AfD-Führungschaos Wie die AfD noch zu retten ist

Droht der AfD wegen des heftigen Führungsstreits das jähe Ende? Politikwissenschaftler sehen die Partei in einer schweren Krise – mit ungewissem Ausgang. Es sei denn, die Akteure ziehen nun die richtigen Konsequenzen.

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Zwischen den beiden AfD-Bundesvorsitzenden ist das Tischtuch zerschnitten. Experten raten zu einem Waffenstillstand oder eine Klärung der Führungsfrage auf einem Bundesparteitag. Quelle: AFP

Berlin Der offene Machtkampf in der AfD in Baden-Württemberg trifft nun auch die Bundespartei mit voller Wucht. Ausgelöst wurde der Großkonflikt durch die AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die sich unabgesprochen in die Angelegenheiten des baden-württembergischen Landesverbandes ihres Co-Bundessprechers Jörg Meuthen  eingeschaltet hat.

Meuthen führte bis vor kurzem noch die AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag an. Wegen eines heftigen Streits über die antisemitischen Äußerungen des Abgeordneten Wolfgang Gedeon ist die Fraktion zerbrochen. Die Schuld für diese Entwicklung sieht AfD-Vize Alexander Gauland zum Teil bei Parteichefin Petry. Dass sie „unangemeldet“ in Stuttgart aufgetaucht sei, um die Krisenlösung selbst in die Hand zu nehmen, sei „nicht zielführend“ gewesen.

Petry konnte letztlich auch nicht mehr die Einheit der Fraktion retten. Meuthen bildete eine neue Fraktion im baden-württembergischen Landtag mit 13 ursprünglichen AfD-Politikern. „Wir sind die AfD“, betonte er. Petry, die als seine innerparteiliche Widersacherin gilt, widersprach umgehend und erklärte mit Blick auf die verbliebenen acht Abgeordneten in der AfD-Restfraktion: „Dies hier ist die AfD-Fraktion in Baden-Württemberg.“ Beide Seiten forderten sich gegenseitig auf, in die jeweils andere Fraktion einzutreten.

Der Führungsstreit versetzt selbst erfahrene Politikwissenschaftler ins Staunen. Gleichwohl sehen sie mögliche Auswege aus dem Chaos. Das hängt jedoch ganz entscheidend davon ab, wie sich jetzt Petry und Meuthen verhalten. Schwer beschädigt durch den offenen Machtkampf sind beide. Und möglicherweise kann die Partei nur dann noch schwerwiegendere Entwicklungen abwenden, wenn die Führungsspitze  in dieser Formation ernsthaft auf den Prüfstand gestellt wird.

„Angesichts des tief gehenden persönlichen Zerwürfnisses zwischen den beiden Co-Vorsitzenden gibt es meiner Meinung nach nur zwei Möglichkeiten: eine Art Waffenstillstand im Interesse der Partei bis nach der Bundestagswahl oder die Klärung der Führungsfrage auf einem außerordentlichen Parteitag“, sagte der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer dem Handelsblatt. Letzteres würde jedoch die Partei „deutlich schwächen“, ist er überzeugt.

Eine Abspaltung der Petry-Truppe hält Niedermayer für unwahrscheinlich, „da sie sich ausrechnen kann, dass ihr politischer Einfluss dann gegen Null gehen und auch die Rest-Partei deutlich an Wählerunterstützung verlieren würde.“


„Das Tischtuch zwischen Meuthen und Petry ist zerschnitten“

Auch für Kai Arzheimer von der Universität Mainz wird die Partei über kurz oder lang die Führungsfrage beantworten müssen, will sie ihr weiteres Dasein nicht im Dauerchaos fristen. Denn der aktuelle Führungsstreit sei „nur schwer beizulegen“, sagte der Politikwissenschaftler dem Handelsblatt. Einerseits scheine das Verhältnis zwischen Meuthen und Petry seit längerem angespannt zu sein, und die Bundesspitze wirke generell zerstritten. „Der Konflikt um die Anerkennung der beiden Fraktionen durch den Bundesverband zeigt dies wie unter einem Brennglas.“

Gleichwohl sieht Arzheimer momentan Petry im Vorteil. Meuthens Position sei geschwächt, weil fast die Hälfte der Fraktion dem Fraktions-, Landes- und Bundesvorsitzendem in seinem Abgrenzungskurs nicht folgen wollte. Die Entwicklung könne aber die AfD insgesamt schwächen, wie der Führungsstreit zwischen Petry und ihrem damaligen Co-Chef Bernd Lucke im vergangenen Jahr gezeigt habe. „Eine Spaltung würde ich eher entlang ideologischer Gräben erwarten“, fügte Arzheimer hinzu. „Hier scheinen sich Meuthen und Petry aber nach deren eigener Einschätzung nicht allzu stark zu unterscheiden.“

Der Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst stellt eine deutlicher pessimistischere Zukunftsprognose für die AfD, zumal sich die Auseinandersetzungen der Südwest-AfD seiner Einschätzung nach „längst zu einer Führungskrise in der Gesamt-AfD ausgewachsen“ hätten. „Einmal mehr zeigt sich, dass es in der AfD um Machtspiele geht und Teile der Führungsspitze sich gegenseitig belauern und auszubooten versuchen“, sagte Probst dem Handelsblatt. Die AfD unterscheide sich insofern „keinen Deut von anderen Parteien“, obwohl sie das ständig für sich reklamiere.

