Altbundespräsident Herzog "Das Grundgesetz verbietet nicht die Staatspleite"

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog gibt den Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt keine Chance. Auch die Übernahme von erheblichen Zahlungs- und Bürgschaftsverpflichtungen zu Lasten des Steuerzahlers sei zulässig.

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Altbundespräsident Roman Herzog Quelle: dapd

Der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog hält die Übertragung von Befugnissen der Bundesbank auf die Europäische Zentralbank angesichts der aktuellen Geldpolitik nicht mehr für verfassungsgemäß. „Der Grundgesetzverstoß wäre es, wenn man zu lange wartet, diese Übertragung zu widerrufen“, sagte Herzog im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Ich bin da für schonungslose Drohungen in den Verhandlungen.“ Artikel 88 des Grundgesetzes schreibt vor, dass die Kompetenzen der Deutschen Bundesbank auf die EZB übertragen werden können, wenn diese „unabhängig ist und dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität verpflichtet“. Unter politischem Druck hatte die EZB ihre Finanzierungsregeln geändert und die Märkte mit einer Billion Euro geflutet.

Den Klagen gegen den Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt gibt das frühere deutsche Staatsoberhaupt dagegen keine Chance. Er könne nicht erkennen, „worin sich die jetzt diskutierte Abtretung von Souveränitätsrechten von den früheren Abtretungen unterscheidet? Die EU ist voller Souveränitätsrechte, die einst bei den Nationalstaaten und ihren Parlamenten lagen.“ Herzog weiter: „Das Bundesverfassungsgericht hat Regierung und Parlament bei seiner letzten Entscheidung gesagt: Passt auf, ihr kommt an eine Grenze. Es hat aber nicht gesagt: Bis hierhin und nicht weiter“.

Auch die Übernahme von erheblichen Zahlungs- und Bürgschaftsverpflichtungen zu Lasten des Steuerzahlers hält der Ex-Bundespräsident für zulässig. „Die Regierung ist in schwierigen Lagen berechtigt, sehr hohe Risiken einzugehen. Das Grundgesetz verbietet nicht die Staatspleite.“

Vor einer neuen Verfassung „kann ich nur warnen“

Roman Herzog wendet sich gegen Überlegungen, Deutschland brauche eine neue Verfassung, um die europäische Krise zu bewältigen. „Diese Krise ist nur aus Fehlern entstanden. Ich muss also nicht die ganze Verfassung ändern, sondern nur die Fehler korrigieren und künftig vermeiden“, sagte Herzog im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Im vorauseilenden Gehorsam, quasi auf Vorrat gar eine neue Verfassung auf den Weg zu bringen, weil ich später einmal möglicherweise an Grenzen stoßen könnte, davor kann ich nur warnen.“ Selbst das Haushaltsrecht auf die europäische Ebene zu übertragen „halte ich für unproblematisch, solange es sich in sehr engen Grenzen hält.“

Als Vorgabe aus Brüssel notwendig und zulässig sei „eine Reihe von Höchst- und Niedrigstgrenzen für verschiedene Finanz- und Haushaltsdaten, beispielsweise für die Staatsquote“. Auch solle Brüssel den maximalen Anteil der Personalkosten am Staatshaushalt und die mindeste Investitionsquote definieren. „Die Mitgliedstaaten können selbst festlegen, wie die Gelder in so einem Korridor verteilt werden; also ob ein Staat viele Beamte hat, die schlecht bezahlt werden, oder wenige, die gut bezahlt werden.“ Entsprechende Regeln müssten aber mit Strafen gesichert werden. „Eines ist klar: Jede europäische Vorgabe braucht wirksame Sanktionen. Dieser Sanktionsmechanismus muss ein Automatismus sein.“ Sonst könnten die betroffenen Staaten im Rat Entscheidungen blockieren.

Kritik an Wolfgang Schäuble

National oder auf EU-Ebene entscheiden?
Die deutsche und die europäische Flagge Quelle: dpa
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Mittelfristig erwartet das frühere Staatsoberhaupt, dass die Staaten der EU stärker in unterschiedlicher Zusammensetzung kooperieren würden. „Wenn die Krise richtig aufbricht, dann kommt das Europa vieler Geschwindigkeiten“, sagte Herzog im WirtschaftsWoche-Interview. Staaten, die eine engere Integration in einem Politikbereich ablehnten, könnten dies dann nicht blockieren. „Mitreden darf jeder, aber sie dürften nicht mit entscheiden. Zur Weisheit würde es gehören, darauf zu achten, dass nicht immer nur dieselben vertieft zusammenarbeiten, damit ein Geflecht entsteht.“ Es sei aber offensichtlich: „Das Bild eines europäischen Staates ist völliger Blödsinn. So etwas hat es nie gegeben.“

Schäuble-Idee ist „dummes Zeug“

Ex-Bundespräsident Roman Herzog greift im Interview mit der WirtschaftsWoche Finanzminister Wolfgang Schäuble an. Zu dessen Vorschlag, einen europäischen Präsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen, sagte Herzog: „Das ist dummes Zeug.“ Er habe sich gefragt: „Wie soll das alles gehen? Soll dann Herr Barroso in Niederbayern und in Mecklenburg auf den Marktplätzen Wahlkampf machen? Und die Bürger werden ihn alle verstehen, weil er ein bisschen Englisch spricht und im Übrigen auch Portugiesisch kann?“

Griechischen Euro-Austritt nüchtern abwägen

Roman Herzog spricht sich dafür aus, den Verbleib Griechenlands von den Kosten abhängig zu machen. „Das wäre für mich eine ganz einfache Abwägung: Was müssen wir zahlen, wenn die austreten, und was, wenn sie drinbleiben“, sagte Herzog im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Dann ist es ein reines Rechenexempel, und wir machen die billigere Lösung.“ Allerdings müsse sich dies wirklich verlässlich ausrechnen lassen können.

Es sei bekannt gewesen, dass die Zusammensetzung der Euro-Länder nicht optimal sei. „Man hat die selbstverständlichen Voraussetzungen und Grundsätze nicht richtig festgeschrieben: Schwächere bekommen Hilfe, damit sie in 15 Jahren auf eigenen Beinen stehen können. Dafür gibt es Programme – und Kontrollen.“ Das sei aber nie passiert. Griechenland sei als Wiege der Demokratie aufgenommen worden. „Das war also die Ersetzung eines ökonomischen Arguments durch ein ideologisches oder historisches, das zudem auch noch falsch ist.“

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