AfD-Populismus „Nicht den Hauch einer Chance“

Schlechtes Wahlkampf-Omen für die AfD: „Europa“ und „Flüchtlinge“ sind laut einer Studie zwar wichtige Mobilisierungsthemen, doch die radikalen Forderungen der Rechtspopulisten schrecken viele Wähler ab.

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Alice Weidel und Alexander Gauland sind die Frontleute der AfD für die Bundestagswahl. Quelle: dpa

Berlin „Von einer Stunde der Populisten ist das politische Klima vor der Bundestagswahl weit entfernt“, sagt Robert Vehrkamp, Demokratieexperte der Bertelsmann Stiftung. Parteien wie die AfD, die ähnlich wie Donald Trump im US-Wahlkampf, eine Anti-Establishment-Strategie verfolgen, würden in Deutschland „deutlich an Zustimmung verlieren“. Selbst bei populistisch eingestellten Wählern hätte eine solche Partei „nicht den Hauch einer Chance“ bei der Bundestagswahl im Herbst, so der Experte.

Den für die AfD ernüchternden Befund leitet Vehrkamp aus einer Studie ab, die er gemeinsam mit Christopher Wratil von der Universität zu Köln verfasst hat. Die beiden haben untersucht, wie populistisch die Wahlberechtigten in Deutschland eingestellt sind und welche Auswirkungen das auf ihr Wahlverhalten und den Parteienwettbewerb vor der Bundestagswahl 2017 hat.  Für die Studie wurden in drei repräsentativen Umfragen zwischen 2015 und 2017 jeweils mehr als 1.600 Wahlberechtigte von Infratest Dimap interviewt. Auf über 80 Seiten haben sie ihre Ergebnisse zusammengetragen, die vor allem der AfD zu denken geben dürften.

Den grundlegend systemablehnende und antipluralistische Einstellungen, so eine Erkenntnis der Analyse der Befragungen, sind in Deutschland nicht mehrheitsfähig. Zwar sind knapp 30 Prozent populistisch eingestellt. Doch die Mehrheit der deutschen Wähler lehnt populistische Positionen ab (36,9 Prozent) oder stimmt ihnen nur teilweise zu (33,9 Prozent).

Der Befund ist vor allem im Hinblick auf die Bundestagswahl von Bedeutung. Die Experten haben dafür in den Blick genommen, was derzeit die Wahlentscheidungen  der Wähler am stärksten beeinflusst. Dazu zählen laut der Analyse insbesondere die Positionierungen der Parteien zu den Themen „Europa“, „Umverteilung“ und „Flüchtlinge“. Andere in Wahlkämpfen häufig populäre Themen wie „Umweltschutz“ oder „Wirtschaftswachstum“ fielen dagegen deutlich zurück.  Ebenso seien „typisch allgemein-populistische Prioritäten“ wie „Korruptionsbekämpfung“ und „mehr direkte Demokratie“ für die meisten Wähler nicht wahlentscheidend.

Auffallend ist das Wählerverhalten, wenn die zentralen Mobilisierungsthemen mit einer deutlichen Schärfe vertreten werden. Je radikaler sich die Parteien positionierten, desto geringer falle die Zustimmung bei den Wählern aus, heißt es in der Studie. So wirke sich der populistische Ruf nach einer „Entmachtung der politischen Eliten“, wie er des Öftern von der AfD zu hören ist, „sogar deutlich negativ auf die Wahlentscheidungen der Wähler aus“ (minus 12 Prozentpunkte).

