




Die Ökonomen-Partei ist Geschichte. Die „Alternative für Deutschland“ ist einst angetreten für eine Politik basierend auf „ökonomischer Vernunft“; sie wollte die Stimme erheben gegen die Energiewende und Frauenquote, gegen den Mindestlohn und den Euro. Diese Ziele sind im parteiinternen Streit unter die Räder gekommen – und sie werden künftig (Ausnahme: die Euro-Frage) keine Rolle mehr spielen. Das ist das zentrale Ergebnis des Bundesparteitags der AfD in Essen.
Die Wahl der sächsischen AfD-Fraktionsvorsitzende Frauke Petry zur Bundesvorsitzenden mit 60 Prozent der Stimmen – und der Abschied des bisherigen AfD-Frontmanns Bernd Lucke (38 Prozent der Stimmen) aus dem Rampenlicht, vielleicht gar aus der Partei – ändert nicht nur das Gesicht der Partei, sondern auch den Kurs. Die „Alternative für Deutschland“ rückt nach rechts.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Ein Vorgeschmack auf die künftige Ausrichtung lieferte Frauke Petry in ihrer zentralen Rede auf dem Parteitag. Die Chemikerin betonte, die AfD müsse „politisches Rückgrat“ beweisen und Themen „deutlich bedienen“. Der Islam etwa „vertrete ein Staatsverständnis, das uns fremd ist“. Die Pegida-Demonstranten hätte die AfD mehr unterstützen müssen. Denn: „Das sind die Menschen, für die wir primär Politik machen“.
Die Partei müsse sich „zwangsläufig“ mit allen politisch aktuellen Themen beschäftigen, betonte die Unternehmerin Petry, die es aber vermisste, wirtschaftliche Themen anzureißen. Das scheint in der AfD nicht mehr en vogue zu sein. Vielmehr will der rechte Flügel der Partei, dem neben Petry vor allem der brandenburgische Fraktionsvorsitzende Alexander Gauland, der thüringische Fraktionsvorsitzende Björn Hocke und NRW-Mann Marcus Pretzell angehören, die Bundesrepublik gesellschaftlich verändern.
Das ist Frauke Petry
Frauke Petry ist am 1. Juni 1975 Dresden geboren und wuchs in der Niederlausitz auf. Nach der Wende zog sie mit ihrer Mutter nach Bergkamen, unweit von Dortmund. Dort machte sie 1995 ihr Abitur. Anschließend studierte sie als Stipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes von 1995 bis 1998 Chemie in Reading (Großbritannien) und Göttingen. Während des Studiums arbeitete sie als Werkstudentin unter anderem bei Bayer. 2004 wurde sie am Göttinger Institut für Pharmakologie und Toxikologie promoviert.
Petry gründete im März 2007 ihr eigenes Unternehmen, die „PURinvent GmbH“ in Leipzig. Die Firma stellte einen neuartigen Polyurethan-Kunststoff als Reifendichtmittel her. Petry wurde dafür mehrfach ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem über 75.000 Euro dotierten Darboven IDEE-Förderpreis. Das Unternehmen hatte bis zu elf Mitarbeiter. Ende 2013 musste Petry für das Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen. Die Firma wurde 2014 durch ein süddeutsches Investorenkonsortium erworben und deren Name in „PURinvent System GmbH“ geändert. Weiterhin ist Petry Geschäftsführerin des neu firmierten Unternehmens.
Die Nachrichtenagentur adp berichtete am 17. Juni, die AfD-Spitzenpolitikerin Frauke Petry stehe aufgrund der Unternehmenspleite auch vor der Privatinsolvenz, da sie für die Firma auch privat gebürgt hatte. Hintergrund war ein Artikel aus der „ZEIT“. Darin sagte Petry, eine Privatinsolvenz werde sich nach der Pleite ihrer Firma „nicht vermeiden lassen“.
Frauke Petry ist seit der Gründung der „Alternative für Deutschland“ bei den Euro-Kritikern engagiert. Beim Gründungsparteitag im April 2013 wurde sie zu einem der drei Sprecher im Bundesvorstand gewählt. Gemeinsam mit Bernd Lucke und Konrad Adam führt sie damit die Partei. Außerdem ist Petry alleinige Landessprecherin der AfD in Sachsen und deren Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 31. August 2014. Sollte die Neu-Partei den Einzug in das Parlament schaffen, gilt Petry als erste Anwärterin auf den Posten der Fraktionsvorsitzenden.
Frauke Petry ist mit einem Pfarrer verheiratet. Das Ehepaar hat vier Kinder. Petry ist begeisterte Musikerin und ließ sich zur nebenberuflichen Organistin und Chorleiterin ausbilden. Seit 2008 ist sie Mitglied im Leipziger Vocalensemble. Sie wohnt in Frohburg, eine Kleinstadt im Landkreis Leipzig.
Es soll Schluss sein mit der „rot-grünen Bevormundung“ (Pretzell) und mit der Freizügigkeit von Rumänen und Bulgaren in Europa. Pretzell wünscht sich mehr „Systemkritik“ und eine Förderung der „klassischen Familie“. So könne die AfD zu einer mittelgroßen Volkspartei anwachsen; „Die AfD hat ihre großen Sternstunden noch vor sich“, glaubt Pretzell.
Kritiker fürchtet, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Liberale Parteimitglieder drohen in Scharen, die Partei nach dem Bundesparteitag zu verlassen. „Mein Schreiben zum Parteiaustritt liegt schon zu Hause unterschriftsreif bereit“, bekannte ein AfD-Mitglied der ersten Stunde im Hintergrundgespräch mit WirtschaftsWoche Online in Essen. Er sei 2013 in die Partei eingetreten, um den „ökonomischen Irrkurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel“ entgegenzutreten. „Aber ich habe unterschätzt, wie groß das nationalkonservative Lager in Deutschland ist – und mit welcher Macht es uns überrannt hat“. Deren Politik könne er nicht mittragen.