Allensbach-Studie Die Deutschen lieben die Planwirtschaft

Gier, Ausbeutung, hohe Preise: So kritisch sehen die Deutschen die Marktwirtschaft. Die Zustimmung zum hiesigen Wirtschaftssystem sinkt. Stattdessen offenbart eine aktuelle Studie die stille Liebe der Deutschen zur Planwirtschaft.

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Ein Mann fährt mit einem Trabant 601 Kombi durch Sachsen. Quelle: APN

Eine Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach bringt Überraschendes ans Licht: Entgegen der landläufigen Annahme, dass das Modell der sozialen Marktwirtschaft von den Deutschen allgemein akzeptiert und gewünscht ist, zeigt die Untersuchung, dass die marktwirtschaftlichen Prinzipien an Zustimmung verlieren. Demnach wächst seit rund 20 Jahren die Unzufriedenheit der Deutschen mit der sozialen Lage im Land, die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" berichtet. Aktuell beantworten 65 Prozent der Befragten die Frage "Sind die wirtschaftlichen Verhältnisse bei uns in Deutschland – ich meine, was die Menschen besitzen und was sie verdienen – im Großen und Ganzen gerecht oder nicht gerecht?", dass sie sie für nicht gerecht halten. Lediglich 18 Prozent empfinden die Verhältnisse als gerecht.

61 Prozent der Befragten finden, dass die soziale Gerechtigkeit in Deutschland in den vergangenen drei bis vier Jahren abgenommen habe, nur 7 Prozent glauben, es gehe mittlerweile gerechter zu. Dieses Ergebnis ist erstaunlich, da aus Daten des Statistischen Bundesamts hervorgeht, dass sich die Sozialstruktur im Land in jüngster Vergangenheit kaum verändert hat. Der individuelle Eindruck der sozialen Ungerechtigkeit entsteht laut den Allensbach-Experten vielmehr daraus, dass die Menschen immer misstrauischer gegenüber der freien Wirtschaft würden.

Diese DDR-Produkte wollen wir immer noch haben
Im Spreewald werden die beliebten Gurken angebaut. 36.000 Tonnen der grünen Erzeugnisse werden pro Jahr zu Einlegegurken verarbeitet. Quelle: dpa/dpaweb
Rotkäppchen-Sekt landet ebenfalls immer noch sehr häufig in deutschen Einkaufswagen. Nicht nur bei Sektlaune. Quelle: AP
Die Hautcreme der Sorte Florena ist ebenfalls beliebt. Seit 2002 ist Florena 100-prozentig in die Beiersdorf AG eingenunden. Der Hamburger Nivea-Hersteller hatte das sächsische Erfolgsunternehmen übernommen und will den Standort Waldheim weiter stärken. Quelle: ZBSP
Das Ampelmännchen macht ebenfalls bei der Straßenüberquerung mehr Spaß als das herkömmliche Ampelsystem. Quelle: dpa
Nicht nur auf dem Holzkohlegrill lecker: die Thüringer Rostbratwürste. Quelle: dpa
Gute Nacht in Ost und West: Erstmals flimmerte das Sandmännchen am 22. November 1959 über die Bildschirme der damaligen DDR, heute laufen ihre Geschichten in ganz Deutschland als Abendgruß im Fernsehen. Quelle: AP
In Deutschlands ältester Schokoladenfabrik Halloren in Halle/Saale überprüft der Produktionsleiter Hans-Ulrich Stoltnow bei Verpackungen für die Creation "Stracciatella-Creme" die Aufdrucke. Die Halloren Schokoladenfabrik GmbH mit rund 130 Beschäftigten galt als eines der erfolgreichsten Unternehmen Ostdeutschlands. Quelle: dpa/dpaweb

In einem Assoziationstest, bei dem Interviewer verschiedene Begriffe vorlasen, sollten die Befragten zu jedem Begriff angeben, ob sie dabei an das Stichwort "Marktwirtschaft" dächten. Dabei zeigte sich, dass die Begriffe "gute Güterversorgung" oder "Wohlstand" mit 68 beziehungsweise 66 Prozent am häufigsten assoziiert wurden - jedoch folgten sogleich negativ aufgeladene Begriffe wie "Gier" mit 56 Prozent Zustimmung, "Rücksichtslosigkeit" (53 Prozent), "Ausbeutung" (51 Prozent) und "hohe Preise" (49 Prozent). Weit abgeschlagen lagen die Begriffe "Menschlichkeit" und "soziale Gerechtigkeit": Lediglich 10 beziehungsweise 12 Prozent der Befragten ordneten diese Werte der Marktwirtschaft zu.

