Affäre um Petra Hinz Großer Vertrauensverlust bei der Ruhr-SPD

Essen war einst die Hochburg der Sozialdemokraten. Nicht erst seit der Affäre um den gefälschten Lebenslauf der Genossin Petra Hinz hat sich das geändert. Die SPD fürchtet nun Folgen für die Wahlen im folgenden Jahr.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Hinz hat ihre Parteiämter niedergelegt. An ihrem Bundestagsmandat hält sie bisher fest. Quelle: dpa

Essen Und jetzt auch noch Petra Hinz. Eine langjährige Genossin. „Petra Überall“, wie sie wegen ihres Engagements im Essener SPD-Wahlkreis auch genannt wurde. Die Bundestagsabgeordnete baut ihre Parteikarriere auf Lügen auf, sie täuscht jahrzehntelang die Genossen und ihre Wähler und verschwindet in der Versenkung, ohne den von ihr nach Bekanntwerden der Affäre angekündigten Rücktritt aus dem Bundestag auch formell einzureichen. Nicht der erste Skandal für die gescholtene Essener Ruhr-SPD. Aber er trifft die einstige Hochburg der Genossen zur Unzeit.

Denn mit der Affäre um den gefälschten Lebenslauf von Hinz und den Gerüchten um jahrzehntelanges Schweigen in den Reihen der Parteikreise zerschlagen die Sozialdemokraten weiteres Porzellan. Ein Vertrauensverlust, den sich die Partei vor den im kommenden Jahr anstehenden Landtags- und Bundestagswahlen nicht leisten kann. Denn die Stimmen aus dem Ruhrgebiet sind entscheidend für den Erfolg der rot-grünen Landesregierung.

Läuft es für den Essener Parteichef und NRW-Justizminister Thomas Kutschaty so richtig schlecht, dann könnte sich die peinliche Affäre um die erlogene Biografie von Petra Hinz noch über Wochen, vielleicht sogar über Monate hinziehen. Denn die 54-Jährige hat zwar angekündigt, ihre Ämter in der Partei und in ihrem Ortsverein niederzulegen. Vom ebenfalls geforderten Mandatsverzicht im Bundestag ist dagegen nicht die Rede.

Auch zwei Wochen nach Bekanntwerden des Skandals gehört sie dem Parlament an und kassiert entsprechend Abgeordnetendiäten und Kostenpauschale. Und die SPD, erzürnt und peinlich berührt, hat keine Mittel, um die als Parlamentarierin weitgehend autonome Genossin aus dem Bundestag zu drängen.

Fast 50 Jahre lang hatten die einst stolzen Essener Sozialdemokraten das Sagen in der Stadt, auch wenn viel geschrieben wurde über Sumpf, Filz und Intrigen. Essen war eine Festung der SPD, hier kam die Arbeiterpartei bei Kommunalwahlen einst auf mehr als 50 Prozent, zuletzt vor zwei Jahrzehnten. Von diesem Zuspruch kann die Partei seit einigen Jahren nur noch träumen. Mit dem Niedergang des Ruhrgebiets und dem Abschied aus der Kohle änderten sich auch die Umfragewerte.

Und die Hinz-Affäre ist nur der jüngste Essener Skandal, ein weiterer Tiefpunkt in einer Reihe von Affären in der krisengeschüttelten Essener SPD. Waren zunächst eigentlich eher die Dortmunder Sozialdemokraten für ihre innerparteiliche Querelen bekannt, sorgen seit einiger Zeit zunehmend die rund 4000 Essener Genossen für unangenehme Schlagzeilen.

Im Sommer 2014 zum Beispiel zerlegt die örtliche Parteichefin Britta Altenkamp öffentlich den damaligen SPD-Oberbürgermeister Reinhard Paß und spricht ihm die Eignung für das Amt ab. Er sei „als OB die falsche Person“. Paß kann sich zwar innerparteilich als Kandidat durchsetzen, verliert aber deutlich gegen den neuen OB Thomas Kufen (CDU).


„Der Fall Hinz schadet der ganzen Politik“

Anfang des Jahres stürzt Altenkamp, die auch stellvertretende SPD-Vorsitzende in NRW ist, im Streit mit Ortsvereinen aus dem Essener Norden um den Kurs der lokalen Flüchtlingspolitik. Bundesweit wird Essen bekannt als Paradebeispiel dafür, dass es in der SPD zwischen Führung und Teilen der Parteibasis riesige Differenzen gibt.

„Es bedarf jetzt großer Kraftanstrengungen, das Vertrauen in Politiker und Politikerinnen zurückzugewinnen“, sagt der oberste Essener Krisenmanager Kutschaty. Es wird höchste Zeit: Denn im kommenden Mai wird der Landtag gewählt, im September 2017 der Bundestag. Über den Erfolg der derzeit arg umstrittenen rot-grünen Koalition in Düsseldorf entscheidet auch das Ergebnis aus den sozialdemokratischen Hochburgen im Ruhrgebiet

„Der Fall Hinz schadet der SPD – und der ganzen Politik. Die Folgen werden uns sicher im Wahlkampf beschäftigen“, ist NRW-Juso-Chef Frederick Cordes überzeugt. „Dadurch werden Vorurteile über unehrliche Politiker leider bestätigt. Und es ist der Nährboden für die AfD“, fürchtet Cordes.

Der Essener Unterbezirks-Vize Karlheinz Endruschat erhofft sich eine Aufbruchstimmung vom Parteitag im kommenden September. „Wir werden deutlich machen: Wir sind nicht mehr die Partei, in der irgendwelche Seilschaften eine Rolle spielen“, sagt er. „Sondern wir sind die Partei, die wieder offen sein wird und die neue Mitglieder einspannen will.“

Einen in Essen namhaften Genossen hat Endruschat verloren. Ratsherr Guido Reil, Bergmann und einstiger Vorzeige-Sozi, hat die Brücken in seine ehemalige politische Heimat endgültig abgebrochen und bei der Alternative für Deutschland (AfD) angeheuert.

Bundesweit bekannt wurde er im Streit mit Altenkamp um die Flüchtlingspolitik und durch grundsätzlich asylkritische Äußerungen. „Ich hatte einfach das Gefühl, innerhalb der SPD kann ich nichts mehr bewirken“, hatte Reil seinen Beschluss begründet. „Ich kann nichts bewirken in einer Partei, die sich radikal der Realität verschließt.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%