Altersarmut Rentnerinnen brauchen Sozialhilfe – oder Reformen

Frauen sind bei der Rente noch immer schlechter gestellt als Männer. Die Parteien scheinen das erkannt zu haben – nach der Bundestagswahl könnte sich das ändern. Aber die Angst vor leeren Rentenkassen ist groß.

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Wenn die Rente nicht reformiert wird, müssen viele Frauen bald mit Geld aus der Grundsicherung aufstocken. Quelle: dpa

Düsseldorf Das Erwerbsleben von Frauen ist von Brüchen gekennzeichnet. Oft arbeiten sie wegen Mutterschaft in schlecht bezahlten Jobs, gehen unfreiwillig in Teilzeit oder hangeln sich mit Minijobs über den Monat. Nicht selten sind sie scheinselbstständig oder Freiberufler. Geringe Entgelte und wenige Beitragsjahre führen dazu, dass Frauen oft nur eine geringe gesetzliche Rente ausgezahlt wird. Lässt sich eine Frau scheiden, steigt das Risiko, nicht genug Geld im Alter zu haben. „Damit soll zukünftig Schluss sein“, sagt Judith Kerschbaumer, Rentenexpertin bei Verdi. Sie kämpft dafür, dass Frauen im Alter nicht auf Grundsicherung angewiesen sind. Das ist heute oft der Fall: Frauen in Westdeutschland haben im Durchschnitt nur 32,7 Versicherungsjahre – und eine Rente von 635 Euro im Monat. Die Grundsicherung liegt derzeit zwischen 600 Euro (Landkreis Regen) und 1000 Euro (München). Das Problem wird sich noch vergrößern.

Im Wahlkampf fordert Verdi darum verbindliche Aussagen der Parteien, wie das Problem nach der Wahl angegangen werden soll. Bisher liegt das Konzept der „Solidarrente von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vor. „Die Solidarrente soll viele Frauen vor Altersarmut schützen“, sagt eine Sprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Dabei sind viele Details noch unklar. So zum Beispiel, wie viele Beitragsjahre nötig sind, um eine abschlagsfreie Rente beziehen zu können.

Frauenrechtlerin Kerschbaumer will, dass 30 Versicherungsjahre reichen, um eine abschlagsfreie Rente beziehen zu können – statt bisher 45. Kindererziehungs- und Pflegezeiten sollen genauso berücksichtig werden wie kurzzeitige Unterbrechungen durch Arbeitslosigkeit. Ähnlich umsetzen wollen das auch die Grünen mit der „Garantierente“ sowie die Linken mit dem Konzept der „solidarischen Mindestrente“. Die CDU lehnt eine Senkung der Versicherungsjahre indessen ab. „Das ist schwierig, da Deutsche immer älter werden und der Nachwuchs das nicht bezahlen kann“, so Karl Schiewerling, Bundestagsabgeordneter der CDU/CSU-Fraktion.

Nicht nur die Versicherungsjahre stehen zur Debatte. Um Altersarmut zu verringern, setzen sich die Frauenverbände dafür ein, die Mütterrente anzuheben: Bisher bekommen Mütter für Kinder, die nach 1992 geboren wurden, drei Punkte pro Jahr auf das Rentenkonto. Kinder vor 1992 bringen nur zwei Punkte. Künftig sollten alle Kinder einheitlich mit drei Punkten angerechnet werden, so die Verbände.

Auch hier hält die CDU dagegen – zusammen den Grünen. „Das ist wünschenswert, aber wir dürfen die  Generationengerechtigkeit nicht aus dem Blick verlieren. Mütter, die ihre Kinder vor 1992 bekommen haben, profitieren noch häufig von besseren Rentengesetzen“, so CDU-Politiker Schiewerling. Auch eine Aufwertung der Pflegezeiten hält er für kritisch. Erst 2017 wurden die Zeiten aufgewertet und die für eine Anrechnung erforderliche Pflegezeit von 14 auf 10 Wochenstunden gesenkt. „Man sollte mit allen Leistungsausweitungen vorsichtig sein, die kosten Milliarden Euro im Jahr“, so Schiewerling.

Unterstützt wird er dabei von der FDP. Sollte die Partei an der nächsten Regierung beteiligt sein, will sie keine der Forderungen umsetzen. „Wir finden das Thema wichtig, wollen aber nicht, dass der Beitragssatz für die Jüngeren explodiert“, so Johannes Vogel, FDP-Generalsekretär. Stattdessen wollen sie die private und betriebliche Vorsorge stärken, um Frauen vor Altersarmut zu bewahren.

Nur mit der Aufstockung der Erwerbsminderungsrente sind FDP, SPD wie auch Linke und Grüne, einverstanden. „Niemand sucht sich eine Erwerbsminderung freiwillig aus. Daher darf auch niemand mit Abschlägen bestraft werden“, so Ulle Schauws, Bundestagsabgeordnete der Grünen. Auch die CDU erklärt, die Erwerbsminderungsrente zu verbessern. Die Partei sagt aber ebenfalls, dass schon viel getan wurde. Zum Beispiel wurden die Zurechnungszeiten angehoben – bis zum 65sten statt wie bisher bis zum 60. Lebensjahr können Erwerbsgeminderte sich diese Zeiten anrechnen lassen.

Auf Anfrage, wie gut die Solidarrente Armut von Frauen im Alter abdeckt, bleibt die SPD vage. Der einzige konkrete Vorschlag zur Armutsbekämpfung ist, das Rentenniveau bei 48 Prozent als untere Haltelinie festzulegen. Die Rentenbeiträge dürften nur geringfügig steigen. „Wenn wir den Wählerauftrag erhalten, werden wir dabei natürlich auch mit den Gewerkschaften reden“, so SPD-Bundestagsabgeordnete Daniela Kolbe. Auch die CDU bleibt zurückhaltend, man werde bei Regierungsantritt alle Forderungen zu prüfen.

Warum so vorsichtig? „2005 war die Rentenkasse leer. Man muss krisenfest und finanzierbar bleiben“, sagt CDU-Politiker Schiewerling. Judith Kerschbaumer kann das nicht nachvollziehen. „Wie haben sprudelnde Steuereinnahmen. Das ist finanzierbar“, so die Frauenpolitikerin. „Wenn alles so bleibt, werden mehr Frauen in die Armut rutschen.“ Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung bestätigt das: Voraussichtlich werden im Jahr 2036 sieben Prozent der Neurentner auf staatliche Unterstützung angewiesen sein. 2015 waren das noch 5,4 Prozent. Bei Frauen könnte die Grundsicherungsquote der Studie zufolge sogar von 16 Prozent auf etwa 28 Prozent der Neurentnerinnen ansteigen.

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