Afghanistan Deutschland brachte eigenes Kriegsgerät vor Taliban in Sicherheit

Schwer bewaffnete Taliban-Kämpfer patrouillieren nach ihrer Machtübernahme durch Kabul. Große Teile der Ausrüstung haben sie der Armee abgenommen. Quelle: dpa

Die Taliban sind dank der US-Waffen für die afghanische Armee bestens ausgestattet. Deutsches Kriegsgerät ist dagegen kaum in die Hände der Islamisten geraten.

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Taliban, die mit US-amerikanischen Waffen, Fahrzeugen und Kriegsgerät posieren. Fotos davon gehen seit Wochen um die Welt. Schnell war nach der Machtübernahme der Islamisten in Afghanistan klar, dass sich die afghanische Armee nicht nur personell den Angreifern hingegeben hatte, sondern auch materiell. Die Ausrüstung, die Washington in die Aufrüstung des örtlichen Militärs gesteckt hatte, ist nun zu großen Teilen im Besitz der Taliban.

Gerät, mit dem auch Deutschland und andere Nato-Verbündete an den Hindukusch geflogen waren. Doch es gibt einen großen Unterschied zwischen Amerika und Europa: Während die USA als primärer Ausstatter des fragilen Landes massenhaft Waffen, Munition und Gerätschaften zurückgelassen haben, bleibt Deutschland diese unangenehme Situation wohl erspart: Bilder von Taliban mit Bundeswehr-Equipment oder deutschen Fabrikaten.

Zwischen 2002 und 2021 hat die Bundesregierung Rüstungsexporte für 418,8 Millionen Euro in das zentralasiatische Land genehmigt. Der weitaus größte Teil war aber nicht für afghanische Sicherheitskräfte bestimmt, sondern für Streitkräfte der Nato-Partner, Botschaften oder die Vereinten Nationen, darunter Panzer und Handfeuerwaffen.



Recherchen der WirtschaftsWoche zeigen: Dieses Material ist vor den Taliban wohl in Sicherheit. Ein Sprecher des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr erklärt, sie habe „bei ihrer Rückverlegung aus Afghanistan keine Waffen oder sonstiges sicherheitsrelevantes Material zurückgelassen“.

Justine Fleischner und die von der EU unterstützte Organisation Conflict Armament Research (CAR) folgen minutiös dem Weg von Waffen. Fleischners Einsatzgebiet ist Afghanistan. Gefragt nach deutschen Waffen im Land macht sie eine kleine Einschränkung: Es gebe zwar deutsche Waffen im Land. Aber das sei ein verschwindend geringer Anteil.

Dass sich noch deutsche Panzer in Afghanistan befinden, die von den Taliban gekapert werden könnten, gilt in Rüstungskreisen als unwahrscheinlich. Derlei Gerät sei schon vor Monaten oder Jahren aus dem Land abgezogen worden, heißt es.

Der deutsche Teil des deutsch-französischen Rüstungsunternehmens MBDA, der Luftverteidigungssysteme und Lenkflugkörper produziert, schließt einem Sprecher zufolge aus, dass hierzulande hergestellte Waffen des Unternehmens in den Händen der Taliban gelandet sind. Wenn Nato-Partner, an die deutsche Rüstungsunternehmen liefern, solche Waffen weitergeben – etwa an die afghanische Armee – müssten diese Länder das den Unternehmen melden. Das funktioniere zuverlässig. Solche Meldungen hat es laut MBDA aber nicht gegeben.

Bei Heckler & Koch klingt das ähnlich: Der Waffenhersteller teilt mit, das Unternehmen liefere ausschließlich Waffen an EU- und Nato-Länder sowie der Nato gleichgestellte Staaten. Das Unternehmen habe „keine Waffen nach Afghanistan geliefert und dafür auch niemals einen Genehmigungsantrag gestellt“. Ob die Bundesregierung im Rahmen der Ausrüstungsinitiative für die afghanischen Sicherheitskräfte Heckler & Koch-Waffen aus ihrem Besitz nach Afghanistan geliefert habe, wisse man nicht. Von der Bundesregierung über eine solche Lieferung informiert worden sei die Firma aber nie, versichert ein Unternehmenssprecher.

Auch Marie-Agnes Strack-Zimmermann, verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, hält es für „höchst unwahrscheinlich“, dass deutsche Waffen in den Besitz der Taliban gekommen seien. Die afghanische Armee sei von den USA ausgerüstet worden. Die Bundeswehr habe ihr Equipment beim Verlassen Afghanistans mit nach Deutschland genommen.

Anfangs schulten die USA die Afghanen mit russischen Waffen

Ganz auszuschließen ist es dennoch nicht, dass deutsche Waffen über Umwege doch bei den Taliban gelandet sind. Der Sprecher der Bundeswehr gibt zu: Die Frage, ob im Laufe der vergangenen 20 Jahre des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan militärisches Material an die Sicherheitskräfte vor Ort übergeben wurde, das sich jetzt in der Verfügungsgewalt der Taliban befinden könnte, lasse sich im Moment nicht genau beantworten. Die Militärexperten, mit denen sie spreche, sagt Strack-Zimmermann, machten auf Fotos und vor Ort aber nur amerikanische und russische Fabrikate aus, die sich die Taliban besorgt hätten.

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Diese Beobachtung teilen die Spurensucher von Conflict Armament Research. Die meisten Waffen seien russischer Herkunft. Zu Beginn der Mission hätten die USA die Afghanen sogar mit älteren osteuropäischen Beständen trainiert, weil diese in der Region eben gebräuchlich waren, erklärt Justine Fleischner. Später seien die Amerikaner dann auf ihre eigenen Modelle umgestiegen. „Irgendwann wussten junge afghanische Soldaten gar nicht mehr, wie sie eine AK-47 auseinanderbauen, weil sie das US-Equipment gewohnt waren.“

Mehr zum Thema: Die Machtergreifung der Taliban in Afghanistan ist geostrategisch katastrophal. Das Desaster des Westens ist Chinas Chance in Afghanistan, an die Rohstoffe des Landes zu kommen.

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