
Transparenz ist ein Superstar unter den Begriffen. Sie wird von Institutionen aller Art, Unternehmen, Ministerien, ja selbst von Geheimdiensten ehrfurchtsvoll und einschränkungslos für notwendig erachtet. Und als Superstar duldet sie keinen Widerspruch. Undenkbar, dass ein Unternehmer oder Amtschef verkündet: „Wir werden künftig etwas weniger transparent arbeiten.“
Ja, selbst der Chef des Bundesnachrichtendienstes Gerhard Schindler sagte in diesen Tagen: „Nur wenn wir uns öffnen, wenn wir transparenter werden, in vertretbarem Rahmen unsere Arbeitsweise erklären, können wir unsere Vertrauensbasis in der Gesellschaft verbreitern“. In Hamburg gibt es seit Oktober 2012 ein Transparenzgesetz, das auf die „Volksinitiative Transparenz schafft Vertrauen“ zurückgeht. In Nordrhein-Westfalen eifert ihr die Initiative „NRW blickt durch“ nach, die mit einem ähnlichen Gesetz „Korruption erschweren“ und „Vertrauen in Verwaltung und Politik stärken“.
Natürlich will kein vernünftiger Mensch Korruption in Behörden erleichtern oder von Unternehmen hinters Licht geführt werden. Und natürlich liebt niemand das Geheimnis des anderen, sondern stets nur das eigene. Aber ist konsequente Transparenz überhaupt möglich? Wohl kaum.
„Gesellschaften wie Einzelne könnten ohne ein Set von Geheimnissen nicht einmal überleben“, schreibt der Kulturwissenschaftler Hartmut Böhme. Es ist, wie Böhme schreibt, „eine der großen Selbsttäuschungen unserer Gesellschaft, dass sie, auf Information und Aufklärung, auf Kommunikationstechniken und Massenmedien setzend, Geheimnisse aufzulösen glaubt; sie erzeugt Geheimnisse im selben Maße, wie sie diese beseitigt.“
Völlig geheimnisfreie Organisationen sind unter anderem deswegen unrealisierbar, weil Geheimnisse, also nicht öffentliches Wissen, eine der Quellen von Macht sind. Und eine Firma oder einen Staat ohne Macht liegt jenseits des menschlichen Erfahrungsraumes. Daher ist das Versprechen der Transparenz nicht, wie der BND-Chef und die nordrhein-westfälische Durchblicksinitiative behaupten, eine Voraussetzung für Vertrauen. Eher das Gegenteil ist der Fall.
Der Albtraum der Transparenz
Eine imaginäre Behörde oder ein Unternehmen, das konsequente Transparenz zum obersten Ideal erhebt und damit den Menschen den – letztlich unerfüllbaren - Anspruch erlaubt, braucht nämlich eigentlich gar kein Vertrauen. Vertrauen braucht nur derjenige, der nicht alles preisgibt. Wer alles sieht und weiß, muss nicht mehr vertrauen, denn er weiß ja alles. Aber bekanntlich tut das nur der liebe Gott. Weil der Anspruch auf Transparenz nie völlig einlösbar ist, säht er eher Misstrauen gegen die eben doch nicht ganz durchschaubaren Institutionen und ihre Amtsträger.
Seltsam, wie unreflektiert von der Transparenz geschwärmt wird. Letztlich träumen die unkontrollierten Datensammler der Geheimdienste ebenso wie die globalisierte Allianz der Spionagekritiker von Wikileaks über den Chaos Computer Club bis zum Whistleblower-Netzwerk denselben „Transparenztraum“, wie Manfred Schneider in seinem gleichnamigen Buch erkannt hat. Der Unterschied zwischen beiden ist nur, dass erstere alles alleine wissen wollen, während letztere wollen, das alle alles wissen. Beide Wünsche geben totalitäre Ziele vor, die nie endgültig erreichbar sind. Und genau das macht sie gefährlich: Sie haben nie genug.
Seltsam, wie kleinlaut sich dagegen der Anspruch auf das Geheimnis im öffentlichen Diskurs gibt. Nicht erst heute. Das Kapitel über das Geheimnis in Georg Simmels Hauptwerk „Soziologie“ von 1906, in dem er feststellt, dass es "eine der größten Errungenschaften der Menschheit" ist, hat im Gegensatz zu vielen anderen seiner Erkenntnisse so gut wie keine Resonanz erfahren.