Ein Satz und der Skandal ist da. „Der Islam ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.“ So wird am Montag zusammengefasst, was die beiden AfD-Spitzenleute Alexander Gauland und Beatrix von Storch tags zuvor in einem Zeitungsinterview geäußert hatten.
Kaum ausgesprochen, kennt die öffentliche Kritik kein Halten mehr. Das sei „eine pauschale Verunglimpfung aller friedlichen Muslime“, schimpfte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, die AfD werfe „verbale Stinkbomben und verpestet den politischen Diskurs“, sagte Grünen-Chef Cem Özdemir. Schlimmer noch, mit der AfD gebe es nun zum ersten Mal seit Hitlers Untergang wieder eine Partei in Deutschland, „die eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiert und sie existenziell bedroht“, so der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek.
Hauptmeldung in der Tagesschau, Titelschlagzeilen in Zeitungen und Onlinemedien, die Erregungswelle nähert sich ihrem Höhepunkt. Über eine bevorstehende Spaltung der Partei wird spekuliert, die Beobachtung durch den Verfassungsschutz gefordert. Und aus all dem spricht die gleiche Hoffnung: Diesmal könnten die Rechtspopulisten den einen Schritt zu weit gegangen sein, könnten ein Tabu gebrochen haben, dass sie schlagartig ins politische Abseits befördert.
Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?
Die Forschungsgruppe Wahlen hat zwischen September 2014 und Mai 2015 in Deutschland Wahlberechtigte befragt, ob sie glauben, die AfD werde langfristig erfolgreich sein.
Quelle: ZDF Politbarometer, Statista
Im September 2014, also ungefähr ein Jahr nach dem knapp verpassten Einzug in den Bundestag, glaubten nur 56 Prozent der Befragten, die AfD werde langfristig nicht erfolgreich sein.
Zwei Monate später stieg der Anteil derer, die der AfD keinen langfristigen Erfolg zutrauten, auf 63 Prozent.
Im Januar 2015 glaubten 69 Prozent nicht an den langfristigen Erfolg der Euro-Kritiker um Bernd Lucke.
Im Februar 2015 prognostizierten 64 Prozent der AfD keinen langfristigen Erfolg.
Im Mai 2015 stieg (unter dem Eindruck der internen Personaldebatte?) der Anteil derjenigen, die der Alternative für Deutschland keinen Erfolg auf lange Sicht hin zutrauen, auf den in der Umfrage bisher höchsten Stand von 76 Prozent.
Doch so wird es nicht kommen, im Gegenteil. Denn wer sich die Islam-Debatte aus einer gewissen Distanz anschaut, den überkommt ein merkwürdiges Déjà-Vu-Gefühl. Petry, Schießbefehl, war da nicht was? Genau. Auch im Januar begann die Debatte ähnlich: Zitat, Aufschrei – Wahlsieg. Anstatt die Fehler der AfD zu nutzen, machen sich die politischen Gegner der Partei mit ihren Reaktionen zum Gehilfen der Partei. Die Vorstöße Gaulands und von Storchs folgen der gleichen simplen Taktik wie Petrys Ausfall im Januar. So gut wie die offenbar funktioniert, hier mal zum Mitschreiben für die Populisten aller Art:
Schritt eins: Gib dir ein Parteiprogramm, das scharfe Rhetorik mit harmlosen Forderungen verbindet. Beispiel Islam: Die AfD überschreibt das entsprechende Kapitel im Programmentwurf mit der eingängigen Zeile „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“ Super Satz! Da steckt erstmal alles drin: Von unionsinterner Multikulti-Kritik bis zu möglicherweise offener Verfassungsfeindlichkeit. Ob Seehofer-Fans oder NPD-Anhänger, da kann fast jeder zustimmen, der sich selbst irgendwo rechts von Angela Merkel verortet.
Auch bei den konkreten Forderungen kann man viel von der AfD lernen. Da wird der Bau von Minaretten und der Ruf des Muezzins „abgelehnt“, die Vollverschleierung soll verboten werden. All das sind Symbole, die der gemeine Islamfeind mit der Religion verbindet – und die in Deutschland nahezu keine Rolle spielen. Garniert sind diese Forderungen mit einem klaren Bekenntnis („uneingeschränkt“) zur Glaubensfreiheit.
