AfD vs. Facebook und Twitter Die Grenzen der Meinungsfreiheit

Facebook und Twitter sperren hetzerische Kommentare von zwei AfD-Spitzenpolitikerinnen. Die Partei ist empört und spricht vom Ende der Meinungsfreiheit. Doch das sieht die Polizei etwas anders. Eine Analyse.

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Berlin Soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter sind wichtige Hilfsmittel zur Wählermobilisierung. Keine Partei kann es sich leisten, nicht auf den digitalen Plattformen präsent zu sein und damit auf eine direkte Kommunikation mit ihren potenziellen Wählern zu verzichten. Für die AfD spielten die sozialen Medien von Anfang an eine große Rolle – quasi als kostenlose Werbeflächen für ihre politischen Botschaften.

Die Art und Weise wie sie das tut, ist allerdings umstritten. Denn in der politischen Auseinandersetzung vergreift sich die AfD regelmäßig im Ton. Zwar ist die Meinungsfreiheit in Deutschland ein hohes Gut. Doch endet das Recht auf Meinungsfreiheit bei Beleidigungen und Schmähkritik, eben dort, wo Strafgesetze berührt werden, etwa wenn sich jemand mit seiner öffentlich vertretenen Ansicht über die Menschenwürde hinwegsetzt.

Ob das im Fall der AfD-Politikerin Beatrix von Storch zutrifft, als sie sich am Silvesterabend in den sozialen Netzwerken über einen Tweet der Kölner Polizei aufregte, die Neujahrsgrüße unter anderem in Arabisch veröffentlicht hatte, ist noch nicht abschließend geklärt. Bei der Kölner Staatsanwaltschaft haben mittlerweile mehrere Hundert Bürger sogar Strafanzeige wegen möglicher Volksverhetzung gestellt. Zuvor hatte auch die Kölner Polizei von Storch wegen des Verdachts der Volksverhetzung angezeigt.

Reagiert haben auch Facebook und Twitter. Wohl auch bedingt durch die neuen gesetzlichen Löschregeln für soziale Netzwerke, haben die Unternehmen den Kommentar der AfD-Politikerin kurzerhand gesperrt. Sanktioniert wurde nur kurze Zeit später auch die AfD-Fraktionschefin Alice Weidel, die den Tweet ihrer Fraktionskollegin verteidigte und inhaltlich sogar noch zuspitzte, weshalb auch gegen Weidel mehrere Anzeigen wegen Volksverhetzung gestellt wurden. 

Von Storch hatte getwittert: „Was zur Hölle ist in diesem Land los? Wieso twittert eine offizielle Polizeiseite aus NRW auf Arabisch. Meinen Sie, die barbarischen, muslimischen, gruppenvergewaltigenden Männerhorden so zu besänftigen?“ Nach der Sperre veröffentlichte sie einen Screenshot davon auf Facebook – und wiederholte dort ihre beanstandete Twitter-Aussage mit dem Zusatz „Mal sehen, ob man das auf Facebook sagen darf“.

Weidel hatte getwittert: „Das Jahr beginnt mit dem Zensurgesetz und der Unterwerfung unserer Behörden vor den importierten, marodierenden, grapschenden, prügelnden, Messer stechenden Migrantenmobs, an die wir uns gefälligst gewöhnen sollen. Die deutsche Polizei kommuniziert mittlerweile auf Arabisch, obwohl die Amtssprache in unserem Land Deutsch ist.“

Die AfD-Aufregung gipfelte am Montag in einer Mitteilung von Parteichef Alexander Gauland, in der er andere Internet-User dazu aufrief, die gesperrten Tweets weiterzuverbreiten. Womöglich, um hinterher, falls es zu weiteren Sperrungen kommen sollte, behaupten zu können, dass daran nicht die AfD Schuld ist, sondern einzig und allein die Bundesregierung und ihr geschäftsführender Justizminister Heiko Maas (SPD). Dabei hat Gauland sein Urteil längst gefällt. „Das Zensurgesetz von Heiko Maas zeigt schon am ersten Tag des neuen Jahres seine freiheitsbeschneidende Wirkung. Diese Stasi-Methoden erinnern mich an die DDR“, erklärte der AfD-Politiker in seiner Mitteilung.

Das seit dem 1. Januar geltende Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verlangt von Diensten wie Facebook, Twitter oder YouTube, klar strafbare Inhalte binnen 24 Stunden nach einem Hinweis löschen. In weniger eindeutigen Fällen haben sie eine Woche Zeit. Sonst drohen den Betreibern der sozialen Netzwerke empfindliche Geldstrafen.

