Ampel-Sondierung „Schon putzig, wenn Olaf Scholz' Kompetenz als Verhandlungshärte ausgelegt wird“

Niemand solle am Willen von Olaf Scholz zweifeln, sagt Matthias Machnig. Quelle: dpa

Als Politstratege der SPD ist Matthias Machnig eine Legende. Hier spricht der heutige Vizechef des SPD-Wirtschaftsforums über die Kunst des Koalitionsschmiedens und Olaf Scholz' Willen zur Macht.

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Matthias Machnig (61) war Staatssekretär in mehreren Bundesministerien, Wirtschaftsminister in Thüringen und enger Vertrauter von Sigmar Gabriel. 1998 leitete er aus der legendären Kampa den Wahlkampf, der Gerhard Schröder in Kanzleramt führte. Heute ist er Vizepräsident des SPD-Wirtschaftsforums.

WirtschaftsWoche: Herr Machnig, wird ein Bundeskanzler Olaf Scholz schon die kommende Neujahrsansprache halten?
Matthias Machnig: Jetzt schon über Daten oder Fristen zu sprechen, hielt ich für den größten Fehler, den man machen kann. Was die Sondierungen jetzt benötigen, ist Zeit. Zeit zum Aufbau von Vertrauen.

Am Montag gehen die Sondierungen in die erste heiße Phase. Warum sollten die SPD-Mitglieder am Ende Ja sagen zu einem FDP-Finanzminister Christian Lindner?
Wenn die Ampelkoalition funktionieren soll, dann dürfen genau solche Fragen am Ende nicht im Mittelpunkt stehen. Wenn sie es doch tun, ist etwas falsch gelaufen. Wichtiger als alle „Wer wird was“-Überlegungen wird sein, ob die drei Parteien ein gemeinsames Verständnis davon entwickeln, wohin sich dieses Land entwickeln soll. Wie man zentralen Herausforderungen – Digitalisierung, Dekarbonisierung, Wettbewerbsfähigkeit – angehen will. Darum geht’s.

Was wäre denn so eine klingende wirtschaftspolitische Ampelerzählung?
In den kommenden zehn, fünfzehn Jahren erlebt dieses Land den heftigsten Strukturwandel seit Anbruch des Industriezeitalters. Ich habe die Schlagworte eben genannt. Das wird heftig. Und damit die Bundesrepublik diesen Prozess nicht einfach durchleidet, sondern gestärkt daraus hervorgeht, müssen wir alle, Bürger und Unternehmen, aber auch die Standortbedingungen, fit machen. Auf der Basis von Vertrauen in das politische Management, über die Sicherheit der sozialen Marktwirtschaft hin zum Willen, eine neue, eine ungekannte Dynamik zu entfachen.



Machen Sie es konkreter, bitte.
Nun, wir werden staatliche und noch mehr private Investitionen benötigen. Ein Sonderabschreibungsprogramm, das einen Boom bei Investitionen in Klimaschutz und Digitalisierung auslöst, wäre ein kluger Schritt und das richtige Signal an die Wirtschaft: Jetzt oder nie! Gleichzeitig müssen wir einige Branchen bei der Transformation begleiten und – wie einst beim EEG in seinen Anfangszeiten – öffentliche Markteinführungsprogramme aufsetzen. Markt und Staat, beide dort, wo sie gebraucht werden, das ist aus meiner Sicht der Pfad.

Im Wahlkampf hat die SPD aber vor allem Rente und Mindestlohn plakatiert. Sind das trotzdem klassische sozialdemokratische rote Linien?
Ich halte gar nichts von roten Linien, erst recht nicht, wenn sie von der Seitenlinie gezogen werden sollen. Diese Regierung muss eine neue Kultur entwickeln, einen verbindenden Gedanken, der auch dann hält, wenn Konflikte aufbrechen, die heute nicht absehbar sind. Und die werden kommen, ganz sicher.

Bei den Ampelverhandlungen stehen dennoch zwei natürliche Partner, SPD und Grüne, vor der Aufgabe, die widerspenstige FDP zu gewinnen. Wie genau soll das gelingen?
Zunächst mal: Man muss jönne könne, wie der Rheinländer sagt. Es darf keinen Profilierungswettbewerb zu Lasten von wem auch immer geben. Bisher liefen die Gespräche sehr professionell, seriös und unaufgeregt. So muss es nun weitergehen. Die Kunst ist, dass sich später alle als Sieger fühlen müssen.

Nun steht Olaf Scholz, den die Ampel am Ende zum Kanzler wählen würde, nicht gerade für Aufbruch.
Olaf Scholz steht für Kompetenz. Es ist ja geradezu putzig, wenn ihm diese Sachkenntnis im Detail bisweilen als Verhandlungshärte ausgelegt wird. Ein Kanzler muss führen und zusammenführen. Das gilt auch für ihn.

Aber kein Aufbruch?
Eine charismatische Rede allein macht ja noch keine erfolgreiche Politik. Er hat die Ruhe und er hat den Willen, die nötigen Veränderungen voranzutreiben. Das sich da mal niemand täuscht.

Bis früher oder später der starke Juso-Flügel in der Fraktion aufbegehren wird…
…ach, die SPD hat in den vergangenen zwölf Monaten doch hinlänglich bewiesen, dass sie ihre Lektion der Macht gelernt hat: Ohne Geschlossenheit gibt es keinen Erfolg. Und ohne Ruhe auch nicht. Scholz ist jetzt die Autorität in der Partei. Alle wären sehr gut beraten, diese Autorität nicht anzukratzen.

Mehr zum Thema: Deutschlands Herausforderungen sind zu umfangreich, als dass man sie einem neuen Kanzler allein anvertrauen könnte. Jede Dreierkonstellation im Bund wird eine komplizierte Aufgabe lösen müssen.

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