Jeder Zweite setzt Planwirtschaft mit Sicherheit gleich

Welche Ostmarken im Westen erfolgreich sind
Als der aus Vorpommern stammende Christian Hoge vor zehn Jahren in Hamburg arbeitete, war sein Kofferraum voll mit Ostprodukten - weil es die im Westen nicht gab. Neben Senf aus Tutow transportierte der gelernte Zweiradmechaniker Vita-Cola oder Bambina-Schokolade in Richtung Elbe. Nicht nur er deckte sich bei seinen Heimatbesuchen mit den Nachfolgern der DDR-Produkte ein, auch westdeutsche Freunde und Bekannte von Hoge verlangten nach den Waren. „Grabower Küsschen waren der Renner“, sagt Hoge, der seit 2006 von seiner alten Heimat aus ein Internetportal für den Handel mit Ostprodukten betreibt. Der Osten schmeckt für Hoge nach „Kindheitserinnerungen“. Als die Mauer fiel, war er gerade 11 Jahre alt. Viele Ostprodukte-Käufer bleiben der Marke treu, die sie von früher kennen. Doch die Hersteller der Produkte haben - bis auf wenige Ausnahmen - inzwischen ein Problem: Ihre Kunden sterben weg. Lediglich zwei Ostmarken haben 2012 laut einer Studie den Sprung unter die Top 10 der bekannten Marken im Westen geschafft. Aber immerhin gibt es noch zehn Ostprodukte, die auch in München oder Frankfurt im Supermarktregal stehen. Quelle: dpa
Was vor der Wende für Deutschland die Niveacreme war, war für die DDR Florena - der Gattungsbegriff für Kosmetik. Seit dem Jahr 2002 ist Florena eine hunderprozentige Tochtergesellschaft der Beiersdorf AG, zu der auch die Konkurrenzmarke Nivea gehört. 93,2 Prozent aller Ostdeutschen ist der Kosmetikhersteller ein Begriff. In Westdeutschland hingegen kennt nur 31,5 Prozent der Bevölkerung die Marke. Müssen die Befragten spontan Markenartikel aus der Kosmetikbranche nennen (ungestützte Markenbekanntheit), hat Florena bei den Ostdeutschen gar den zweithöchsten Bekanntheitsgrad (12,2 Prozent) - hinter Nivea (26,5 Prozent). In Westdeutschland wird die Marke nicht einmal von 2,5 Prozent der Befragten genannt. Quelle: dpa
Die Lübzer Brauerei wurde 1877 gegründet und gehört heute zum dänischen Bierkonzern Carlsberg. Nach dem Namen gefragt, geben 41,7 Prozent der Westdeutschen an, schon einmal von der Marke gehört zu haben. In Ostdeutschland kennen 74,1 Prozent die mecklenburgerische Brauerei wenn sie danach gefragt werden - bei der ungestützten Befragung waren es weniger als vier Prozent. Quelle: ZB
"Leckermäulchen tut Leckermäulchen gut" - der Slogan der Quarkspeise Leckermäulchen läuft auch in den alten Bundesländern im Radio. Das Milchprodukt wird in verschiedenen Geschmacksrichtungen hergestellt und in Sachsen-Anhalt von der Frischli Milchwerk Weißenfels GmbH hergestellt. Danach befragt, geben 40,9 Prozent der Westdeutschen an die Süßspeise zu kennen. Bei den Bewohnern der Neuen Bundesländer sind es mit 82,5 Prozent mehr als doppelt so viele. Quelle: dpa
Und auch der Spee-Werbefuchs flimmert bundesweit über die Bildschirme: Er rät in verschiedenen Spots zum Waschmittel Spee von Henkel und wird mit überzeugenden Ergebnissen zum kleinen Preis belohnt ("Die schlaue Art zu waschen!"). In Ostdeutschland scheint man diesen Rat zu beherzigen, jedenfalls wenn es nach der Bekanntheit des Saubermachers geht. Dort kennen 92,5 Prozent der Befragten das Produkt - das sind mehr als beim hauseigenen Konkurrenten Persil. Unter den Westdeutschen hat sich die Produktqualität von Spee noch nicht so stark herumgesprochen: Hier ist das Waschmittel lediglich 49,6 Prozent ein Begriff. Spontan, also ungestützt nach einem Waschmittel befragt, wird Spee zwar nur von 3,3 Prozent der westlichen Bevölkerung genannt. Allerdings reicht das für Rang acht der bekanntesten Waschpulver - noch vor Dash und Tandil. Quelle: AP
Die Wernesgrüner Brauerei GmbH gehört seit 2002 zur Bitburger Getränkegruppe. Die Geschichte des Bierproduzenten aus Steinberg-Wernesgrün im sächsischen Vogtland lässt sich allerdings bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen. Soviel Tradition scheint sich zumindest im Osten auszuzahlen: Dort ist die Marke auf Nachfrage 94,6 Prozent der Befragten bekannt. Das kann mit 52,6 Prozent immerhin auch die Mehrheit der Westdeutschen von sich behaupten. Quelle: Presse
Der Nordhäuser Doppelkorn wird in Thüringen hergestellt und ist ein Produkt der Brennereien Echter Nordhäuser Spirituosen GmbH und der Nordbrand Nordhausen GmbH, die beide im Besitz der Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien sind. Das starke Getränk kennen in Westdeutschland 54,6 Prozent. Mit 87,8 Prozent ist der Klare in Ostdeutschland allerdings noch ein gutes Stück populärer. Quelle: dpa/dpaweb