Das Führungspersonal der AfD macht für Probst unter den gegebenen Umständen keinen Sinn mehr. „Das Tischtuch zwischen Meuthen und Petry ist längst zerschnitten“, sagte er. Der Bruch lasse sich nach seiner Einschätzung nicht mehr kitten. „Es wirft allerdings auch ein schales Licht auf Meuthen, dass er als liberales Aushängeschild der AfD ausgerechnet den Schulterschluss mit den rechtsnationalen Kräften in der AfD sucht, um Petry kalt zu stellen und seine Ambitionen auf die Spitzenkandidatur bei der Bundestagswahl durchzusetzen.“

Tatsächlich bestätigt sich mit der Spaltung der Landtagsfraktion in Baden-Württemberg  einmal mehr, wo nun die Front in dem Machtkampf verläuft. Auf der einen Seite haben sich Petry, ihr Lebensgefährte und NRW-Landeschef Marcus Pretzell sowie zwei weitere Bundesvorstandsmitglieder in Stellung gebracht, auf der anderen Seite stehen Meuthen, die Landeschefs in Thüringen und Brandenburg, Björn Höcke und Alexander Gauland, sowie die übrigen Bundesvorstandsmitglieder.


„Zum rechten Sammelbecken für irrlichternde Gestalten entwickelt“

Die Spaltung des Bundesvorstandes zeigte sich auch am Dienstag. Die eilig organisierte Solidaritätsadresse für Meuthen wurde von zehn Mitgliedern des Gremiums getragen - nicht dabei waren Petry und ihre beiden Getreuen. Dabei seien alle Bundesvorstandsmitglieder aufgefordert gewesen, sich an der Hilfe für Meuthen zu beteiligen, heißt es in der Parteispitze.

In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin, wo im September Landtagswahlen anstehen, ist man über die öffentlich ausgetragenen Rivalitäten nicht begeistert. „Wir werden im Wahlkampf natürlich immer wieder darauf angesprochen“, klagt der Berliner Landesvorsitzende Georg Pazderski. Seine Standardantwort laute dann: „Da gibt es zwischenmenschliche Probleme, aber die Sacharbeit läuft trotzdem ganz normal weiter.“

Der Politikwissenschaftler Probst glaubt indes nicht, dass der Zwist zwischen Petry und Meuthen die Wahlchancen der AfD mindern wird. „Obwohl der Streit längst eskaliert ist und kaum noch zu reparieren sein dürfte, gehe ich nicht davon aus, dass es bei einem Machtkampf mit unsicherem Ausgang an der AfD-Spitze zu einem starken Einbruch bei den nächsten Wahlen kommt“, sagte er. „Langfristig kann ein nicht enden wollender Streit die AfD schwächen, aber im Moment reitet sie noch auf einer Welle der Zustimmung, die mit ihrer klaren Positionierung in der Zuwanderungsfrage und ihrem ausgeprägten Anti-Islam-Kurs zu tun hat.“

Das treffe nicht nur bei ostdeutschen Wählern auf Zustimmung und dürfte der AfD auch zukünftig „Wahlerfolge in nicht geringer Größenordnung“ bescheren.

Der Antisemitismus-Streit spielt aus Probsts Sicht wohl kaum eine Rolle. Für die meisten Wähler der AfD sei das ein „eher nebensächliches“ Thema. „Dass Leute wie Gedeon mit ihren Positionen auf stille Sympathie in den Reihen der AfD rechnen können, wirft allerdings ein bezeichnendes Licht darauf, dass die AfD sich längst zu einem rechten Sammelbecken für irrlichternde Gestalten entwickelt hat“, fügte der Politik-Professor hinzu. „Wenn der AfD-Spitze es zukünftig nicht gelingt, sich von diesen Leuten zu trennen beziehungsweise einen klaren Trennungsstrich zu ihnen zu ziehen, dann steht ihre Verfassungskonformität auf dem Spiel.“

Dieser Fall könnte eintreten. Der Berliner Parteienforscher Niedermayer glaubt jedenfalls nicht, dass es der AfD gelingt, Problem-Mitgliedern angemessen Paroli zu bieten. „Die Tatsache, dass die Partei das Antisemitismusproblem nicht in den Griff bekommt, zeigt, dass sie nicht in der Lage ist, sich auf eindeutige Weise vom äußersten rechten Rand abzugrenzen.“

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