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Allensbach-Umfrage Der gestresste Städter träumt vom Land

Noch nie empfanden so wenige Deutsche das urbane Leben als Erfüllung. Trotzdem ist der Run in die Städte ungebrochen. Wie kann das sein?

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Das sind die zehn lautesten Städte der Welt
Platz 10: KaratschiAuf Platz zehn der Liste der weltweit lautesten Städte liegt Karatschi, die größte Stadt Pakistans. Mit ihren rund 13 Millionen Einwohnern zählt die Hauptstadt der Provinz Sindh zu den größten Städten auf der Welt. Bis 1959 war sie auch Hauptstadt Pakistans. Heute gilt sie unter anderem durch den größten Hafen des Landes zum Wirtschafts- und Handelsknotenpunkt Pakistans. Quelle: REUTERS
Platz 9: ShanghaiDie Hafenstadt Shanghai mit ihren 23 Millionen Einwohnern ist die neuntstärkste von Lärm geplagte Stadt weltweit. Sie ist die bedeutendste Industriestadt und eine der größten Städte Chinas. Mit seinen knapp 32 Millionen umgeschlagenen Containern im Jahr gilt der Hafen als größter Containerhafen der Welt. Shanghai wächst rasant, seit es sich für die Marktwirtschaft geöffnet hat. D ie Stadt verdankt einen überwiegenden Teil ihrer wirtschaftlichen Bedeutung den guten Verkehrsverbindungen im Schienennetz. Neben Peking und Hongkong kämpft die Stadt durch das hohe Verkehrsaufkommen aber auch mit stark verschmutzter Luft. Quelle: REUTERS
Platz 8: Buenos AiresAuf Platz acht der weltweit lautesten Städte liegt Buenos Aires, die Hauptstadt Argentiniens. Die offiziell nur 202 Quadratkilometer große Stadt bildet den Kern einer der größten  Metropolregionen Südamerikas, dem Gran Buenos Aires mit etwa 13 Millionen Einwohnern.  Zudem ist sie als einzige Stadt Argentiniens als „Capital Federal“ autonom, also nicht an eine bestimmte Provinz gebunden. Sie ist ein wichtiges kulturelles Zentrum und wurde 2005 durch die Unesco mit dem Titel Stadt des Designs ausgezeichnet. Quelle: AP
Platz 7: New York CityDer berühmte Big Apple folgt auf dem siebten Platz. Mit mehr als acht Millionen Einwohnern ist New York City die bevölkerungsreichste Stadt der USA und dazu eine der bedeutendsten Wirtschaftsräume und Handelsplätze. Viele internationale Konzerne und Institutionen wie die Vereinten Nationen haben hier ihren Sitz. Laut Forbes ist New York City nicht nur eine der lautesten Städte weltweit sondern auch eine der teuersten. Jährlich kommen etwa 50 Millionen Besucher in die Stadt an der Ostküste. Quelle: REUTERS
Platz 6: MadridMit Madrid hat es auch eine europäische Stadt in die Liste der lautesten Metropolen der Welt geschafft. Die Hauptstadt Spaniens zählt gut drei Millionen Einwohner und ist damit nach London und Berlin die drittgrößte Stadt in der EU. Madrid ist seit Jahrhunderten der geographische, politische und kulturelle Mittelpunkt Spaniens und Sitz der Regierung. Ebenso gilt die Stadt als Hauptverkehrsknotenpunkt und führender Wirtschaftsstandort in Spanien. Quelle: dpa/dpaweb
Platz 5: TokioDie Anfang der Top 5 der lautesten Städte bildet Tokio. 23 Bezirke mit neun Millionen Menschen bilden das Stadtgebiet. Die ganze Region Tokio umfasst nach der Volkszählung 2005 knapp 36 Millionen Einwohner und zählt zu den größten Ballungsgebieten auf der Welt. Mit seiner Börse gehört Tokio neben New York und London außerdem zu den weltweit wichtigsten Finanzplätzen. Quelle: dpa
Platz 4: KairoDie ägyptische Hauptstadt belegt den vierten Platz im internationalen Ranking der lautesten Städte. Kairo hat knapp acht Millionen Einwohner im Stadtgebiet, die Metropolregion umfasst etwa 16 Millionen Menschen. Damit ist Kairo die größte Stadt Afrikas. Sie ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Ägyptens und der Arabischen Welt. Der Tahrir Platz (Foto) wurde im Arabischen Frühling zum Mittelpunkt der Proteste. Quelle: REUTERS

Vor nicht allzu langer Zeit veröffentlichte der Harvard-Professor Edward Glaeser ein Buch mit dem Titel „The Triumph of the City“. Von Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz ist die Geschichte überliefert, er sei ein großer Fan von Glaesers Thesen und empfehle das Buch bei jeder Gelegenheit wärmstens.

