
Lucke gegen Höcke, Petry gegen Lucke, Henkel gegen Adam und Gauland gegen alle: Das muntere Hauen und Stechen bei der AfD geht weiter. Protestwähler, die eine „Alternative“ zu den etablierten Parteien im Bundestag gesucht haben und hofften, bei den internen Streitigkeiten der Euro-Kritiker würde es sich nur um Kinderkrankheiten handeln, werden bitterböse enttäuscht. Dieser Tage zeigt sich: Schlimmer geht immer. Die Partei steht vor der Spaltung, vielleicht schon vor dem Bundesparteitag Mitte Juni in Kassel.

Nachdem Bernd Lucke in einer Rundmail gegen den nationalkonservativen Flügel der Partei ausgeteilt hatte und seinen Widersacher, den thüringischen Landeschef Björn Höcke loswerden wollte, keilt nun Bundessprecherin Frauke Petry zurück.
Die AfD-Co-Vorsitzende Frauke Petry hat Parteigründer Bernd Lucke davor gewarnt, seinen Einfluss in der Partei zu überschätzen und ihr seinen Kurs aufzwingen zu wollen. In einem Interview mit der „Bild“-Zeitung sagte Petry: Wenn Lucke die AfD wirklich vor die Wahl stellen wolle, seiner Linie zu folgen oder ihn zu verlieren, so hoffe sie, dass Bernd Lucke sich die Sache noch einmal gut überlegt“. Nötig sei jedenfalls, dass er „bald Klarheit schafft“. „Je länger der Schwebezustand andauert, umso schlimmer ist es für die, die gehen – und auch für die, die zurückbleiben“, warnte Petry.
Daraufhin platzte einem der gemäßigten Mitglieder im Bundesvorstand, Bundesschatzmeister Piet Leidreiter, offenbar der Kragen. Er teilte am Freitagmorgen auf Facebook mit: „Soeben habe ich die Auflösung des Bundesvorstands beantragt.“ Die Bundesspitze sei nicht arbeitsfähig. „Jedes Vertrauen und jegliche Zusammenarbeit fehlt.“
Die AfD – neue Volkspartei oder kurze Protestepisode?
Es steckt einiges von der Union früherer Zeiten in der Alternative für Deutschland (AfD). Nur in der Europapolitik grenzt sich die AfD klar von dem ab, was Helmut Kohl zu seinen Kanzlerzeiten wichtig war. Die AfD besetzt aber andere zentrale Themen der Union wie Familie, Kriminalität und Zuwanderung - Themen, wie sie die früheren Vorsitzenden von CDU und CSU, Helmut Kohl und Franz Josef Strauß, verkörperten: starke Polizeipräsenz, begrenzte Zuwanderung und ein Familienbild mit Vater, Mutter und Kindern. Die Warnungen der AfD vor einer Überlastung der Sozialsysteme durch Asylbewerber erinnern an die aufgeheizte Das-Boot-ist-voll-Debatte Anfang der 90er Jahre. Die AfD knüpft zudem an die konservative Gedankenwelt von Bundesministern wie Manfred Kanther (CDU) und Theo Waigel (CSU) an.
Doch. Auch heute sind das Schwerpunkte der Union. Doch die CSU war im Europa-Wahlkampf mit ihrer auf Ausländer gemünzten Parole „Wer betrügt, der fliegt“ und dem Herziehen über die EU-Kommission nicht erfolgreich. Und CDU und CSU bekamen unter Angela Merkel und Horst Seehofer bei der Bundestagswahl 41,5 Prozent - mit einer liberaleren Einstellung zu Homosexuellen, mit einer neuen Definition von Familie, aber ohne einen Law-and-Order-Mann als Bundesinnenminister. So machte die Union die Erfahrung, dass ein Kurs der Mitte mehr Stimmen bringt als das Beharren auf konservativen Positionen.
Die AfD setzt sich für mehr Basisdemokratie ein – und steht damit im Kontrast zur CDU. Einige ihrer Mitglieder stammen außerdem aus der Konkursmasse kleinerer rechter, liberaler und konservativer Parteien. Ehemalige Angehörige von NPD und DVU können dagegen nicht Mitglied der AfD werden. Im Osten wirbt die Partei um DDR-Nostalgiker, die zwar den Sozialismus nicht zurückhaben wollen, aber zum Beispiel Elemente des alten Bildungssystems gut finden.