Schritt zwei: Jetzt kommt die Provokation. Wichtig dabei: Mach eine Einschränkung, die erstmal keiner bemerken wird. Als Lehrmeisterin kann dir hier Beatrix von Storch dienen. Wörtlich sagte sie der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung: „Der Islam ist an sich eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.“ Noch so ein genialer Satz! Denn du kannst dich auf zwei Dinge verlassen. Erstens: Er wird verkürzt werden zu: Islam ist nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Und das klingt wie: AfD will Islam verbieten. Provokation perfekt.
Der „orthodoxe Islam“
Zweitens: Der Inhalt des Satzes selbst ist extrem langweilig, wenn nicht gar völlig inhaltslos. Dafür muss man ihn nur ein bisschen auseinander nehmen. Um wen geht es ihr? Den „Islam an sich“. Was soll das sein? Im Programmentwurf kommt diese Formulierung nicht vor, dafür aber: Der „orthodoxe Islam“. Und was weiß die AfD über den? Diese Spielart des Islams zeichnet sich dadurch aus, dass sie „unsere Rechtsordnung nicht respektiert und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt“. Mit anderen Worten: Wer es mit diesem AfD-Islam hält, der hält nichts von der Verfassung. Man könnte also sagen: der verfassungsfeindliche Islam. Wenn man nun diese Formulierung in von Storchs Zitat einbaut, erkennt man die ganze tautologische Brillanz: „Der verfassungsfeindliche Islam ist eine politische Ideologie, die mit dem Grundgesetz nicht vereinbar ist.“ Genial!
Schritt drei: Jetzt kommen Politiker und Medien ins Spiel. Da sich dich der Radikalität überführen wollen, stürzen deine politischen Gegner sich auf die Maximalinterpretation. Viele Medien werden zudem versuchen, innerparteiliche Kritiker zu finden und so die Spaltung der Partei heraufbeschwören. Sie werden den ein oder anderen finden, der Dinge sagt wie jetzt Uwe Junge aus Rheinland-Pfalz: „Ich denke nicht, dass sich die Äußerung in dieser Einfachheit halten lassen wird.“ Du wartest erstmal ab.
Schritt vier: Spätestens wenn man dich zum Verfassungsfeind macht, musst du eingreifen. Schließlich bist du kein Populist, sondern der letzte Hüter der Verfassung. Also: Alles völlig falsch interpretiert worden. Oder, um es in den Worten des niedersächsischen AfD-Chefs Armin-Paul Hampel zu sagen: „Ich sehe da nichts Neues. Die Punkte, die in den Medien aufgegriffen wurden, sind auch früher schon thematisiert worden.“
Schritt fünf: Entspann dich und genieß es, den Rest lässt du das Fußvolk machen. Denn jetzt, wo die Geschichte in der Welt ist, werden die Medien sie auch nicht sofort wieder loslassen. Und so teilt sich die Kommunikation in zwei Ebenen auf: Die klassischen Leitmedien werden sich nun daran abarbeiten, die Islamfeindlichkeit deiner Partei nachzuweisen. Deine Anhänger hast du derweil auf eine andere Lesart gebracht: Typisch Lügenpresse, die wollen uns mal wieder in die rechte Ecke stellen.
Fazit: Am Ende gewinnt der Populist mit dieser Taktik auf allen Ebenen – solange Gegner und Medien das Spiel mitmachen. Die Aufmerksamkeit ist gigantisch. Hauptmeldung in der Tagesschau! Mit einer politischen Forderung! Was würde die FDP dafür wohl alles tun.
Auch die Mobilisierung ist maximal. Mit der bewusst missverständlichen Aussage gibt man auch den Radikalen in der eigenen Anhängerschaft Zucker – ohne zugleich die Gemäßigten zu verlieren. Mit der provozierten Überinterpretation und dem späteren Widerspruch schweißt man dann all die Fans zusammen, die von der Ablehnung durch das Establishments leben. Solange die AfD ausgegrenzt wird, muss man sie erst recht wählen. Solange sie die Grenzen der Verfassung nicht überschreitet, ist diese Ausgrenzung deshalb der größte Gefallen, den man der Partei tun kann.
Die Bild-Zeitung veröffentlichte heute eine neue Meinungsumfrage, die AfD käme demnach auf 13,5 Prozent der Stimmen, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre.