Wenn das Kölner Verwaltungsgericht an diesem Donnerstag sein Urteil spricht, geht es nur um eine vermeintliche verfahrensrechtliche Lappalie: Die Richter entscheiden, ob das Bundesgesundheitsministerium (BMG) in einem Rechtsstreit mit einer Gruppe von Unternehmern seine Akten offenlegen muss. Es geht dabei um eine Sache, die in den wirren Anfangstagen der Coronapandemie ihren Anfang nahm und juristisch noch lange nicht ausgestanden ist: die hektisch organisierte Maskenbeschaffung durch das Ministerium im März und April 2020.
Betroffen sind dutzende Firmen vom Taunus bis zur Nordsee, von Offenburg bis Berlin, die dem Ministerium damals Millionen von Masken geliefert haben, die das BMG aber wegen angeblicher Mängel nicht bezahlt hat. Es geht um hunderte Millionen Euro Steuergelder, die den Lieferanten womöglich zustehen – für Masken, die mittlerweile kaum noch zu gebrauchen sind. Und höchstens noch einen Bruchteil des Wertes haben, für den sie einst erworben wurden.
Der Anwalt Christoph Partsch, der vor dem Landgericht Bonn 20 Mandanten in Verfahren gegen das Ministerium vertritt, sagt: „Das BMG versucht jeden Antrag zu blockieren, bis zur Unendlichkeit. Es hofft, dass den Klägern die Luft ausgeht.“ Die Akteneinsicht könnte den dunklen Schatten nun etwas aufhellen, den das BMG und seine Anwälte über die chaotische Beschaffungsmaßnahme im Frühjahr 2020 gelegt haben.
Mit einer heftigen Fehlkalkulation fing alles an: Das BMG hatte zu Beginn der Pandemie auf der eiligen Suche nach Maskenlieferanten ein „Open-House-Verfahren“ ausgeschrieben. Das heißt, jeder, der sich um einen Auftrag bewirbt und bestimmte Vertragsbedingungen erfüllt, bekommt automatisch einen Zuschlag.
Der Grund für die Hauruckaktion: Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen klagten zu diesem Zeitpunkt über einen Mangel an Schutzkleidung. Mit dem hektisch gestrickten Vertragskonstrukt wollte der damalige Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) Deutschland möglichst schnell viele Masken sichern. Um einen Anreiz zu schaffen, versprach Spahn zunächst jedem Lieferanten, der mindestens 25.000 Masken bis zum 30. April liefern konnte, 4,50 Euro netto pro FFP2-Maske, mehr als das Doppelte des Marktwerts.
Doch das „Open-House-Verfahren“ wurde dem Ministerium zum Verhängnis. Denn es hatte keine Obergrenze für die Bestellungen eingezogen und schloss so quasi automatisch 700 Lieferantenverträge im Gesamtwert von 6,4 Milliarden Euro ab. Im Staatshaushalt vorgesehen waren dafür aber nur 1,2 Milliarden Euro.
Als die Masken wenig später eintrafen, zweifelten die Beamten, die zuvor händeringend nach Masken gesucht und mit anderen Großkonzernen und Logistikunternehmen andere große Verträge geschlossen hatten, die Verträge aus dem Open-House-Verfahren an. Die Masken hätten Mängel oder seien zu spät geliefert worden, hieß es zur Begründung. Aus Sicht der Kläger sind diese Erklärungen nur vorgeschoben, um nicht zahlen zu müssen.
Joachim Lutz aus Offenburg ist einer von drei Klägern, die vor das Kölner Verwaltungsgericht gezogen sind, um Einsicht in die Vorgänge im Ministerium im März und April 2020 zu bekommen. Sie wollen wissen, wer wann was gemacht und kommuniziert hat. Fällt der Richterspruch an diesem Donnerstag für sie positiv aus, erhoffen sie sich davon eine Signalwirkung für die eigentlichen Prozesse in Bonn.
Dort am Landgericht türmen sich die Fälle. Laut einer Sprecherin sind bislang 142 „Masken-Klageverfahren“ eingegangen. Die Größenordnungen der Fälle sind sehr unterschiedlich: Im Verfahren mit dem höchsten Streitwert geht es um 85,6 Millionen Euro. Der Unternehmer Walter Kohl, Sohn des Ex-Bundeskanzlers Helmut Kohl, pocht auf 5,5 Millionen Euro für nicht bezahlte Masken. Ein inzwischen rechtskräftiges Urteil verurteilte den Bund zur Zahlung von 3,1 Millionen Euro plus Zinsen.
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Wie viele der Verfahren insgesamt bereits entschieden wurden, sich in Vergleichsverhandlungen befinden oder außergerichtlich beigelegt wurden, werde nicht gesondert erfasst, sagt die Sprecherin des Landgerichts. Das Ministerium teilt auf Anfrage der WirtschaftsWoche mit, es sei nicht möglich, die Zahl der laufenden Verfahren zu beziffern. Sie hätten aber „einen Gesamtstreitwert von rund 420 Millionen Euro“.
Über diese Summe müssen die Richter in den kommenden Wochen entscheiden. Andere Steuergelder sind längst geflossen. Über die Höhe bisheriger Vergleichszahlungen ist bisher zwar wenig bekannt, über die der Berater- und Anwaltskosten jedoch einiges. Allein bis Mai 2022 gab der Bund 40 Millionen Euro für Berater und Anwälte aus. Das geht aus Antworten der Bundesregierung auf Kleine Anfragen der Linken hervor.
Aus Sicht der Kläger und deren Anwälten betreibt das BMG eine klare Verzögerungstaktik. „Es gibt bereits eine ganze Reihe von Lieferanten, die keine finanziellen Mittel mehr für den Rechtsstreit haben“, erklärt Lutz-Vertreter Christoph Partsch. Denen, die noch keine Klage eingereicht haben, bleibt zudem nicht mehr viel Zeit. Ende 2023 verjähren mögliche Ansprüche. „Das weiß das BMG natürlich.“
Und daran ändert auch Karl Lauterbach (SPD) nichts. Das Verhalten des Ministeriums sei unter dem neuen Minister laut Partsch das gleiche wie unter Jens Spahn. „Der zuständige Leiter der Abteilung Z und der Pressesprecher sind nach dem Chefwechsel geblieben. Und die sagen gar nichts oder bauen auf Abwehr“, sagt Partsch.
Und Lauterbach selbst? „Wir haben alles versucht, mit ihm direkt zu sprechen – null Reaktion.“ Partsch sagt, Lauterbach scheine „nicht begriffen zu haben, dass das Hantieren seines Ministeriums mittlerweile vollständig ihm zuzurechnen ist“.
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