. Für die errechneten Einsparungen und Synergieeffekte zahlen wir an anderer Stelle sonst womöglich einen hohen Preis.“

Landsberg nahm dabei Bezug auf eine kürzlich veröffentlichte Studie der Dresdner Niederlassung des Ifo-Instituts. Danach hat die Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern zum Wahlerfolg der AfD bei der Landtagswahl 2016 beigetragen. Die Autoren der Untersuchung zeigen, dass Gemeinden in besonders stark vergrößerten Landkreisen höhere Stimmanteile für die AfD aufweisen. Die gefühlte Zunahme der „politischen Distanz“ zwischen Kreispolitik und Bürger verstärkt demnach populistische Tendenzen.

Landsberg teilt den Befund. Politik und Demokratie würden vor Ort erlebbar. Die Bürger identifizierten sich gerade in Zeiten der Globalisierung mit der Stadt oder Gemeinde, in der sie häufig schon lange leben. „Diese Identifikation sinkt, je größer die Verwaltungseinheiten sind und je größer die räumliche Distanz zu den lokalen Entscheidungsträgern ist“, sagte der Städtebund-Geschäftsführer. „Dann kann aus fehlender Identifikation schnell Frustration entstehen.“


„Missverständnisse ausräumen, Fakten erläutern, Vorurteile beseitigen“

Im Fall Mecklenburg-Vorpommerns hat nach Ansicht der Ifo-Forscher die umstrittene Kreisgebietsreform aus dem Jahr 2011 den Erfolg der AfD mit befördert. „Gemeinden in besonders stark von der Gebietsreform betroffenen Gebieten weisen einen um 4 Prozentpunkte höheren Wahlanteil für die AfD auf als direkt benachbarte, weniger stark betroffene Gemeinden“, schreiben die Ifo-Volkswirte Felix Rösel und Julia Sonnenburg in ihrer Expertise.

Bei der Wahl Anfang September war die AfD aus dem Stand auf 20,8 Prozent gekommen. SPD und CDU hatten dagegen Stimmenanteile in Höhe von fünf beziehungsweise vier Prozentpunkten verloren. Im östlichen Landesteil hatte die AfD stärker abgeschnitten als im Westen des Landes. Die mit den Stimmen der Regierungsparteien SPD und CDU beschlossene Kreisreform hatte 2011 dazu geführt, dass aus vormals zwölf sechs Landkreise entstanden - die größten in ganz Deutschland.

Daraus resultiert letztlich bei den Bürgern eine steigende Unzufriedenheit darüber, dass die spezifischen Interessen einzelner Gemeinden in großen Landkreisen weniger gut berücksichtigt werden können als in kleineren Strukturen. Laut den Studienautoren sinken die politischen Einflussmöglichkeiten einer Kommune umso stärker, je mehr Gemeinden in einem Kreis zusammengeschlossen sind. Viele Bürger würden dies als Nachteil empfinden.

Eine Stärkung der Außenstellen der Landratsämter dürfte aber nach Ansicht der Wissenschaftler nur begrenzt helfen, die Unzufriedenheit zu verringern. Als eine Lösung schlagen die Autoren eine Rückkehr zu kleineren Strukturen vor, um die Distanz zwischen Bürgern und Kreispolitik zu verringern.


CDU-Innenminister verteidigt Gebietsreform

Innenminister Caffier denkt jedoch nicht daran, zurück zu rudern, zumal er auch einen Zusammenhang zwischen der Kreisgebietsreform und dem Erstarken der AfD vehement bestreitet. Schließlich sei die AfD ja auch in anderen Ländern stark vertreten und da habe es keine Kreisgebietsreform gegeben, sagte der CDU-Politiker.

Sein Ministerium sieht in der Kreisgebietsreform von 2011 sogar einen Erfolg und verweist auf den Abschlussbericht des Internationalen Instituts für Staats- und Europawissenschaften, den die Landesregierung selbst in Auftrag gegeben hatte. Demnach sei eine deutliche Konsolidierung und Qualitätssteigerung der Arbeit in den Kreisen erkennbar. Auch sei ein direkter Vorher-Nachher-Vergleich schwierig, weil Faktoren wie die Flüchtlingskrise 2015 einen Teil der Stelleneinsparungen in den Kreisen zunichte gemacht hätten, erklärte das Ministerium.

Städtebund-Chef Landsberg empfiehlt indes, dem „vielerorts aufkeimenden Populismus“ im Gespräch mit den Menschen entgegenzuwirken. Hier spielten die Kommunen die „zentrale Rolle“. In Städten und Gemeinden sei die Distanz zwischen Bürgern und den gewählten Vertretern am geringsten. „Hier können im Gespräch Missverständnisse ausgeräumt, Fakten erläutert und Vorurteile beseitigt werden.“

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