Es wäre passend für einen Politiker, der in einer prosperierenden, schönen und wachsenden Stadt lebt. Denn „Triumph of the City“ will nicht weniger als den wissenschaftlichen Beweis für die Überlegenheit des Urbanen führen: Städter sind besser ausgebildet, gesünder und sie leben länger.

Wunderbare Erfindung

Nach Glaeser ist die Stadt eine menschliche Erfindung ersten Ranges –  ein Ort, an dem nicht nur der größte Wohlstand entsteht, sondern über unsere Lebenschancen entschieden wird. Die Metropole ist der Quell von Bildung und Kultur. Kurzum: des Glücks.

Heute präsentierte das Umfrage-Institut Allensbach neue Daten, die so ziemlich das genaue Gegenteil dokumentieren. Auf die Frage, wo die Menschen mehr von Leben haben, denken nur 21 Prozent an die Stadt, fast doppelt so viele – 40 Prozent – votieren für das Land.

Weil Allensbach diese Frage bereits seit Jahrzehnten stellt, lässt sich eine sehr bemerkenswerter Umkehr beobachten: 1956 empfanden noch 56 Prozent der Deutschen die Stadt als lebenswerter, aber nur 19 Prozent das Land. Ende der Siebzigerjahre waren beide Werte noch fast gleich auf, aber schon mit einem spürbaren Vorteil fürs Ländliche.

Was also gilt? Sind die Städte nun die „großartigste Innovation“ der Menschheit (Glaeser) oder doch eher ein Hort der Unzufriedenheit?

Eigentlich ist die Antwort einfach: beides. Die Umfrage widerspricht dem allgegenwärtigen Run in die deutschen (Groß-)Städte gar nicht. Im Gegenteil: Sie wirft ein Licht auf einen psychologischen Neben-Effekt – die stete Sehnsucht nach dem, was wir nicht haben. Landflucht und Sehnsucht nach dem Ländlichen sind zwei Teile eines Puzzles, die erst gemeinsam das ganze Bild offenbaren.

Dass es in deutschen Städten wie Berlin, München, Hamburg, aber eben auch in Leipzig, Regensburg oder Freiburg immer voller und teurer wird, hat mehrere wohldokumentierte Gründe: eine historisch hohe Zuwanderung aus dem Ausland drängt nicht in die Dörfer, sondern dorthin, wo die Jobs sind.

Ohne Häuschen im Speckgürtel

Immer mehr junge Menschen studieren und drängen an Universitäten und Fachhochschulen, die sich nicht auf dem platten Land befinden. Außerdem tauschen auch aktive Rentner mittlerweile gerne ihre Häuschen im Speckgürtel gegen das zentrale Apartment, um näher dran zu sein an der Oper, den Theatern und den Enkeln. Deren Eltern beide arbeiten – natürlich in der Stadt.

Daraus resultieren Folgen, die längst politisch und gesellschaftlich debattiert werden, weil viele sie als Problem empfinden: Kann etwas gegen steigende Mieten getan werden? Kann man Gentrifizierung bekämpfen oder wenigstens steuern? Wir organisieren wir in der Stadt besseren Nahverkehr und Kinderbetreuung? Kann man ärztliche Versorgung, Kulturangebote und den Kiosk auf dem Land noch halten – und wenn ja, wie lange?

Die Allensbach-Umfrage dokumentiert vor allem den Stress der Städter mit ihrem Alltag: Lärm, hohe Lebenskosten, Vereinsamung, Shopping, all das verbinden die Deutschen mit der Stadt. Zufriedenheit, Nachbarschaft und gute Luft hingegen sind die Attribute des Dorfs.

Worum es hier also geht, ist der Kontrast von urbaner Gegenwart und Sehnsüchten nach dem Anderen. Ja, die Stadt ist trubelig, stressig, chaotisch, ein Ort des lärmenden Fortschritts, und deshalb immer Schauplatz der Aufregung, Anregung und Erregung. Dieses Motiv ist im Übrigen mindestens hundert Jahre alt, man lese nur mal Döblins „Berlin Alexanderplatz“. Das Land hingegen – die warme Utopie, ein Tagtraum, wie Urlaub, herrliche Projektionsfläche für dieses Gefühl des „Man sollte einfach etwas ganz anderes machen“.

Was man dann doch nie tut. Sondern an dem Kiosk an der Ecke, den es da draußen nicht mehr gibt, ein Heft von  „Landlust“ kauft.

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