Für die Studienautoren liegt damit auf der Hand: „Von einer populistischen Revolution sind die politischen Zustände im Wahljahr 2017 weit entfernt.“ Während in anderen Ländern Kandidaten, nicht unbedingt wegen, aber doch mit der Forderung, die etablierten politischen Eliten zu entmachten, Wahlergebnisse in Höhe von 20 bis 30 Prozent (Frankreich) oder sogar annähernd Mehrheiten (USA) erzielt hätten, sei dies in Deutschland bei der anstehenden Bundestagswahl eher ein „Rezept für Misserfolg“. „In Deutschland“, so die Experten, „wollen die Wähler die politischen Eliten nicht entmachten, trotz aller Kritik an den etablierten Parteien und Politikern.“

Vergleichsweise moderat geben sich demnach die Wähler auch bei Wahlkampfthemen wie Europa oder Globalisierung und Freihandel. Ein Anti-Globalisierungswahlkampf, so die Studienautoren, scheine in Deutschland - jedenfalls nach Auswertung der Befragungen - ebenso wenig erfolgversprechend, wie eine Anti-EU- oder Anti-Flüchtlingskampagne. Radikal-populistische Zuspitzungen blieben „eher Nischenstrategien für die Ansprache bestimmter Wählergruppen“. Die Gesamtheit aller Wahlberechtigten lasse sich davon aber kaum beeinflussen.

Für die Flüchtlingspolitik bedeutet dies, dass sie zwar als wichtigster Treiber für Rechtspopulismus in Deutschland gilt. „Das Mobilisierungsprofil der stark populistisch eingestellten AfD-Wähler ist so einseitig fokussiert wie bei keiner anderen Partei“, so Vehrkamp. Mit Positionen, die sich klar zur Abschiebung von „sehr vielen Flüchtlingen“ bekennen, lasse sich die Zustimmung bei AfD-Wählern sogar deutlich steigern (plus 51 Prozentpunkte).

Die Anhänger der anderen Parteien ließen sich jedoch durch flüchtlingsfeindliche Positionen nicht mobilisieren. Die  Studienautoren schließen daraus: „Nicht der Überbietungswettbewerb, sondern schon eine moderate und glaubwürdige Versicherung gegen die unkontrollierte Aufnahme von immer mehr Flüchtlingen ist ausreichend, um den Erwartungen der meisten Wähler in der Flüchtlingspolitik zu entsprechen.“ In diese Richtung tendieren laut der Analyse selbst populistisch eingestellte Wähler. Jedenfalls bringe eine Radikalisierung in der Frage durch die Forderung nach „sehr vielen“ Abschiebungen „nur geringfügige weitere Zuwächse“ für die Populisten.

Soll heißen: Die Flüchtlingsproblematik hat sich im Grunde zu Gunsten der Kanzlerin gewendet. Als Angela Merkel im Herbst 2015 ein Deutschland der Willkommenskultur propagierte, verlor die Union Stimmen an die AfD. Doch Merkel hat ihren Kurs längst geändert: Das Asylrecht wurde drastisch verschärft, die Zahl der neuankommenden Flüchtlinge ist im Vergleich zum Jahr 2015, dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise in Deutschland, deutlich zurückgegangen. Und Merkel beteuert: „Das Jahr 2015 soll sich in der Tat nicht wiederholen.“

Solche Sätze zeigen bei den Wählern offenbar Wirkung: Waren Merkels Beliebtheitswerte 2015 und 2016 noch im Keller, ist sie nun laut ZDF-Politbarometer wieder so beliebt wie vor der Krise. Bertelsmann-Experte Vehrkamp wagt denn auch die Prognose, dass die AfD mit ihrer radikalen Flüchtlingspolitik zur "größten Wahlhelferin der Kanzlerin" werden könne.


Populistisch eingestellte Wähler über alle Parteigrenzen hinweg

Ein weiteres Gewinnerthema für die etablierten Parteien kann auch die Europapolitik sein, zumal die AfD mit ihrer Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der EU auf praktisch keine Wählerresonanz stößt. So befürworten laut der Studie sogar mehr als zwei Drittel (69 Prozent) der populistisch eingestellten Wähler die Mitgliedschaft in der EU. Im Gegenzug können Kandidaten der Analyse zufolge durch pro-europäische-Positionen bei allen Wahlberechtigten punkten. Die stärkste Zustimmung lässt sich bei den Wählern demnach mit der Position einer noch stärkeren Zusammenarbeit in der EU gewinnen. Ein Kandidat könne seine Zustimmungswerte dadurch um etwa 19 Prozentpunkte erhöhen.

