Akademisierungswahn Die Expansion der Universität muss ein Ende haben

Seite 2/2

So steigert man die Akademikerquote

Natürlich wissen nicht nur Lehrer und Universitätsdozenten, sondern alle Menschen mit gesundem Urteilsvermögen, dass die alljährlichen Rekorde der Studentenzahlen nicht durch die wachsende Klugheit der jungen Menschen, sondern durch das Absenken der Hürden in den Schulen und Universitäten zu erklären sind. Steigende Zahlen der Abiturienten sagen nichts aus über deren tatsächliche Studierfähigkeit. Die Landeskultusministerien sorgen durch entsprechenden Druck auf die Schulen und Benotungsrichtlinien für die Lehrer dafür, dass de facto kaum noch ein Schüler durch die Abiturprüfung fällt. Sitzenbleiben soll in vielen Ländern ohnehin abgeschafft werden. So einfach steigert man die Akademisierungsquote.

Ebenso offensichtlich ist auch, dass im internationalen Vergleich Länder mit hohen Abiturienten- und Studentenanteilen nicht unbedingt wirtschaftlich erfolgreicher sind als die mit niedrigeren. Sonst müsste Frankreich zum Beispiel derzeit viel besser als Deutschland dastehen. Von der wissenschaftlichen Stärke der Länder ganz zu schweigen. Davon ist allerdings in OECD-Studien und bildungspolitischen Parteiprogrammen bezeichnenderweise nie die Rede.

Nida-Rümelin stößt in seiner SPD, aber auch bei Bundesbildungsministerin Johanna Wanka von der CDU auf reflexhafte Ablehnung. Den Akademisierungswahn zu beklagen ist in der etablierten Politik ähnlich unziemlich wie Kritik an der Eurorettung oder Zweifel am Atomausstieg. Das ist jenseits des Opportunitätskorridors des Politikbetriebes.

Darum wäre es sehr zu wünschen, wenn Nida-Rümelin als einer der leider sehr selten gewordenen Grenzgänger zwischen Gelehrtentum und Politik eine offene Debatte auslösen würde. Die Steigerung der Studentenzahlen sollte kein selbstverständliches Politikziel mehr sein.

Was Nida-Rümelin sagt, gehört ins Zentrum der bildungspolitischen Diskussion. Die totale Akademisierung und Uni-Expansion ist ebenso wenig alternativlos wie der Erhalt des Euro um jeden Preis.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%