AfD überholt in Umfragen erstmals SPD Etablierte Parteien müssen sich der AfD endlich stellen

CDU und SPD drohen donnernde Wahlniederlagen. Die Landeschefs der Union wenden sich von Merkel ab und ihren Wählern zu. Das ist erfolgversprechender als Maas‘ Eskalationsstrategie.

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AfD Quelle: dpa

Die bevorstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt könnten den Umfragen zufolge zu einem Desaster für die Bunderegierung werden. Nach einer aktuellen Umfrage hat in Sachsen-Anhalt die Alternative für Deutschland in der Wählergunst nun die SPD hinter sich gelassen. Die Umfrage kommt fast zeitgleich mit zwei anderen Nachrichten aus den Parteien, die die Leidtragenden dieser Entwicklung sind.

Die CDU-Spitzenkandidaten in Mainz und Stuttgart, Julia Klöckner und Guido Wolf, haben „nationale Schritte“ gefordert, um Einwanderungswillige ohne Asylgrund oder Schutzstatus an der Einreise zu hindern. Dass Klöckner dennoch von einem „Schulterschluss“ mit der Kanzlerin spricht, gehört zu den üblichen Verrenkungen der politischen Kommunikation. Die Botschaft an die Rheinland-Pfälzer ist jedenfalls eine andere, nämlich das Versprechen, sich gegen Angela Merkels Politik der offenen Grenzen zu engagieren. Der Unmut über Merkels Strategie der „europäischen Lösung“, die weiter entfernt als je zuvor scheint, ist sicher ein Hauptgrund für die katastrophalen Verluste der CDU in den Umfragen. Klöckner und Wolf scheinen darauf zu setzen, den neuen Konkurrenten AfD zu bekämpfen, indem sie auf die Interessen von deren potentiellen Wählern eingehen.

Wird die AfD langfristig erfolgreich sein?

Ganz anders reagieren die Berliner Granden der SPD auf ihr eigenes, noch katastrophaleres Umfragedesaster in den drei Bundesländern. Parteichef Sigmar Gabriel wirft Klöckner vor, die Verhandlungsposition der Kanzlerin zu schwächen – als ob die noch schwächer werden könnte. Vor allem Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) antwortet wie schon in jüngerer Vergangenheit mit Angriffen auf die Profiteure der Wählerunzufriedenheit. Die AfD sei ein Fall für den Verfassungsschutz, da sie „menschenfeindliche Positionen“ vertrete.  Er nimmt nicht die Gründe für die zu erwartende Wählerabwanderung in den Fokus, sondern feuert direkt mit schwerstem Kaliber auf den Feind. Die Hoffnung, deren Wähler für die SPD zu gewinnen, kann so erst gar nicht aufkommen. Die eigenen Reihen durch Demonstration moralischer Überlegenheit zu schließen, hat für Maas eindeutig Priorität. Das ist nicht nur wahltaktisch wenig klug.

Julia Klöckner und ihre Plänen in der Flüchtlingskrise

Eine Mischung aus beiden Strategien ist in der bundesrepublikanischen Geschichte bewährt, um rechtspopulistische Parteien klein zu halten. Das war bisher vor allem die Aufgabe der Union, die rechts von sich keine politische Kraft dulden wollte. In der Regel gelang es, durch seriöse Übernahme der entsprechenden Wählerinteressen bei gleichzeitiger systematischer Ausgrenzung der Parteien und ihres Personals, den Wählern klarzumachen, dass sie mit den bewährten Politprofis der etablierten Parteien besser fahren als mit unberechenbaren Leuten wie Franz Schönhuber. Zu Helmut Kohls Zeiten hat der so genannte Asylkompromiss, der die Zuwandererzahlen drastisch senkte, die Republikaner vernichtet, indem er sie in den Augen ihrer Wähler überflüssig machte. Nicht der Verfassungsschutz und öffentliche Empörung, sondern politische Antworten haben den Rechtspopulismus in Deutschland bisher zu einer quantité négligiable gemacht.

Die Schwäche der großen Koalition ist die Stärke der AfD

Wenn die AfD heute derart stark dasteht, so ist das nicht auf deren eigene Qualitäten, sondern auf die Schwäche der großen Koalition zurückzuführen. Diese vermittelt mit ihrer Flüchtlingspolitik in weiten Teilen der Bevölkerung den Eindruck der Macht- und Hilflosigkeit, da sie sich auf Management im Innern und offensichtlich ergebnislose Bittstellerei im Ausland zu beschränken scheint.

Die AfD hat sich, verglichen mit ihrer Gründungsphase, radikalisiert. Das sollte allen Sorge machen, denen am gesellschaftlichen Frieden und an der politischen Stabilität des Landes gelegen ist. Aber gegen diese Radikalisierung hilft keine verbale Aufrüstung nach Maasscher Art. Der AfD pauschal „Menschenfeindschaft“ zu unterstellen, wirkt vermutlich selbst radikalisierend, weil dadurch ein demokratischer Dialog fast unmöglich wird. Wer Feind der Menschheit genannt wird, verbittert im besten Fall. Im schlechtesten wendet er sich endgültig vom politischen System ab, das er mit dem Justizminister identifiziert. Das wäre tatsächlich eine Katastrophe .

Die AfD ist eine politische Herausforderung, der sich die etablierten Parteien politisch stellen müssen. Hinter ihrem Erfolg stehen Ängste vor epochalen Veränderungen in der Welt und in Deutschland, die viele Bürger zutiefst beunruhigen. Die Interessen dieser Menschen sind real und verlangen nach politischer Repräsentanz – auch wenn sie von Ressentiments bestimmt scheinen. Nicht Empörung und Affekte sind gefragt, sondern eine Politik des rechten Maßes, die alle Wähler als Bürger ernst nimmt. Auch solche, die nicht zum progressiven Establishment von Prenzlauer Berg oder Hamburg-Winterhude gehören. Im Großen und Ganzen wurde in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten solch eine Politik des Ausgleiches betrieben. Zu unser aller Wohl. Klöckner und Wolf scheinen sich daran und an die früheren Erfolgsrezepte der Union zur Marginalisierung neuer Konkurrenten von rechts zu erinnern.

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