AfD-Erfolg löst Debatte aus Wie die Politik die Heimat entdeckt

Mit Slogans wie „Hol dir dein Land zurück“ schaffte es die AfD zweistellig in den Bundestag. Nun könnte das Heimat-Thema zu einem Kernprojekt der neuen Regierung werden. Ein CDU-Vorstoß hat schon Befürworter gefunden.

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AfD-Erfolg löst Debatte um Thema Heimat aus Quelle: dpa

Berlin Kaum hat es die selbsternannte Heimat-Partei AfD in den Bundestag geschafft, reklamieren auch die anderen den Begriff für sich. „Die Sehnsucht nach Heimat – nach Sicherheit, nach Entschleunigung, nach Zusammenhalt und Anerkennung –, die dürfen wir nicht den Nationalisten überlassen“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer vielbeachteten Rede zum Tag der Deutschen Einheit am Dienstag in Mainz. Und er warnte davor, die Heimat zu konstruieren als ein „wir gegen die, als Blödsinn von Blut und Boden“.

Auch wenn das Staatsoberhaupt die AfD nicht explizit erwähnte, war für die Zuhörer sofort klar, worauf die Anspielung gemünzt war. Darauf, es der AfD mit Slogans wie „Unser Land, unsere Heimat“ oder „Hol Dir Dein Land zurück“ gelang, zweistellig in den Bundestag einzuziehen. Der Erfolg der Rechtspopulisten war absehbar. Dennoch scheint er die anderen Parteien auf dem falschen Fuß erwischt zu haben. In der Zukunft soll sich das aber nicht wiederholen.

Als einer der ersten meldete sich Grünen-Chef Cem Özdemir zu Wort und lobte, „dass der Bundespräsident den Heimatbegriff positiv setzt und nicht denen überlässt, die unsere Republik schlecht reden und unser Land spalten“. Heimat, sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), dürfe „kein ausschließender Begriff sein, sondern ein einschließender“.

Andere Grüne mokierten sich indes darüber, dass ihre Spitzenkandidatin  Katrin Göring-Eckardt von einer Liebe zur Heimat gesprochen hat.  Die Berliner Abgeordnete Anja Schillhaneck nannte das Wort „herkunftsbezogen und zudem tendenziell ausgrenzend“. Die Jugendorganisation der Partei stellte klar, dass der Begriff deshalb auch nicht zur Bekämpfung rechter Ideologie tauge. Dagegen hält es der schleswig-holsteinische Grüne Robert Habeck für notwendig, dass die Politik eine „Heimatidee, eine Identitätsidee“ formuliere.

Und Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer hielt der Grünen Jugend vor, Sprachpolizei zu spielen und „frisches Denken“ zu denunzieren. Er verwies auf Österreichs Bundespräsident Alexander von der Bellen, der in der Stichwahl gegen den Kandidaten der Rechtspopulisten ebenfalls auf den Begriff „Heimat“ setzte und damit Erfolg hatte.

Den Erfolg sucht auch die CDU – mit einem ganz speziellen, aber auch nicht wirklich neuen Heimat-Kurs. Nach dem Willen von Unions-Fraktionschef Volker Kauder soll die Förderung ländlicher Gebiete zu einem zentralen Thema der Koalitionsverhandlungen werden. Das sagte er im Interview mit der „Nordwest-Zeitung“  und verwies dabei explizit auf den Wahlerfolg der AfD, die nun drittstärkste Kraft im Bundestag ist.

„Gerade in den ländlichen Gebieten – auch im Westen – herrscht verbreitet das Gefühl, mehr und mehr abgehängt zu werden. Wenn erst die Schule schließt, dann Postamt und Sparkasse, haben die Menschen den Eindruck, dass sich niemand um sie kümmert“, erläuterte der CDU-Politiker. „Die Länder sind in der Pflicht“, mahnte er zugleich. „Es ist nicht hinnehmbar, wenn Schulen über Jahre hinweg vor sich hin modern. Der Rechtsstaat muss besser funktionieren, auch durch mehr Richter, Staatsanwälte und Polizisten.“

Die Spitzen von CDU und CSU kommen am Sonntag in Berlin zusammen, um ihre Positionen für Koalitionsverhandlungen abzustimmen. Erst danach will die Union Sondierungsgespräche mit FDP und Grünen über ein Jamaika-Bündnis führen.


Kommunen unterstützen Heimat-Vorstoß der CDU

Thüringens CDU-Fraktionschef Mike Mohring geht noch weiter als Kauder und bringt die Schaffung eines Heimatministeriums auf Bundesebene ins Spiel. Eine Forderung, die die Vorsitzenden der Unionsfraktionen in Bund und Ländern bereits im März bei einer Konferenz erhoben hatten. „In einem Heimatministerium könnte man die Bedeutung des ländlichen Raums stärken. Das wäre eine gute Antwort auf die Sorgen der Bürger in Ost und West, die sich abgehängt fühlen“, sagte Mohring der „Berliner Zeitung“.

Im März schlugen die Unions-Politiker vor, ein solches Heimat-Ressort an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft anzugliedern. „Gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland zu gewährleisten, bleibt eine Daueraufgabe. Um diese Herausforderung zu bewältigen, sprechen wir uns für die Schaffung eines Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft, ländliche Räume und Heimat aus“, hieß es seinerzeit im Beschluss der Konferenz.

Auch Bayerns Finanz- und Heimatminister Markus Söder (CSU) hatte im März für ein Bundesheimatministerium nach bayerischem Vorbild geworben, um die Revitalisierung strukturschwacher Räume zu erreichen. Die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen schuf in diesem Jahr ein Heimatministerium, das die Interessen des ländlichen Raums vertreten soll.

In den Kommunen stoßen die Unions-Pläne auf großen Zuspruch. Nicht zuletzt deshalb, wie der Hauptgeschäftsführer des Städte und Gemeindebunds, Gerd Landsberg, betont, weil die Mehrheit der Deutschen nicht in großen Städten lebe, auch wenn die Politik und die mediale Aufmerksamkeit häufig einen anderen Eindruck vermittelten.  „Wir teilen die Auffassung, dass die Förderung ländlicher Räume ein zentrales Thema der kommenden Legislaturperiode werden muss“, sagte Landsberg dem Handelsblatt.

Auch Landsberg vertrat die Ansicht, dass der Ausgang der Bundestagswahl deutlich gemacht habe, dass bei der Stärkung der ländlichen Räume Handlungsbedarf bestehe. „Auch wenn noch keine abschließenden Analysen vorliegen scheint es sich abzuzeichnen, dass sich viele Menschen vor dem Hintergrund fehlender Infrastrukturen abgehängt fühlen“, sagte er. „Dies hat Auswirkungen auf die Wahlentscheidung.“

Landsberg erinnerte daran, dass schon das Grundgesetz gleichwertige Lebensverhältnisse in ganz Deutschland vorschreibe. „Diesen Auftrag müssen wir viel ernster nehmen“, betonte er. „Gerade so genannte abgehängte Räume müssen gezielter und besser gefördert werden. Auch dort brauchen wir starke Kommunen, im Interesse der dort lebenden Bürgerinnen und Bürger.“

Landsberg sprach von einer „Querschnittsaufgabe, die in allen Politikfeldern mit gedacht und mit Leben gefüllt werden muss“. Wie das Thema in der neuen Bundesregierung organisiert werde, sollte daher nicht im Vordergrund stehen. „Zentral ist eine gute Versorgung der ländlichen Regionen mit Zukunftsinfrastruktur, wie etwa leistungsstarkem Breitband, um diesen Regionen neue Perspektiven zu eröffnen und die Lebensqualität zu verbessern“, sagte er. Auch eine angemessene Finanzausstattung für alle Städte und Gemeinden in Deutschland sei „elementar wichtig“, fügte er hinzu. „Nur so bekommen die Kommunen den Spielraum, vor Ort zu gestalten und die Verhältnisse zu verbessern.“ Das stärke zudem den Standort Deutschland, verbessere das Lebensgefühl der dort ansässigen Menschen „und trägt nicht zuletzt dazu bei, Radikalisierungstendenzen entgegen zu wirken“.

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