Andererseits kritisieren über drei Viertel (79 Prozent) der populistisch eingestellten Wähler, dass die EU-Integration zu weit gegangen sei und eine knappe Mehrheit (52 Prozent) ist mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zufrieden.  Bertelsmann-Experte Vehrkamp zieht daraus den Schluss, dass Populisten in Deutschland häufig enttäuschte Demokraten seien, aber „keine radikalen Feinde der Demokratie“.

Enttäuschte finden sich nicht nur bei der AfD. In der Studie wurde auch der Zusammenhang zwischen populistischen Einstellungen und Parteipräferenzen untersucht. Danach ist die Partei mit den unpopulistischten Wählern die CDU. Sie erreicht bei den nicht-populistischen Wählern eine Zustimmung von bis zu 60 Prozent, aber nur weniger als 20 Prozent unter den Populisten. „Je unpopulistischer ein Wahlberechtigter eingestellt ist, umso eher identifiziert er sich mit der CDU“, resümieren die Studienautoren.

Dasselbe gelte, etwas schwächer und auf geringerem Niveau, auch für die Grünen und die FDP. Die SPD ist hingegen laut Studie in beiden Lagern etwa gleich stark vertreten. Sie findet bei Menschen mit und ohne populistischen Einstellungen nahezu gleich viele Anhänger.

Die Wählerschaft der AfD hingegen ist nach den Ergebnissen der Studie eindeutig rechtspopulistisch. Bei Wählern mit ausgeprägt rechtspopulistischer Verortung erzielt sie mit rund 60 Prozent ihre höchsten Zustimmungswerte. Die AfD sei damit in ihrem Wählerprofil „so klar beschreibbar wie keine der anderen Parteien“, heißt es in der Untersuchung: „als rechtspopulistische Partei, deren Wähler sich derzeit vor allem mit dem Flüchtlingsthema mobilisieren lassen“.

Die Linke hat, wie die Experten konstatieren, von den im Bundestag vertretenen Parteien ein populistisches Alleinstellungsmerkmal, dies sei aber, wie sie betonen, nur schwach ausgeprägt. „Die Wahrscheinlichkeit eines Wahlberechtigten, die Linke sympathisch zu finden, steigt zwar mit dem Grad seines Populismus, der Zusammenhang ist aber nicht annähernd so stark ausgeprägt wie im Fall der AfD“, heißt es in der Studie.

Trotz der Befunde könne er „nicht vollständig Entwarnung geben“ in Sachen Populismus, sagt Bertelsmann-Experte Vehrkamp. Sorge bereitet den Experten, wie sich die populistischen Einstellungen über die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen nach Bildungsstand, Einkommen, Alter und Geschlecht verteilt. Populistisch eingestellte Wähler gebe es zwar über alle Parteigrenzen hinweg. Es zeige sich jedoch eine soziale Spaltung.

Je geringer der formale Bildungsstand und je niedriger das Einkommen, desto weiter verbreitet sind populistische Einstellungen. Bei Personen die maximal über einen Hauptschulabschluss und ein durchschnittliches Monatseinkommen unterhalb von 1.500 Euro verfügen, sind populistische Einstellungen am stärksten ausgeprägt. Aufgrund ihres sozialen Profils sind deshalb auch Nichtwähler (36,4 Prozent der Nichtwähler) häufiger populistisch eingestellt als Wähler (26,3 Prozent der Wähler).

Der Befund ist deshalb bemerkenswert, da der bisherige Erfolg der AfD auf Landesebene viel damit zu tun hat, dass die Partei frühere Nichtwähler mobilisiert hat. Ob ihr das bei der Bundestagswahl ebenfalls gelingt und sich diese Mobilisierung dann auch in Stimmenzuwächsen niederschlägt, lässt sich derzeit nicht beantworten. Umfragen deuten bisher lediglich darauf hin, dass die Partei den Einzug in den Bundestag sicher schaffen dürfte, aber wohl eher im einstelligen Bereich.

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