Ja - auch wenn die CDU in Brandenburg und Thüringen trotz Stimmenverlusten an die AfD zulegen konnte. Erstens hat die Union durch ihren Wandel hin zu einer modernen, urbanen Partei eine Flanke an ihrem rechten Rand aufgemacht und könnte weiter Konservative, die in der Union keine Heimat mehr sehen, verlieren. Und zweitens wirbelt die AfD die Parteienlandschaft so durcheinander, dass die Machtoptionen für die Union schwinden. Eine Koalition mit der AfD schließt die CDU genauso aus wie mit der Linken, und auf die FDP kann sie nicht mehr zählen. Unabhängig davon, dass Schwarz-Grün im Bund ein Novum wäre, könnte es mit den Grünen knapp werden - wenn die AfD denn 2017 in den Bundestag einzöge. Bliebe ein Bündnis mit der SPD - das sollte aber aus Sicht beider Parteien kein Dauerzustand sein.
Nicht einheitlich. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagt: „Wir wollen die Wähler zurückgewinnen.“ Fraktionschef Volker Kauder (CDU) will die AfD ignorieren und sich mit ihren Politikern nicht einmal in eine Talkshow setzen. Wolfgang Bosbach vom konservativen „Berliner Kreis“ der CDU hält das für falsch. Viele Unionspolitiker raten inzwischen, sich intensiv mit der AfD auseinanderzusetzen. Parteichefin und Kanzlerin Angela Merkel ging im Brandenburger Wahlkampf deutlich auf die Grenzkriminalität ein, nachdem die AfD bei der Sachsen-Wahl damit punktete. Koalitionen mit der AfD schließt sie aber aus.
Die AfD stellt sich als Partei der braven Sparer und Steuerzahler dar, deren Wohlstand durch die Rettung maroder Banken und überschuldeter Euro-Länder gefährdet ist. Sie fordert, dass außer Flüchtlingen nur noch „qualifizierte und integrationswillige“ Ausländer nach Deutschland kommen dürfen und bemüht dafür gerne das Beispiel des Einwanderungslandes Kanada. Die AfD, die sich seit ihrem guten Abschneiden bei drei Landtagswahlen als „kleine Volkspartei„ bezeichnet, wettert gegen die in Deutschland inzwischen weit verbreitete Kultur der „politischen Korrektheit“. Ihrer Führungsriege gehören etliche Ex-Mitglieder von CDU und FDP an. Deshalb finden einige wertkonservative Wähler die Strategie der CDU, die AfD wie eine nicht-salonfähige Randgruppe zu behandeln, wenig glaubwürdig.
Nein. „Eintagsfliege“, „Protestpartei“ – diese Etiketten wurden der AfD in den ersten Monaten oft aufgeklebt. Doch im Gegensatz zu den Piraten, die sich lange vor allem der Selbstzerfleischung widmeten, halten sich die internen Streitereien noch im Rahmen. Außerdem hat sich die AfD rasch von einer Ein-Thema-Partei (Eurorettung) zu einer gemausert, die verschiedene Politikfelder besetzt.
Auf die zum Teil herbe Kritik von AfD-Mitgliedern und –Sympathisanten unter seinem Beitrag, fügte Leidreiter als Begründung warum er – jemand, der sich immer gegen Streitigkeiten in der Öffentlichkeit aussprach – diesen Schritt wählte zynisch hinzu: „Weil alles andere was wir machen auch sofort öffentlich gemacht wird. (...) Nun bin ich schneller als Adam oder andere.“
Leidreiter kommt damit dem Bundesparteitag in Kassel am 13. und 14. Juni zuvor, auf dem die Delegierten den bisherigen Vorstand entlasten und eine neue Spitze wählen sollen. Neben der Abstimmung über die zwei Bundessprecher – statt bisher drei – steht auch der neu geschaffene Posten des Generalsekretärs zur Disposition. Lucke, der für einen der beiden Sprecherposten kandidiert, hat noch nicht kundgetan, welchen Kandidaten er auf dieser Stelle – dessen Einrichtung er maßgeblich vorangetrieben hatte – bevorzugen würde.