Was Gauland nicht erwähnt, ist, dass die sozialen Medien in den vergangenen Jahren erkennbar viel zu wenig gegen Hasskommentare unternommen haben. Selbst eine vom Justizministerium eingerichtete Taskforce unter Beteiligung der Internetkonzerne brachte keine nennenswerten Verbesserungen. Im Gegenteil. Laut einer im Frühjahr vorgelegten Studie von jugendschutz.net entfernt Twitter gerade einmal ein Prozent der gemeldeten strafbaren Inhalte, bei Facebook sind es 39 Prozent. YouTube steht demnach mit einer Löschquote von derzeit 90 Prozent mit Abstand am besten da.

Was Gauland ebenfalls nicht erwähnt, ist, dass die AfD die Grenzen der Meinungsfreiheit regelmäßig austestet und sehr oft auch überschreitet. Und das in vielfältiger Weise. Gerade Beatrix von Storch ist eine Meisterin darin, die sozialen Medien für ihre Ausfälle zu instrumentalisieren. Manchmal behauptet sie auch schlicht die Unwahrheit.


Mobilisierung gegen Facebook, Twitter und Co.

So verbreitete die stellvertretende AfD-Fraktionschefin vor wenigen Monaten über Twitter ein falsches Zitat von Justizminister Maas. Von Storch teilte ein Video zu einem Auftritt des SPD-Politikers an der Technischen Hochschule Köln, wo er sich Anfang Juli den Fragen von Studenten stellte. „Auf Facebook gilt Meinungsfreiheit nicht“, zitierte von Storch den Minister aus dem Video. Doch den Satz hat Maas in dem Mitschnitt gar nicht gesagt. Das hielt von Storch aber nicht davon ab, Maas einen „Anschlag auf die FDGO“, also die freiheitlich demokratische Grundordnung, vorzuwerfen und die Frage zu stellen, warum „der Mann Minister und nicht in Haft“ sei.

Wie die AfD die sozialen Medien für manchmal „polemische Tiraden“ nutzt, zeigt auch eine Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung aus dem Jahr 2016, in der etliche Fälle aufgelistet werden. Etwa der des damaligen AfD-Kandidaten für die Landtagswahl in Baden-Württemberg und heutigen Bundestagsabgeordneten Marc Bernhard. Nach dem Ende Januar 2016 von Schüssen auf AfD-Wahlkämpfer in Karlsruhe berichtet wurde, sprach Bernhard auf Facebook von der „Saat der rot-grünen Hetzer“, die nun aufgehe.

Noch deutlich aggressiver trat die AfD Sachsen-Anhalt bei Facebook auf. Die Göttinger Forscher analysieren in ihrer Studie mehrere Beispiele. Im Oktober 2014 war etwa bekannt geworden, dass der damalige Beisitzer im Landesvorstand Jobst von Harlessem auf seiner Facebook-Seite eine Fotomontage teilte, auf der US-Präsident Barack Obama an einem Galgen aufgehängt wird. Zudem hatte der vormalige FDP-Lokalpolitiker die USA für die Terroranschläge vom 11. September 2001 verantwortlich gemacht („das eigene Volk gesprengt wurde“).

Ein weiteres krasses Beispiel lieferte kurz vor Silvester der AfD-Landeschef von Rheinland-Pfalz, Uwe Junge. Nach der tödlichen Messerattacke auf eine 15-Jährige in der pfälzischen Kleinstadt Kandel twitterte Junge: „Der Tag wird kommen, an dem wir alle Ignoranten, Unterstützer, Beschwichtiger, Befürworter und Aktivisten der Willkommenskultur im Namen der unschuldigen Opfer zur Rechenschaft ziehen werden! Dafür lebe und arbeite ich. So wahr mir Gott helfe!“

Der Tweet Junges lässt sich durchaus als Drohung verstehen, freilich durch die Meinungsfreiheit gedeckt. Soll heißen, nicht alles, was an gravierendem Unfug durch die sozialen Medien geistert, ist auch justiziabel und fällt unter das NetzDG. Das Ende der Meinungsfreiheit auszurufen, ist deshalb nichts anderes als purer Populismus. Die AfD versucht auf diese Weise einmal mehr, sich als Opfer darzustellen. Mit dem Ziel, ihre Anhängerschaft gegen Facebook, Twitter & Co. zu mobilisieren.

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