
Die „Alternative für Deutschland“ hat in Bremen einen schweren Stand. Die Hansestadt ist bekannt für ihre große linke Szene. Die AfD hat das gleich zwei Mal zu spüren bekommen. Im Bundestagswahlkampf 2013 wurde Bundessprecher Bernd Lucke bei einem Auftritt im Bürgerpark tätlich angegriffen. Ende Januar dieses Jahres wurde der Bundesparteitag der neuen Partei – denen Kritiker eine zu große Nähe zum Rechtspopulismus nachsagen – von Tausenden Demonstranten begleitet.
Dass die AfD in Bremen nun dennoch in die Bürgerschaft einzieht, ist ein starkes Signal. Mit 5,5 Prozent der Stimmen – so die Hochrechnung – wird die „Alternative" nach Hamburg in einem zweiten westdeutschen Parlament vertreten sein. Die Partei hat sich im Westen etabliert – trotz der internen Streitigkeiten, die seit Monaten toben. Ein signifikanter Teil der Wähler sucht offenbar ein Ventil, um den Frust über die etablierte Politik rauszulassen. Welches Bild die AfD derzeit abgibt: zweitrangig. Für die Euro-kritische Anti-System-Partei ist das eine gute Nachricht, zeigt sie doch, wie treu und nachsichtig die Anhänger sind – und wie groß das Potenzial ist, sollte sich die Partei erst einmal seriös zeigen.
Der Erfolg von Bremen hätte auch etwas vom parteiinternen Druck von Bundessprecher Bernd Lucke nehmen können, gilt doch der Bremer Landesverband – für die der Bundesschatzmeister und Lucke-Vertraute Piet Leidreiter auf Listenplatz 2 kandidierten – als loyal dem AfD-Frontmann gegenüber. Doch die Nachricht, dass die „Alternative“ im Westen angekommen ist, verpuffte in der Nacht – angesichts der kolportierten Meldung, Lucke wolle hinwerfen.
„Es gibt handfeste Indizien dafür, dass Bernd Lucke sich dazu entschieden hat, die AfD zu verlassen. Meine Kollegen und ich nehmen das sehr ernst und fordern ihn in tiefer Sorge um die Zukunft der AfD auf, sich dazu zu erklären“, forderte Co-Parteichef Konrad Adam in der „Bild“-Zeitung. „Kompletter Blödsinn“, entgegnen Lucke-Vertraute aus dem Bundesvorstand.
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Fakt ist: Lucke wirkt angezählt, zuweilen auch genervt, ob der ständigen Flügelkämpfe (Liberale gegen Nationalkonservative) in der Partei. Doch ein Rücktritt ist zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich. Erstens hat die Basis Bernd Lucke Ende Januar in Bremen auf dem Bundesparteitag gestärkt und den Weg frei gemacht, für einen alleinigen Parteichef ab Ende des Jahres.
Zweitens ist Lucke getrieben von dem Wunsch, die AfD, „seine Partei“, in den Bundestag und zur ernsthaften Konkurrenz zur Union zu führen. Drittens dürfte er wissen, dass eine weitere Neugründung im Wettbewerb mit der Union, der wiedererstarkten FDP und der Alt-AfD keine Erfolgschancen hat.





Lucke muss dennoch reagieren – und das tut er. In einer Rundmail, die "WirtschaftsWoche Online" vorliegt, kündigte er an, dass „der Konflikt über die Neuausrichtung der Partei“ entschieden werden muss. Er mache sich "Sorgen um die AfD". Und: Es sei besser, Mitglieder abzuschrecken und zu verlieren, als sich endlos zu streiten. In dieser Form jedenfalls "können wir nicht weitermachen", schreibt Lucke weiter.
Laut „Spiegel“ will er in einer Pressekonferenz, voraussichtlich am 18. Mai, gemeinsam mit Hans-Olaf Henkel mit dem rechten Flügel in der AfD abrechnen. Er wolle vor einer Spaltung der Partei warnen – und für Unterstützung werben.
Ob er diese noch hat, wird sich am 13. und 14. Juni zeigen. Dann kommt in Kassel ein Delegiertenparteitag zusammen. In Kassel wird sich das Schicksal des AfD-Frontmannes entscheiden – und das der Partei. Ohne ihren liberalen Flügel ist die Erkenntnis, dass die Partei im Westen angekommen ist, überholt. Dann wäre sie höchstens noch eine ostdeutsche Regionalpartei und hätte ihre eigenen Erfolge konterkariert.
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