Altersvorsorge Munition für den Rentenwahlkampf

Zwei lange erwartete Gutachten zeigen auf, wie sich die betriebliche Altersvorsorge verbessern lässt. Doch die Koalitionäre toben bereits auf anderen Feldern – die Ergebnisse zu verwenden, wird eine Herausforderung.

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Zwei Studien schlagen Wege vor, wie die betriebliche Altersvorsorge attraktiver werden kann. Quelle: dpa

Berlin Die schwarz-rote Koalition hat längst das ganz große Fass aufgemacht. CSU-Chef Horst Seehofer warnt, dass jedem zweiten Ruheständler 2030 eine Rente auf Grundsicherungsniveau droht. SPD-Chef Sigmar Gabriel will eine weitere Absenkung des gesetzlichen Rentenniveaus verhindern. Und Kanzlerin Angela Merkel betont, die Bekämpfung von Altersarmut sei „eines der ganz großen Themen“.

Bei so viel Aktionismus gerät leicht in Vergessenheit, dass im Koalitionsvertrag von Union und SPD ja schon ein zentrales rentenpolitisches Vorhaben steht: die Stärkung der Betriebsrente. Derzeit profitieren rund sechs von zehn sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern von der betrieblichen Altersvorsorge. Die Regierung würde die Quote gerne auf mindestens 80 Prozent anheben.

Vor allem in kleinen und mittleren Unternehmen und bei Geringverdienern ist die Betriebsrente bisher wenig verbreitet. Die einen scheuen Haftungsrisiken, die anderen verdienen schlicht zu wenig Geld, um davon etwas für die Altersvorsorge abzweigen zu können. Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) und ihr für Finanzen zuständiger Kabinettskollege Wolfgang Schäuble suchen deshalb nach Lösungen, wie sich trotz dieser Hindernisse eine größere Verbreitung erreichen lässt. Dazu sind nun zeitgleich die beiden von den Ministerien in Auftrag gegebenen und mit Spannung erwarteten Forschungsgutachten erschienen.

Der Würzburger Steuerrechtler Dirk Kiesewetter hat in Schäubles Auftrag untersucht, ob der steuer- und sozialversicherungsrechtliche Rahmen für die Förderung der Betriebsrente erweitert werden muss. Aus seiner Sicht ist es vor allem der geringe Kenntnisstand, der Arbeitgeber in kleinen und mittleren Unternehmen davon abhält, ihren Mitarbeitern eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten. Auch finanziell lohne sich der Aufwand für den Arbeitgeber kaum. Dieser spare zwar Sozialversicherungsbeiträge auf den Lohnanteil, den seine Beschäftigten in eine Betriebsrente einzahlen. Dies sei für sich genommen aber kein ausreichender Anreiz.

Bei Geringverdienern sieht Kiesewetter neben dem fehlenden finanziellen Spielraum das Problem, dass Betriebsrenten mit dem vollen Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag belastet werden und die Sozialversicherungsbeiträge bei Riester-geförderten Modellen sogar doppelt kassiert werden. Außerdem sinken im Zweifel auch noch die gesetzlichen Rentenansprüche, weil auf die Einzahlungen in die betriebliche Altersvorsorge keine Rentenbeiträge fällig werden.

Zur Lösung der Probleme schlagen Kiesewetter und seine Co-Autoren einen verpflichtenden Arbeitgeberzuschuss bei der Entgeltumwandlung vor. Dieser soll die Arbeitnehmer für ihre erhöhte Abgabenlast und reduzierte gesetzliche Rentenansprüche entschädigen. Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern wollen die Gutachter zudem die Möglichkeit geben, jährlich die Hälfte der Beiträge zur betrieblichen Altersvorsorge als gewinnmindernd steuerlich geltend zu machen. Die Riester-geförderte Betriebsrente werde nur dann attraktiver, wenn der Gesetzgeber die „ökonomisch nicht zu rechtfertigende Doppelverbeitragung“ stoppt, heißt es in dem Gutachten weiter.

Das im Auftrag des Arbeitsministeriums erstellte Gutachten des Rechtswissenschaftlers Peter Hanau und des Rechtsanwalts Marco Arteaga soll Unternehmen einfache und risikolose Wege zum Angebot einer Betriebsrente aufzeigen. Ressortchefin Nahles will hier vor allem die Tarifvertragsparteien besser einbinden und hatte ein „Sozialpartnermodell“ vorgeschlagen. Demnach soll die Haftung des Arbeitgebers auf die eingezahlten Beiträge beschränkt werden. Gemeinsame Einrichtungen von Arbeitgebern und Gewerkschaften garantieren den Beschäftigten eine Mindestleistung und sichern sie zudem gegen Zahlungsausfälle ab. Die gemeinsamen Einrichtungen selbst würden dem Vorschlag zufolge durch ein neu zu schaffende Segment im Pensions-Sicherungs-Verein abgesichert.

Das Modell war nicht zuletzt bei den Sozialpartnern selbst auf Vorbehalte gestoßen. Hanau und Arteaga schlagen deshalb „flexible tarifliche Regelungen“ vor, die den Tarifparteien eine große Bandbreite von Gestaltungsmöglichkeiten an die Hand geben. „Sie reicht von vollumfänglicher Verwirklichung des Sozialpartnermodells bis hin zu rein berechtigenden Tarifverträgen, die nur „Leitplanken vorgeben mit weitreichenden Öffnungsklauseln für die Betriebsparteien“, heißt es in dem Gutachten.

Die Verbreitung der betrieblichen Altersvorsorge über Tarifverträge halten die Autoren aber weiter grundsätzlich für den richtigen Weg. So könnten etwa von den Tarifparteien vorstrukturierte und rechtlich geprüfte Versorgungslösungen die Komplexität in der betrieblichen Altersvorsorge beenden. Die reine Beitragszusage gebe Unternehmern Kostensicherheit und vermeide zusätzliche Pensionsrückstellungen, wie sie etwa bei Direktzusagen in der gegenwärtigen Niedrigzinsphase entstehen.

Arbeitsministerin Nahles erklärte, das Gutachten bestärke sie darin, den Tarifvertragsparteien bei der betrieblichen Altersvorsorge mehr Handlungsfreiheit, aber auch Verantwortung zu geben. „Dies und die Prüfung von Veränderungsbedarf bei der steuerlichen Förderung von betrieblicher Altersvorsorge werden wir nun angehen“, sagte die SPD-Politikerin.

Allerdings ist offen, ob sich die schwarz-rote Koalition die betriebliche Altersvorsorge überhaupt noch isoliert vornimmt. Im Herbst will Nahles ein Gesamtkonzept zur Alterssicherung vorlegen, das auch die gesetzliche Rente und die sogenannte dritte Säule – die baufällige private Riester-Vorsorge – einbezieht. Die Ergebnisse und Vorschläge der beiden Gutachten würden „in die weiteren Prüfungen und Arbeiten im Zusammenhang mit Anpassungen im renten- und Alterssicherungssystem Deutschlands insgesamt einfließen“, heißt es dazu aus dem Arbeitsministerium.

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