Hingegen wurde deutlich, dass sich der Blick der Deutschen ein intensiveres Eingreifen der Regierung wünschen. Mit dem Begriff "staatlich organisiertes Wirtschaftssystem" verbinden zwar satte 81 Prozent der Befragten "Bürokratie", doch gleich an zweiter Stelle folgt "Sicherheit" (51 Prozent). Auch die Begriffe "soziale Gerechtigkeit" und "Menschlichkeit" ordneten 43 beziehungsweise 27 Prozent der Befragten zu.

Insgesamt betrachtet ist das Image der staatlich organisierten Wirtschaft in der Bevölkerung kaum schlechter als das der Marktwirtschaft, fassen die Experten zusammen: 34 Prozent positive zu 40 Prozent negativen Bewertungen beim staatlich kontrollierten System stehen 39 zu 41 Prozent bei der Marktwirtschaft gegenüber. So gaben auch 33 Prozent der Befragten an, sie fänden es besser, wenn sich der Staat stärker einschalten würde, 24 Prozent meinten, der Staat sollte sich heraushalten. Das spiegelt sich auch auf der persönlichen Empfindungsebene wider: In den alten Bundesländern sind 36 Prozent der Deutschen der Meinung, dass es ihnen persönlich besser oder zumindest nicht schlechter gehen würde, wenn das Wirtschaftssystem stärker vom Staat reguliert würde. In den neuen Bundesländern sind sogar 42 Prozent dieser Meinung.

Auch staatliche Preiskontrollen, wie es sie 1948 und 1969 gab, finden auffällig viel Zuspruch. 46 Prozent der Befragten schlossen sich der Aussage an: "Ich fände es gut, wenn der Staat Obergrenzen für die Preise von Grundnahrungsmitteln festlegen würde. Durch solche Höchstpreise könnte man sicherstellen, dass die Preise für Grundnahrungsmittel nicht so stark steigen und sich jeder diese weiterhin leisten kann." Nur 37 Prozent glaubten, dass die negativen Folgen eines solchen Vorgehens überwiegen. Bei den Mieten sprachen sich sogar 71 Prozent für eine staatlich verordnete Preisgrenze aus.

Die Allensbach-Experten schlussfolgern, dass die Politik für die Vorzüge der freien Marktwirtschaft deutlich mehr Werbung machen müsste, da die Vorteile für die Bevölkerung offenkundig nicht eindeutig erkennbar seien. Die Erfolge der freien Wirtschaft würden anderen Faktoren zugeschrieben.

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